Schwierigkeiten mit der Konsumkritik

Konsumismus zwischen dürrer Affirmation und plumper Verteufelung. Eine Umkreisung.

Mein Beitrag aus: Franz Vranitzky: Themen der Zeit II. Passagen-Verlag, Wien, 2008, 414 Seiten, 48.- Euro

Das Einkaufen ist ins Gerede gekommen. Zunehmend wird wieder die Frage aufgeworfen, was die Konsumkultur aus den Menschen macht, was das denn für ein Wesen sei – der Homo Shoppensis. Nehmen wir nur ein paar der Titel aus der hübschen kleinen Bibliothek, die da in den vergangenen Jahren zusammen gekommen ist. Naomi Klein attackierte in „No Logo“ die multinationale Power-Brands und wurde damit, wie nebenbei, gleich selbst zu einer globalen Marke in der Gesellschaftskritik-Branche. Wolfgang Ullrich erklärt in „Haben-Wollen“ auf – seinem Gegenstand gegenüber – sehr zärtliche Weise, wie sie denn funktioniert, die Konsumkultur. Judith Levine wiederum erzählt uns in „No Shopping“, wie es sich so lebt, wenn man ein Jahr lang nur das Notwendigste kauft (schlecht nämlich). In „Gute Marken, schlechte Marken“ berichtet Stefan Kuzmany auf amüsante Weise über seine Versuche, ein guter Mensch zu werden, das heißt, nur Güter zu konsumieren, die ökologisch nachhaltig und sozial korrekt hergestellt sind. Neil Borman hat all seine Markenklamotten verbrannt und dieses Konversionserlebnis in „Good Bye, Logo“ beschrieben, ein Buch, das jetzt andere kaufen dürfen. Und Benjamin Barber schließlich legt in seinem Buch „Consumed! Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt“ mit einer gehörigen Prise Kulturpessimismus dar, was denn so die Resultate des Konsumismus seien: Narzissmus, Verantwortungslosigkeit, Verschwinden des Bürgersinns, Kulturverlust.

 

Das ist insofern schon bemerkenswert, als die „Kommerzkritik“ ja in den fünfziger und sechziger Jahren ihren ersten Höhepunkt hatte, von Vance Packards „Geheimen Verführern“ bis zu Wolfgang Fritz Hauggs „Kritik der Warenästhetik“ etwa. Später wurde eher „der Kapitalismus“ als ganzer kritisiert (von der neuen und der radikalen Linken), oder man hat versucht, ihn optimal am Laufen zu halten, etwa mit den Mitteln der keynesianischen Globalsteuerung, wozu ein ganzes Set an Maßnahmen zählte, die im Wesentlichen auf die Ausweitung der Produktion zielten. Zwar spielt der Konsum auch darin eine Rolle, war aber, „Nachfrage“ genannt, entschieden positiv konnotiert. Was denn die konsumierenden Subjekte so nachfragen, und warum sie das tun, spielte eher eine untergeordnete Rolle, Hauptsache, sie kaufen kräftig ein und sorgen dafür, dass die Wirtschaft brummt. John Maynard Keynes, der ja gerne den akademischen Elfenbeinturm verlassen hatte, rief schließlich schon in den dreißiger Jahren im Radio die Briten zum kräftigen Einkaufen auf: „Darum, ihr patriotischen Hausfrauen, brecht gleich morgen früh auf und geht zu den wundervollen Ausverkäufen, die überall angezeigt sind. (…) Denn jetzt hilft es nicht weiter, wenn wir den Gürtel enger schnallen, vielmehr brauchen wir eine Stimme des Wachstums und der Aktivität.“ Schon damit war klar, dass Konsumieren kein Nebenaspekt der Ökonomie ist. Im „consumer-driven Capitalism“ schließlich würde die wirtschaftliche Stabilität ganz wesentlich von der Konsumnachfrage abhängen. Heute hat das manche bizarre Aspekte: die Aufrufe etwa, auf Pump einzukaufen, was zu regelrechten verschuldeten Gesellschaften führt, wie die jüngste US-Kreditkrise gerade vor Augen führte.

 

Die Kommerzkritik war jedenfalls lange aus der Mode gekommen. Nicht, dass von Seiten eines humanistischen Marxismus nicht gelegentlich die „Entfremdung“ beklagt wurde, die „falschen Bedürfnisse“, die der Kapitalismus den Menschen aufschwatze, aber diese Anklage war doch wesentlich ein Indiz in einem viel grundlegenderen Prozess, der dem Kapitalismus gemacht wurde. Doch es machte sich auch die Einsicht breit, dass mit dieser klassischen „Kommerzkritik“ etwas nicht stimme. Sie beschrieb die zeitgenössischen Subjekte ja als willenlose Marionetten, bewegt von unsichtbaren Fäden, an denen die Werber zupften. Ja, sie hatte auch eine in mehrerlei Hinsicht paternalistische Schlagseite: Erstens beschrieben die Kritiker eine Welt, in der alle manipuliert wären, außer eben die paar heroischen Kritiker, die aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen immun waren gegen die totalisierenden Zugriffe der Bewusstseinsindustrie. Zweitens unterstellte die These von den „falschen Bedürfnissen“, dass es so etwas wie ein echtes, authentisches Menschentum gäbe, dem „echte Bedürfnisse“ entsprächen. Aber was sind eigentlich, wenn Grundbedürfnisse wie essen, trinken, ein Dach über dem Kopf einmal gestillt sind, bei einem gesellschaftlichen und historischen Tier wie dem Menschen, „falsche Bedürfnisse“? Der Umstand, dass er sie einstmals nicht hatte, heute aber bestimmte Bedürfnisse historisch und gesellschaftlich produziert sind, ist so banal wie unergiebig für Kritik – Musik hören, Bücher lesen, die Gesellschaft kritisieren sind letztlich auch „produzierte“ Bedürfnisse. Drittens schließlich, und dies ist unmittelbar mit der zweiten Schlagseite verbunden, steht ja sofort die Frage im Raum, wer denn dann entscheidet, was als gutes und was als schlechtes Bedürfnis durchgeht. Wer bin ich denn, dass ich mir anmaßen darf, zu sagen: das was Du kaufst, ist schlecht für Dich, auch wenn Du glaubst, es sei gut für Dich?

 

Die Postmoderne hat daraufhin ihren Frieden mit der bunten Glitzerwelt gemacht, mit Medien, Pop, den neuen Technologien. Da nichts »wahrer« oder »echter« als das Andere ist, galt aus dieser Perspektive alles, was existiert, als gleich gut, und alles, was auf irgendeine Weise real ist, als interessant (und manchmal: Je virtueller die Realität, umso interessanter). Kritik ließ sich von diesem Standpunkt aus eigentlich nicht mehr vorbringen – zumindest keine Kritik an den Dingen. Umso schneidender war der Hohn über die falschen Formen der Kritik. Der Spott über »Gutmenschen«, »Wohlfühllinke« und »Alt-68er«, der in manchen Kreisen zum guten (besser: schlechten) Ton gehört, hat nicht zuletzt darin seinen Ursprung.

Aber auch diese leere Affirmation erwies sich als unbefriedigend. Denn schließlich ließ sich nicht übersehen, dass mit der Delegitimierung der Kritik das Unbehagen an der Kommerzkultur nicht einfach verschwand.

 

Man sollte es nicht glauben: die Menschen, die finden, dass Einkaufen doch nicht der Sinn des Lebens sein kann, sie sind einfach nicht ausgestorben.

 

Wie müsste man also eine Kritik am Konsumismus formulieren, jenseits von platter Verteufelung und dürrer Affirmation? Und welche Auswirkungen hat das, auch heute schon, auf den Konsum selbst?

 

Eine gängige Kritik am konsumierenden Subjekt lautet ja folgendermaßen. Es glaubt: „Ich bin, was ich kaufe.“ Dies wird, von den Kritikern, gelegentlich mit Hohn, gelegentlich mit Ekel vorgetragen. Tatsächlich hat das konsumierende Subjekt damit natürlich nicht unrecht, unabhängig davon, ob wir das jetzt gut oder schlecht finden. Die Dinge, die wir kaufen, sind mit Bedeutung verbunden, symbolisch aufgeladen, mit Image versehen. Dies war in gewissem Sinne immer schon so, hat im zeitgenössischen Kapitalismus aber eine neue Qualität angenommen. Produkte haben Kultur. Nicht mehr der Gebrauchswert einer Ware ist für ihren Erfolg entscheidend, denn es gibt meist genügend andere Waren, die sich in praktischer Hinsicht von ihr nicht unterscheiden. Sanfte Konsumfaktoren wie die „Persönlichkeit“ der Marke sind heute viel wichtiger.

 

Keine Firma kann es sich heute mehr leisten, ein Produkt einfach so auf den Markt zu werfen. Das moderne Unternehmen ist ein Kulturunternehmen; der zeitgenössische Kapitalismus, nach einem Wort des amerikanischen Trendforschers Jeremy Rifkin, ein »Kulturkapitalismus«. Eigentlich würde schon die Formulierung, das Image ist so bedeutend wie der Gebrauchswert, zu kurz greifen. Denn oft ist das Image der eigentliche Gebrauchswert. Design ist nicht nur Reklame, die den Verkauf befördern soll, das Design ist das eigentliche Produkt. »Was wir auf dem Markt kaufen«, meint der slowenische Philosoph Slavoj Žižek, »sind immer weniger Produkte und immer mehr Lebenserfahrungen wie Essen, Kommunikation, Kulturkonsum, Teilhabe an einem bestimmten Lebensstil«. Die materiellen Objekte sind lediglich »Requisiten« dessen, was eigentlich verkauft wird.

Es ist das Geschäftsmodell der Firma Nike, das Žižek so perplex machte.

 

Nike ist das reinste Exempel für eine Firma, die einen Lebensstil verkauft, nicht Produkte. Denn die Güter, die Nike verkauft – etwa die Turnschuhe mit dem berühmten Swoosh, dem Logo der Firma – , werden von »unabhängigen« Zulieferern in Sweatshops in der Dritten Welt produziert. Sie sind natürlich das Simpelste an der gesamten Operation. Was Nike, also die Unternehmenszentrale, »produziert«, ist im Wesentlichen die Eroberung der Märkte – und das Instrument hierfür ist das Image der Marke. Weder Gebrauchswert noch Qualität des Dinges entscheiden über seinen Erfolg, sondern seine »Kultur«. Ist er Kult, dann läuft er, der Turnschuh. „Heute“, schreibt der britische Marketingguru Wally Olins, „setzen wir die funktionellen Charakteristika eines Produkts einfach als garantiert voraus, was die Marke auszeichnet, ist ihr Image.“ Warenästhetik, das Image der Ware, bieten eine Identifikationsmöglichkeit. Wir kaufen den i-Pod nicht nur, weil sich damit Musik abspielen lässt (das lässt sich mit allen anderen MP-3-Playern auch), sondern weil wir zur i-Pod-Community zählen wollen, mit der wir eine Reihe von Eigenschaften wie hippness, trendyness verbinden. Wir kaufen unsere Identität zusammen. Das ist natürlich eine sehr bestürzende Einsicht, denn wer will schon die Summe der von ihm konsumierten Identity-Goods sein? Avancierte Konsumenten kaufen deshalb bewusst die Dinge nicht, die von vielen anderen Konsumenten gekauft werden, sondern sie kaufen sich Dinge, die sie als eigensinnige, selbst denkende Subjekte auszeichnen. Sie sind, was sie nicht kaufen, oder besser, sie sind, was sie stattdessen kaufen. Es ist also gar nicht so leicht, dem Sog des Identity-Shoppings zu entgehen. Man könnte ironisch sagen: Wenn das Versprechen der Konsumgesellschaft das der grenzenlosen Auswahl ist, dann gibt es für den Bürger genau eines, was für ihn nicht zur Auswahl steht: kein Konsument zu sein.

 

Aber was genau ist daran schlecht? Selbst wenn ich mein Ich erst über Konsum konstituiere, habe ich in der Realität doch meist relativ klare Vorstellungen darüber, wer »ich« in etwa sein will (auch wenn es trügerische Vorstellungen sind, deren Urheber nicht ausschließlich ich bin), und die Waren hindern mich in der Regel nicht etwa daran, sondern können mir sogar dabei helfen. Deshalb die durchaus erfreuliche Behauptung von Eva Illouz: »Die Waren behindern und unterdrücken das Ich nicht, sondern dienen vielmehr als nützliches Hilfsmittel für dessen dramatische Steigerung.« Da die Auswahl an Waren tendenziell unbegrenzt ist, haben wir vielerlei Accessoires zur Hand, welche noch die detaillierteste Modellierung unseres Ich zulassen. Natürlich wäre es auch etwas vorschnell, zu sagen, dass der Konsument Produkte ob ihrer Warenästhetik erwirbt, weil diese zu seinem persönlichen Lebensstil passen, gewissermaßen zu seinem »Selbst« – nicht zu Unrecht weist Gerhard Schulze darauf hin, dass »das Selbst zumindest teilweise über ästhetische Handlungen erst konstruiert wird und sich mit dem Stil ändert«. Das Selbst ist also nicht vor den Produkten da, sondern wird mit deren Hilfe erst modelliert. Aber auch das muss nicht gar so tragisch sein: Dass wir nie die alleinigen Autoren des eigenen Lebensskripts sind, diese narzisstische Kränkung wird der Mensch aushalten müssen – ob er sein „Ich“ nun mit Hilfe von verkehrt herum getragenen Baseball-Mützen oder durch die Lektüre von Sartre- und Camus-Büchern modelliert (und sich hinterher einen schwarzen Rollkragenpulli kauft), er wird in aller Regel nicht der erste sein, und sein „Ich“ wird with a little help anderer „Ichs“ konstituiert.

 

Kurzum: Der zeitgenössische Kapitalismus zeichnet sich dadurch aus, dass wir zu einer Ware immer auch etwas dazu bekommen: ein gutes Gefühl, ein Erlebnis, Moral, Kultur, was auch immer. Das muss, wie wir gesehen haben, nicht grundsätzlich schlecht sein. Aber wir bekommen, alles im allem, damit auch den „Konsumismus“ dazu, und das muss nicht immer gut sein. Wenn wir die Sache in all ihren Aporien betrachten wollen, dürfen wir natürlich auch unsere Augen nicht vor der „konsumistischen Mentalität“ verschließen. Will man diese Mentalität des „Homo Shoppensis“ beschreiben, dann stößt man schnell auf oft erwähnte Charakteristika, die da wären: diese schwer definierbare Unersättlichkeit, der Umstand, dass der Erwerb nicht satt macht, sondern nur den Appetit anregt; jene Art des Begehrens, wie sich im Anschluss an den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan sagen ließe, die das begehrte Objekt nie in Besitz zu bringen vermag; den „Kaufoholismus“, das Steigerungskalkül und die vielen Strategien, den »Lustgewinn« auf Dauer zu stellen, wie man sie ansonsten eher aus der Drogenszene kennt; der Verlust eines Bewusstseins der Unverfügbarkeit und dessen Ersatz durch eine immanente Glückserwartung, verbunden mit der Orientierung auf den prinzipiell grenzenlosen Erwartungshorizont, auf den diese vertraut – auf den Markt; der Drang, das Neue durch das Neueste zu ersetzen, der Erlebnishunger, der alle sozialen Aktivitäten durchzieht – nicht nur das Shopping im engen Sinn. Jedes soziale Verhalten trägt schon das Kainsmal der Konsumorientierung auf der Stirn. Es ist nicht schwer, die strukturelle Ähnlichkeit zwischen der Sucht nach immer neuen Produkten und dem Hunger etwa nach Liebeserlebnissen auszumachen, beruht doch, wie Eva Illouz schreibt, der »Konsum auf dem Drang nach Erregung, denn der Kauf und die Erfahrung neuer Waren sind eine Quelle der Freude, und die Affäre befriedigt mit all der Erregung eines neuen Liebhabers diesen Drang ebenso«. Wie viel von dieser Gier nach Neuem ist, salopp gesagt, anthropologische Konstante, wie viel ist Zurichtung des konsumistischen Subjekts? Und gewiss ist all das nicht das einzige Kritikwürdige am konsumistischen Orbit. So muss natürlich gefragt werden, was die Konsumkultur mit unseren Städten macht – Shopping Malls unter freiem Himmel -, ebenso, auf wessen Kosten das westliche Konsummodell geht.

 

Freilich, gänzlich eindimensional sind die Dinge nicht. Schon die Beschreibung des Konsumbürgers als infantilisierten Erwachsenen, der stets nur „Ich will…!“ ruft, ist ja eher eine Karikatur. So wie wir Marken und Stile mischen, spielen wir ja nicht nur eine einzige Rolle. Man kann sich den infantilen Vergnügungen an der Playstation widmen und trotzdem in einer NGO engagieren; Pick n‘ Mix, das Prinzip, mit dem viele innerhalb des Kontextes der Warenwelt agieren, bestimmt auch ihr Verhalten in einem weiteren Kontext. Und politisches Engagement, Moral mithin, beeinflusst nach und nach auch das Verhalten auf Märkten. Die Beschreibungen der „Marktsubjekte“ als „Homo Oeconomicus“, die bloß nach pekuniärer Rationalität entscheiden und sich nur am wirtschaftlichem Eigennutz orientieren, sind ohnehin ökonomische Stereotypisierungen und werden den realen Vorgängen und Kaufentscheidungen keineswegs gerecht.

 

Es gibt daher auch das, was der Sozialwissenschaftler Nico Stehr die „Moralisierung der Märkte“ genannt hat. „Der Trend geht zum Guten“, schrieb die deutsche „Wirtschaftswoche“ unlängst. Eine regelrechte Bewegung habe „die gesamte Wirtschaft erfasst und wird die Konsumentenmärkte des 21. Jahrhunderts verändern – und in der Folge auch die Art und Weise, wie wir arbeiten, wohnen, Freizeit und Urlaub verbringen.“ Der bewusste Konsument ist in aller Munde. Aber was kann er wirklich? Schon verlost sogar die „Bild am Sonntag“ Öko-Waschmaschinen, und Tanja Busse, Autorin des Buches „Die Einkaufsrevolution“, sagt: „Einkaufen ist wie wählen gehen.“ Soll heißen: Wir können die Welt an der Ladenkasse verändern. Früher hätten Weltverbesserer noch gesagt: „Packen wir’s an.“ Heute sagen sie: „Packen wir’s ein.“ Das richtige, nicht das falsche. Die Ökokorrektness ist der Dernier Crie, Al Gore, Leonardo DiCaprio und Cameron Diaz sei es gedankt. Aber hinter dem neuen Ökochic steht auch ein Versprechen: Dass eine Verbesserung der Welt nicht auf Verzicht hinaus laufen muss. Lassen wir einmal beiseite, ob Fred Grimm mit dem griffigen Titel seines Buches wirklich recht hat, das da heißt: „Shopping hilft die Welt verbessern.“ Die Einwände sind bekannt: Alles nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wirklich nachhaltiges Konsumieren liefe auf die Befolgung des unerfreulichen Ratschlags hinaus, den Stefan Kuzmany folgendermaßen formuliert: „Bleiben Sie zu Hause. Heizen Sie nicht.“ Gewiss werden sich soziale und ökologische Probleme nicht nur durch „bewussten Konsum“ verbessern lassen, auch die magische „Corporate Social Responsibility“ allein wird es nicht richten. Andererseits ist es sicher nicht verkehrt, wenn Konsumenten Güter kaufen, an denen kein Blut klebt und wenn Firmen panische Angst davor haben, man könnte ihnen unmoralisches Handeln vorwerfen, weil dann das Image des Unternehmens – seine wichtigste Ressource – in den Keller rasselt. Und umgekehrt gilt: Moral bringt Profit.

 

Aber egal, wie weit reichend die realen Konsequenzen des bewussten Konsums auch sein mögen, so ist er doch ein schlagendes Exempel für die symbolische Seite des Einkaufens. Gerade das von vielen verdammte Hauptcharakteristikum des Konsumkapitalismus ist auch der Motor dieses Wandels: dass wir Güter kaufen, um unsere Identität zum Ausdruck zu bringen, dass wir sie nicht ihres Gebrauchswertes wegen erwerben, sondern wegen des Images, wegen der Gefühle, die wir mit ihnen verbinden. Wer Fair Trade einkauft, kriegt zum Kaffee ein gutes Gewissen dazu. Umgekehrt wollen immer weniger Menschen ihre Identität mit Umweltzerstörung und Menschenschinderei verbinden. Haltung wird zum Lifestyle. Das Shopping wird politisch. Man könnte all dies optimistisch lesen: Es ist doch nicht alles totaler Markt. Wenn wir von Werten reden, haben wir also doch nicht automatisch nur Preise im Kopf. Und natürlich könnte man auch fragen: Warum soll man den Konsumismus kritisieren, wenn er auch so erfreuliche Erscheinungen zeitigt? Freilich ist auch eine deprimierendere Lesart möglich: Der Markt ist derart total, dass wir politische Haltung nur mehr als Marktverhalten imaginieren, politischer Aktivismus lässt sich nur mehr als „politisches Konsumieren“ vorstellen. Selbst die Weltverbesserung wird in der Logik des Marktverhaltens betrieben. Dem entspricht, dass sich Politiker heute wie Seife oder Waschmittel präsentieren, sich „verkaufen“, dass es im politischen Wettbewerb ganz wesentlich um die „Aura der Marke“ geht.

 

Es gibt ein Unbehagen am Konsumismus. Dies hängt mit dem Umstand zusammen, dass sich kaum mehr negieren lässt, wie sehr unser Konsumstil für globale Krisen verantwortlich ist – Klimakrise, Energiekrise, Nahrungsmittelkrise. Aber das Unbehagen erschöpft sich nicht in diesem Umstand. Es ist ohne Zweifel auch so, dass ein Leben in Wohlstand seine eigenen, spezifischen Gefühle von Unlust, Stress, Unzufriedenheit nach sich ziehen kann. Schlagwörter von der „Tretmühle“ oder die Sehnsucht nach „Work-Life-Balance“ sind nicht zufällig heute en vogue. Jedenfalls finden die Themen, die zentral für „alternative“ Gruppen waren, zunehmend „in der Mitte der Gesellschaft“ Anklang, wie Kate Soper und Lyn Thomas in „Cultures of Consumtion“ schreiben. Sie sprechen in dem Zusammenhang vom Aufstieg der „alternativen Hedonisten“, einem gesellschaftlichen Trend, der dem Massenkonsummodell nicht die Askese, sondern gerade selbst hedonistisch grundierte Vorstellungen von einem „guten Leben“ entgegensetzt. Diese Ideen haben ihrerseits längst die Massenkultur erreicht, wie sich am Boom der Kochshows oder dem Hobbygärtnern zeigt, aber auch an der Bedeutung ablesen lässt, die alltagsästhetischen Fragen zugeschrieben wird (in Abgrenzung zum Grellen des „oberflächlichen Kommerzes“). In diesem Sinne wächst im Inneren der Konsumismus eine Kritik am Konsumismus, die ihrerseits in konsumierbaren Formaten (Fernsehen, Bücher, Pflanzenmarkt, Biosupermarkt) auftritt. Dies führt zu den schönsten Paradoxa, leicht könnte man diese Form tätiger Konsumkritik selbst der Konsumkritik unterziehen. Fruchtbarer ist womöglich, sie als zeitdiagnostisch interessantes Phänomen zu behandeln, als Symptom.

Ein Gedanke zu „Schwierigkeiten mit der Konsumkritik“

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