Gier schadet

Warum die neoliberale Irrlehre so grandios gescheitert ist. Für die Relaunch-Ausgabe von SPÖ-Aktuell

 

 

 

Wir haben sie noch in den Ohren, die Parolen: Weniger Staat, mehr Privat. Konkurrenz und ungehinderter Wettbewerb würden bessere Produkte, günstigere Preise und stetiges Wachstum stimulieren. Motto: „Wenn jeder an sich selbst denkt, dann ist an alle gedacht.“ Selbst in einem noch relativ intakten Sozialstaat wie Deutschland sind die Einkommen der ärmeren Schichten seit 1992 preisbereinigt um 13 Prozent gesunken. Ganz oben legte man sich gerne zwanzig Prozent dazu. Jährlich, wohlgemerkt.

 

Das war nicht nur ein politisches und ökonomisches Programm der Ungleichmacherei, flankiert war diese ideologische Offensive durch die Propagierung eines regelrechten Menschenbildes: Aller Ton lag auf dem Initiativgeist des unternehmerischen, „selbstverantwortlichen“ Individuums. Der Wohlfahrtsstaat, der Menschen gegen Notlagen absichert und auch Unterprivilegierten Lebenschancen sichert, wurde in Frage gestellt. Er wurde sogar als „unmoralisch“ verleumdet – weil er es den Losern erlaube, es sich in der „sozialen Hängematte“ bequem zu machen, fördere er die Faulheit und die Amoral der unteren Schichten, hämmerten neokonservative Leitartikler.

 

Der Zeitgeist setzte auf Deregulierung vieler Märkte – insbesondere der Finanzmärkte. Börsengeschäfte waren von purem Gezocke mit freiem Auge kaum mehr unterscheidbar. Es ist eine Pointe der Geschichte, die lustig wäre, wenn sie für viele nicht so tragisch endete, dass diese Aufblähung der Spekulationsmärkte die globale Marktwirtschaft beinahe zerstört hätte. Es ist kaum übertrieben zu formulieren: Der Kapitalismus hat nur überlebt, weil der Staat ihn gerettet hat. Banker haben sich jahrelang astronomische Bonuszahlungen gegönnt, oft haben sie waghalsige Firmenkonstruktionen gespannt, nur um Steuerzahlungen zu vermeiden. Im Moment des Crash‘ pilgerten sie aber zum Staat, um sich von den Regierungen heraushauen zu lassen. Soviel zur „Selbstverantwortung“.

 

Man nennt das „Marktversagen“. Die neoliberale Irrlehre ist grandios gescheitert. Wir können jetzt sagen: Wir haben es immer schon gewusst – We told you so! Aber Triumphalismus ist fehl am Platze. Die spekulative Aufblähung führte zu Kreditwachstum und es steigerte die Konsumnachfrage. Das Platzen der Blase hat nun umgekehrt den Effekt, dass Unternehmen, die investieren wollen, keine Kredite mehr bekommen und die Konsumenten weniger Geld haben. Nur durch massive staatliche Konjunkturprogramme kann jetzt eine lange, tiefe Krise verhindert werden.

 

„Dass rücksichtsloser Egoismus in moralischer Hinsicht falsch ist, wussten wir schon; jetzt wissen wir, dass er auch in wirtschaftlicher Hinsicht falsch ist“, sagte der große US-Präsident Franklin D. Roosevelt in den dreißiger Jahren.

 

Ein Gedanke zu „Gier schadet“

  1. Kapitalismus ist ein Wertesystem. Gehandelt wird in erster Linie mit Moral. Nur weil die Moral am Boden ist, ist das System noch nicht gescheitert. Am Beginn stand unter anderem Gewaltlosigkeit. Die Randerscheinungen sind jedoch hoch fragwürdig. Nur ist der Kapitalismus wirklich Ursprung dessen? Gibt es vielleicht doch noch mehr Faktoren? Wie steht es mit Demokratie? Ist Demokratie gewaltlos? Warum führen Demokratien internationale Kriege, während es Diktaturen eher national tuen? Ich möchte mir kein abschließendes Urteil erlauben. Doch ich möchte zumindest die schnell ausgesprochenen Vorurteile in Frage stellen. Sind wir alle gescheitert? Was ist die Lösung? Wo wollen wir hin?

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