Frei sein, freundlich sein

Terry Eagleton, der berühmte britische Salonmarxist, macht sich auf die Suche nach dem Sinn des Lebens. Und findet den Jazz. taz und Standard, Dezember 2008

 

 

 

Manche machen Yoga, andere kündigen ihren festen Job, um endlich „ihr Ding“ zu machen, wieder andere lassen sich vom Fernsehprediger bekehren, kaufen sich ein Buch von Peter Hahne oder traben mit Hape Kerkeling über den Jakobsweg. Oder versuchen bei Attac die Welt zu verbessern. Oder beklagen die „Entfremdung“. Was sie verbindet, ist, dass sie ihrem Leben einen Sinn geben wollen, der sich nicht im Hamsterrad aus Büro, Shopping, Disco erschöpft. Das Thema ist en vogue.

 

Aber gibt es überhaupt einen „Sinn des Lebens“? Ist das nicht ein viel zu großes Thema, eines für „Verrückte oder Komiker“ fragt Terry Eagleton, der britische Salon-Marxist, der erst vergangenes Jahr ein Buch über Jesus herausgebracht hat. Er macht sich, auf gewohnt leichtfüßige Weise, auf die Suche.

 

Freilich, bevor man sich in diesem Fall ans Antworten macht, muss man erst einmal klären, was das für eine Frage ist: Der Sinn des Lebens. Die Menschen haben sich aus der Ursuppe entwickelt, werden geboren und sterben. Inwiefern soll ein solches Leben „Sinn“ haben? Muss man nicht einen Gott imaginieren, also einen Anderen, der hier Sinn investiert? Heißt Sinn so etwas wie „Zweck“, wie die Mikrowelle, deren „Sinn“ darin besteht, Essen aufzuwärmen? So gesehen haben die Menschen – und somit „das menschliche Leben“ im allgemeinen –  keinen „Sinn“. Insofern annonciert die Frage schon einen Verdacht: den der Sinnlosigkeit. Sie würde nicht gestellt, wäre da nicht ein diffuses Gefühl: Vergänglichkeit. Innere Leere. Verlust an Gewissheit. Eagleton: „Sollten Sie sich gezwungen sehen, intensiv über den Sinn des Daseins schlechthin nachzudenken, kann man jede Wette eingehen, dass die Welt aus den Fugen geraten ist. Die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens ist etwas anders, könnte man doch behaupten, dass Selbstreflexion normaler Bestandteil eines erfüllten Lebens sei.“ Das Gefühl radikaler Sinnlosigkeit kam erst mit der Moderne auf, als die alten Gewissheiten zerbrochen waren. Vorher musste man über den Sinn des Lebens nicht nachdenken.

 

Freilich lassen sich Sinn des „Daseins schlechthin“ und individueller Sinn nicht so leicht trennen. Wer seinem eigenem Leben „Sinn“ geben will, der bastelt möglicherweise an sich herum, aber nie aus freien Stücken: Das Sinngeschraube ist keine reine Privatangelegenheit. Man kann über „Sinn“ nie gänzlich selbst bestimmen. So, wie man nicht einfach behaupten kann, die Bedeutung des Wortes „Tisch“ ist „ein türkises Auto“, genausowenig kann man sagen, der Sinn des Lebens ist es, Babys zu erwürgen. Dies wäre, selbst für einen Triebmörder, eine absurde Formulierung. Dagegen wäre der Satz, der Sinn des Lebens bestehe darin, die Welt als besseren Platz zu hinterlassen, oder intensive Erlebnisse zu haben, durchaus denkbar. Eagleton: „Viele zentrale Aspekte des persönlichen Lebens sind ganz und gar nicht persönlich.“

 

Insoferne hat es etwas durchaus kurzschlüssiges, wenn heute viele Menschen bei der Sinnsuche bei individuellen Selbstverbesserungsstrategien landen oder sich ihren „privaten“ Glauben zusammenbasteln. Sinn ist für ein soziales Tier wie den Menschen nichts, das sich auf solitäre, kontemplative Weise finden lässt, meint Eagleton. Leider heißt das nicht automatisch, dass es noch so etwas wie eine zentrale Instanz gäbe, die den Sinn bestimmen kann. Auch wenn wir nicht völlig frei sind in unserer Sinngebung, so gibt es doch mittlerweile eine Auswahl von Antworten: Glück, Liebe, Freiheit, Kontemplation, Begehren, Verzicht, Achtung der Mitmenschen, intensive Erfahrungen, Wohlleben.

 

Eagletons Pointe ist nun: Möglicherweise gibt es keinen Sinn, aber wenn es einen gibt, dann lässt er sich nicht in ein Wort fassen. Als soziales Lebewesen kann der Mensch seinem Leben nur praktisch Sinn geben, in Gestalt einer Lebensweise. Eher nichts, worüber man redet, eher eine Art, zu tun. Liebe, Glück – verstanden als Praxis, nicht als Gemütszustand. Der Sinn des Lebens ist mit anderen so zu leben, dass sich eine komplexe Harmonie ergibt. Von der Art und Weise, wie eine Jazzband spielt. „Eine Jazzband unterscheidet sich bei ihren Improvisationen offensichtlich von einem Symphonieorchester, da die einzelnen Mitglieder der Band in ihrem musikalischen Ausdruck frei sind.“ Aber sie nehmen auch auf die Anderen Rücksicht.

 

Der Sinn des Lebens: Frei sein, freundlich sein. Terry Eagleton hat ein vergnügliches Buch über das Sinnsuchen geschrieben. Dass es auch ein Buch über das Sinnfinden ist, ist nicht gesagt.

 

Terry Eagleton: Der Sinn des Lebens. Ullstein-Verlag, Berlin, 160 Seiten, 18.- Euro.

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