Buberlpartie

Ist es politisch bedeutsam, ob der verunglückte Rechtspopulist Jörg Haider homosexuell war? Die Zeit, 30. Oktober 2008

Es war ein, ja, etwas ungewohnter
Stefan Petzner, den die Österreicher am vergangenen Dienstag bei der
konstituierenden Sitzung des Nationalrats in Wien erleben durften. Hier
ein Scherzchen mit einem Abgeordneten-Kollegen, da ein Getuschel im
Führungskreis der Parlamentarier des „Bündnis Zukunft Österreich“
(BZÖ). Ansonsten: Locker und gefasst, ohne besondere Auffälligkeiten.
Ein 27jähriger Neo-Abgeordneter eben, der sich von durchschnittlichen
anderen Neo-Abgeordneten allenfalls durch diesen gewissen, betont
coolen Habitus unterschied, der jenen eigen ist, die wissen, dass viele
Augen auf sie gerichtet sind. Denn Stefan Petzner ist in Österreich
heute das, was man so eine „Celebrity“ nennt.
 
Vor drei Wochen war das noch anders.
Als rechte Hand des sprunghaften Parteiführers Jörg Haider hatte er im
BZÖ Gewicht, er bekleidete auch formal das Amt des Parteisekretärs,
aber außerhalb Kärntens kannte kaum jemand sein Gesicht. Das änderte
sich schlagartig am Morgen jenes 11. Oktobers 2008, als Haider sich mit
mindestens 142 km/h und 1,8 Promille Alkohol im Blut totfuhr.
Tränenüberströmt, mit versagender Stimme, bestätigte Petzner den Tod
des Kärntner Landeshauptmanns. Bei einer Pressekonferenz am Abend
weinte Petzner bitterlich. In ORF-Interviews beklagte er den Verlust
seines „Lebensmenschen“. Dann, als erster Höhepunkt, ein Gespräch für
„krone.tv“, dem Online-Portal der auflagenstärksten Boulevardzeitung:
Petzner schildert eine Beziehung, die weit über eine Freundschaft
hinausgegangen sei. „Immer Sorgen“, habe er sich gemacht, der Jörg,
„wegen dem Altersunterschied“, erzählte Petzner. Im Radiosender Ö3
spart Petzner schließlich wenig aus: „Er hat oft zu mir gesagt: ‚Du
bist mein Lebensmensch‘. Er und ich wissen, was damit gemeint ist – und
das soll auch zwischen uns bleiben.“ Er habe Haider auf „eigene Weise
geliebt“. Nur die Frage, ob er und Haider ein Liebespaar gewesen seien,
beantwortete Petzner nicht – vielleicht deshalb, weil sie ihm nicht
gestellt wurde. Aber für die Zuhörer konnte kein Zweifel darüber
bestehen: da redet jemand über seine große Liebe.
 
Die österreichische
Medienöffentlichkeit stürzte Petzner damit in ein ziemliches Dilemma.
Einerseits war Haider Ehemann und Familienvater. Seine Partnerschaft
mit Claudia Haider, die er vor 32 Jahren heiratete, wird als harmonisch
geschildert. Andererseits waren Haiders „homoerotische Neigungen“ –
auch so eine Hilfsvokabel – seit zwanzig Jahren das, was salopp ein
„offenes Geheimnis“ genannt wird, was freilich auch heißt: jeder wusste
irgendwas, niemand etwas Genaueres. „Es ist schon fast eine der
klassischen Stadt-Legenden. Der Freund eines guten Bekannten eines
Cousins soll mit Jörg Haider Sex oder zumindest einen Kontakt gehabt
haben, der dorthin hätte führen sollen“, formulierte die Wiener
„Presse“ vergangenen Dezember. Damit war das Leitmedium des
österreichischen Konservativismus eines der wenigen Medien, das
überhaupt ein Wort über dieses Thema verlor. Denn man hatte in der
Branche die informelle Übereinkunft getroffen, dass Haiders Sexualleben
seine Privatangelegenheit und daher von keinem öffentlichen Interesse
sei. Daran hätte man sich aus Pietätsgründen wohl auch nach seinem Tode
noch gerne gehalten, Petzners ostentative öffentliche Trauer machte die
Sache aber zunehmend unmöglich. Hinzu kommt, dass sich in Haiders
letzten Lebensstunden ein Beziehungsdrama abspielte: Haider und Petzner
hatten am Abend eine Party in Velden offenkundig streitend verlassen,
der Landeshauptmann war dann in das Lokal „Zum Stadtkrämer“ gefahren,
Klagenfurts bekannteste Schwulenkneipe. Dort besoff sich Haider, der
ansonsten als maßvoller Trinker bekannt war, mit einem bisher
unbekannten jungen Mann, bevor er in den Tod raste.
 
Ist all dies auf irgendeine Weise von
öffentlichem Interesse? Klar, das ganze Land interessiert sich dafür
und jeder will gerne mehr wissen, aber das ist wohl kein Maßstab. Wenn
jede Privatheit dem Privaten entrissen werden dürfte, sofern sich nur
genügend Leute dafür interessieren, wäre kaum jemand vor Nachstellungen
geschützt. Freilich steht Haiders Todesfahrt im Vollsuff in engem
Zusammenhang mit seinem Privatleben, und es ist wohl kaum zu
argumentieren, dass über die Umstände des Ablebens dieses Politikers
nicht berichtet werden sollte. Vor allem aber war Haider als rechter,
aggressiver, polarisierender, aber auch charismatischer Politiker die
Zentralfigur der österreichischen Politik der neunziger Jahre. Dazu
konnte Haider, der die Freiheitliche Partei (FPÖ) 1986 als kleine
Vier-Prozent-Partei übernommen hatte, nur dank seines persönlichen
Magnetismus werden. Wie immer man diesen beschreiben will, es gab da
immer ein „Etwas“, das Haider von normalen Politikern unterschied. Wenn
man so will: ein Geheimnis. Haiders Spiel mit erotischen Gesten, aber
auch seine sexuelle Uneindeutigkeit waren Teil der Faszination, die
zeitweilig von ihm ausging. Er führte immer mehrere Existenzen und das
Chamäleonhafte war ihm zur zweiten Natur geworden: Halb Beau, halb
Faschist. Er war der Politiker in der Ära der Spaßgesellschaft, der
durch Diskos tingelte und vom Bungee-Seil sprang, der gleichzeitig den
nationalen Heimatverteidiger gab. Mal warf er sich in die rustikale
Kärntnertracht, dann trug er wieder rosa Hemden zum dottergelben Anzug.
Er war eine verletzliche Diva, man attestierte ihm „maßlose
Selbstüberschätzung“ bei gleichzeitig „extrem hoher Kränkbarkeit“. Er
war ein Gambler, dem man immer auch ansah, dass er ein Spiel trieb.
Kurzum: Er war einer mit Macken, einer, der sich nie allein mit
politischen Kategorien beschreiben ließ. Wie tickt Haider?, mit dieser
Frage schlug sich eine ganze Journalistengeneration herum.
 
Für das Verständnis eines solchen
Politikers ist seine sexuelle Orientierung zwar nicht die Hauptsache,
aber auch nicht bedeutungslos. Thomas Mann wird man als Schriftsteller
auch nur unzureichend begreifen, wenn man nichts über die qualvollen
Seiten seiner Sexualität weiß. Hinzu kommt: In der Führungscrew von
Haiders Partei – erst der FPÖ, später des BZÖ – herrschte ein
männerbündlerischer Geist, der der verdrucksten Homoerotik
traditioneller rechtsradikaler Parteien ähnelte und sich zugleich
signifikant von ihr unterschied. Haider scharte junge Männer in ihren
frühen Zwanziger um sich, die er in höchste Ämter hievte – seit Jahren
hat sich dafür der Begriff „Buberlpartie“ eingebürgert. Man konnte nie
so recht unterscheiden, ob man es nun mit einer Partei oder einer Bande
von Halbstarken zu tun hat, die sich in ihren rabiaten Gesten
gegenseitig übertreffen wollten, nach Dienstschluss aber dem Anything
Goes frönten. Diese Männer waren emotional von Haider stark abhängig,
wurden von ihm immer wieder auch verstoßen. Dass er sich zu
gutaussehenden, männlichen Twens hingezogen fühlt, hat Haider übrigens
auch nie zu verbergen gesucht. „Verblüffend unverkrampft“, sei er in
dieser Hinsicht gewesen, berichtet das Nachrichtenmagazin „profil“ in
seiner jüngsten Ausgabe: „Bei einem Interviewtermin interessierte er
sich mehr für die Meinung des jungen Fotoassistenten als für die Fragen
der Redakteure.“ Einmal haben seine engsten Mitarbeiter Haider sogar
gebeten, etwas vorsichtiger zu sein. Im Klagenfurter „Stadtkrämer“
jedenfalls waren Haider und Petzner häufig gesehene Gäste, und dass die
beiden ein Paar sind, nahm jeder für selbstverständlich.
 
Es ist eine der Pointen der Geschichte,
dass Haider zu Lebzeiten stets über dieses Thema schwieg, zweieinhalb
Wochen nach seinem Tod aber alle Welt davon ausgeht, seine
Homosexualität sei gesichertes Faktum. Freilich, wie genau sich Haiders
Privatleben gestaltete – wir wissen es nicht. Vielleicht hielt er
Fassaden krampfhaft aufrecht, vielleicht spielte er auch fröhlich mit
seinen Identitäten, wie er das zeitlebens auch mit seinen Provokationen
tat.
 
Warum die Antwort auf diese Fragen interessant ist? Weil Haider stets seinen Charakter in politischen Stil verwandelte.

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