Der überforderte Kapitalismus

Mit einer Billion Dollar will die Obama-Regierung den Finanzmarkt retten. Jetzt zeigt sich: Der Neoliberalismus hat die Welt ins größte Desaster seit Hitler und Stalin geritten. taz, 12. Februar 2008

 

 

1.000.000.000.000, eine Billion Dollar, soviel will die Obama-Regierung in die Finanzwirtschaft pumpen. Wohlgemerkt: Nur ins Bankensystem. Rund 800 Milliarden zur Stimulierung der einbrechenden Konjunktur kommen noch dazu. Eine irre Zahl, mit viel Symbolwert. Das ist nicht nur ein „Hilfsprogramm“, das den privaten Investoren die Verluste abnimmt, nachdem sie jahrelang die Gewinne privat eingesackt haben. Wie immer der Plan von US-Finanzminister Timothy Geithner im Detail aussehen wird, der Staat wird die Bedingungen diktieren. Im Extremfall werden Banken, deren „Wert“ negativ ist – die also praktisch insolvent sind – verstaatlicht werden. Die Idee daran: Wenn die Finanzhäuser mal wieder saniert sind, werden nicht die heutigen Investoren verdienen, sondern das Gemeinwesen wird hoffentlich einmal wieder etwas zurück erhalten. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit.

 

Noch gibt es ein paar Unentwegte, die uns immer noch sagen, dass dies, mag es auch gerecht erscheinen, ökonomisch der ganz falsche Weg sei. Schließlich sei der Staat doch ein schlechter Unternehmer. Nun, das mag sein. Aber ein schlechterer Unternehmer als die, die dort gegenwärtig das Sagen haben, kann er gar nicht sein.

 

Der Staat ist zurück. Für einen Augenblick wollen wir festhalten, wie paradox das ist. Die „Mehr-Privat,-Weniger-Staat“-Ideologie war ja aus den USA über die westliche Welt geschwappt. Und schon „Ideologie“ ist nur ein Hilfsausdruck. Denn es war ja nicht eine Idee schwindliger Ideologen, sondern Regierungspraxis. Mit Ronald Reagan war ein Präsident ins Weiße Haus eingezogen, der von der Spitze der Regierung stets bekundete, dass Regierungen letztendlich etwas Schlechtes sind. Ein Regent, der gegen das Regieren regierte. Unter George W. Bush setzte sich diese Tragödie als Farce fort. Eines der Kuriosa dieses Sachverhalts ist, dass deshalb diese Ideologie auch nicht Schaden nahm, wenn ihre Verfechter grottenschlecht regierten. Das war dann gewissermaßen die Bestätigung der Ideologie, konnten sie ja einwenden: „Ja, Regierungen sind eben etwas Schlechtes, haben wir ja immer schon gesagt.“ Gut sind die Märkte, die Privatinitiative, die unsichtbare Hand. Schlecht sind die Institutionen, die Regeln, die Ämter, die Bürokraten.

 

Bis zum vergangenen Herbst. Da ist, nach dem Infarkt der Finanzmärkte im Folge der Lehman-Pleite, der Kapitalismus nur deshalb nicht kollabiert, weil der Staat ihn gerettet hat. Es war die größte Staatsinterventions- und Nationalisierungwelle seit Wladimier Illitsch Lenin.

 

Aber jetzt zeigt sich, dass die die aberhunderten Milliarden, die seit Herbst in den Finanzsektor gepumpt wurden, dass die konzertierten Aktionen der wichtigsten Notenbanken nicht ausgereicht haben. Das globale Finanzsystem ist zu sehr beschädigt. In den Bilanzen der Banken schlummern faule Kredite und unberichtigte „Werte“ – also krass überbewertete Wertlosigkeiten – in exorbitanter Höhe. Deswegen macht sich erst in den letzten Wochen wirkliche Katastrophenstimmung breit. Man hat sich, bei allem Desaster, bisher noch in der Sicherheit gewogen, dass die sechzig, siebzig global „systemrelevanten“ Banken und Investmenthäuser „too big to fail“ sind und somit vom Staat im Extremfall gerettet würden. Dass das Vertrauen schon zurückkommen und auch die Kreditmärkte wieder in Schwung geraten werden. Aber was, wenn der Schuldenberg so hoch ist, dass das nicht mehr geht?

 

Genaue Daten kennt niemand, stattdessen raunt man sich Horrorzahlen zu. 2000 Milliarden an faulen Krediten in den Bilanzen deutscher Banken. 270 Milliarden an ausständigen Darlehen in den Bilanzen österreichischer Banken, zum Großteil Kredite in Osteuropa. Noch sind es „nur“ die Schrottpapiere wie jene „Asset Backed Securities“ – die berühmten Bündel amerikanischer Immobilienkredite – die die Löcher reißen. Aber diese Vermögensverluste setzten eine Kettenreaktion in Gang und haben fatale Rückkopplungseffekte. Investoren, die viel verloren haben, ziehen ihre Investitionen anderswo ab, um liquide zu bleiben. Weil alle gleichzeitig verkaufen, verfallen die Preise. Die Konjunktur schmiert ab. Auch „normale“ Kreditnehmer, Unternehmer in der „Realwirtschaft“ gehen pleite oder können zumindest ihre Kredite nicht mehr bedienen. Wenn ein Risiko schlagend wird, werden gleich viele Risiken schlagend, weil einer, der fällt, mehrere mit ins Loch reißt. Ganze Staaten könnten Pleite gehen – und diesmal nicht nur weit hinten in Asien oder nahe des Polarkreises. Ungarn, die Ukraine, sogar Griechenland und Spanien sind Kandidaten. Was wird im Fall der Fälle mit dem Euro? Selbst wohlhabende Länder können dann ihre Banken womöglich nicht mehr retten – Verluste in Ausmaß von zwei Drittel des BIP würden auch Deutschland und Österreich überfordern.

 

Langsam wird klar, wie groß das Ausmaß der potentiellen Katastrophe ist. Der Neoliberalismus hat der Welt das größte globale Desaster seit Hitler und Stalin beschert. Tolle Bilanz.

4 Gedanken zu „Der überforderte Kapitalismus“

  1. „Es war die größte Staatsinterventions- und Nationalisierungwelle seit Wladimier Illitsch Lenin.“ – Super-Satz!!
    Sehr schöner Artikel, gefällt gut.

  2. lieber robert,
    die empörung teile ich, den vergleich mit hitler und stalin finde ich aber übertrieben. in der gegenwärtigen krise wurden und werden gesellschaftssysteme (staaten, unternehmen, haushalte) finanziell geschädigt bis hin zum (ökonomischen) ruin. es wird gottseidank niemand vorsätzlich umgebracht.

  3. @Robert
    Nein, so kann man nicht argumentieren. Dir gehen die Dimensionen durcheinander. Und um nur eine ideologisch motivierte Großkatastrophe nach 1953 zu nennen: Die durch Maos „Großen Sprung nach vorn“ ausgelöste Hungerkatastrophe kostete 1959/61 ca. 30 Millionen Menschen das Leben.

  4. wenn man mal überlegt, wieviel menschen seit beginn des kapitalismus in den kolonien, den fabriken, den eroberungskriegen, durch chemie, durch verseuchte luft & verseuchtes wasser, durch hunger, durch medizinische nicht-versorgung, durch menschenhandel usw. usf. zu tode kamen bzw. kommen, dann schlägt die zahl der opfer alles andere um längen.
    misik hat natürlich recht – und jede diesbezügliche beschönigung ist grenzenlos dumm und zynisch.

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