Weltuntergang mit Zuschauer

Alle wollen jetzt wissen, wie die globale Finanzkrise ausgeht. Das Problem daran: Man weiß das nicht so genau. taz, 19. September 2008

Ein Schlagzeile, neulich in einer Tageszeitung: „Schenkt uns reinen Wein ein!“ Die Forderung lautet: Welche Auswirkungen wird die globale Finanzkrise haben? Putzig gefragt. Ehrliche Antwort: Keiner weiß das so genau. Bankhäuser haben ein ungeheures Ausmaß fauler Kredite gehortet, Versicherungen haben sie abgesichert. Global sind die Kredithäuser wechselseitig verschachtelt, zudem ist der Finanzmarkt völlig undurchsichtig: Mittelstandsbanken betreiben hochgefährliche Spekulationsgeschäfte. Schon jetzt gibt es auch in Europa kaum ein großes Geldhaus, das nicht ein paar dutzend oder ein paar hundert Millionen Euro abschreiben muss.
 
Noch fängt die US-Regierung die meisten Banken auf. Aber bis vor kurzem hätten auch Lehman-Brothers als „to big to fall“ gegolten. Ab wie vielen hundert Milliarden Dollar geht auch der US-Regierung die Luft aus? Und auch wenn ein Dominoeffekt abgewendet wird, die Totalapokalypse nicht eintritt: Was das für die Realwirtschaft bedeutet, weiß keiner so genau. Der Kapitalismus ist eben keine Planwirtschaft, sondern eine Chaoswirtschaft. Das sei sein Vorteil, heißt es immer. Jetzt ist das ein Nachteil.
 
Was also sind die Varianten? Minimum: Eine Rezession in den USA und ein paar Schwächequartale in Europa. Europa bleibt aus zwei Gründen nicht verschont: Erstens, weil der Wachstumsmotor USA stottert. Zweitens, weil die Kreditkrise auch das Kreditvolumen hierzulande eingrenzen wird. Bedeutet: Weniger Investitionen, weniger Wachstum.
 
Schon raunen viele, der Finanzmarkt-GAU markiere das Ende des amerikanischen Zeitalters. Die USA würden in eine lange Phase der Stagnation schlittern, wie Japan Anfang der neunziger Jahre. Das Land hat sich bis heute nicht erholt davon. Gewiss, das politische System Japans ist besonders verknöchert und der politisch-ökonomische Komplex hat nicht die Kräfte zur Selbstreform wie die amerikanische Wirtschaft. Aber nützt das viel, wenn sich die gesamte Finanzarchitektur als morsch erweist? Dann werden es nämlich auch die berühmten amerikanischen Technologie-Wunderkinder in ihren Garagen im Silicon Valley schwer haben.
 
Wir erleben ein Spektakel, von dem kaum jemand weiß, wie es ausgeht. Man kann nur staunend zusehen. Und sich ein Glas Wein einschenken.

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