„Ein schizophrener Moment“

Das ökonomische Desaster kann politisch positive Folgen haben, meint der Politikwissenschaftler Colin Crouch. taz & Falter, März 2009

 

 

 

Der britische Politiktheoretiker Colin Crouch hat mit seinem Buch „Postdemokratie“ eine der „meistbeachteten politischen Schriften der vergangenen Jahre“ („Der Spiegel“) vorgelegt. Darin analysiert er, wie der Neoliberalismus zur inneren Aushöhlung der Demokratie beiträgt. Der Kollaps der Finanzmärkte ist insofern eine Chance für eine lebendigere Demokratie, meint er nun.

 

Demokratie ist in der Krise, weil die wirtschaftlich Mächtigen die Politik diktieren – das ist eine der Thesen Ihres Buches. Ändert sich da möglicherweise gerade etwas?

 

Crouch: Ja, nur wissen wir nicht, wozu das führt. In Ländern wie Deutschland und Österreich wird womöglich der Korporatismus wieder aufleben, also eine enge Verzahnung von Politik und Wirtschaft. In Großbritannien sieht es wieder anders aus. Es gibt hier die Finanzelite – und die ist eigentlich die einzige Elite. Sie ist hegemonial. Und man darf nicht vergessen: Das Modell, das gerade gescheitert ist, bestand darin, durch private Verschuldung die Nachfrage hoch und die Wirtschaft am Laufen zu halten. Zu dem Modell gibt es bisher keine ausformulierte Alternative. Deshalb würden die politischen Eliten sich wohl am meisten wünschen, dass das Modell repariert wird und weiter funktioniert – nur mit etwas weniger High Risk.

 

Aber in der öffentlichen Debatte wird wieder über Makroökonomie diskutiert, über Konjunkturprogramme und darüber, was die Regierungen jetzt tun sollen. Vor ein paar Monaten hätte man noch gesagt: Das ist kein Thema für demokratische Politik, das lösen die Märkte. Ist doch ein Fortschritt, oder?

 

Crouch: Ja, und mit Sicherheit ist das reine Marktmodell, das ja nur in seinem Selbstverständnis mit dem „freien Spiel der Konkurrenz“ beschrieben wird, in der Wirklichkeit ja zu Machtkonzentration der wirtschaftlich Mächtigen führt, in einer Krise. Aber es hängt sehr von den Umständen ab, ob daraus etwas Positives entsteht. Das erfreulichste Exempel sind die USA. Hier hatten wir eine Regierung, die dieses Modell verteidigte. Und es stieg ein Herausforderer auf, der dieses Modell kritisierte. Da hatten die Wähler eine klare Alternative und sie haben sich klar entschieden. In Großbritannien ist die Situation ganz anders. Hier haben wir eine Regierung, die dieses Modell auch verteidigt. Aber wir haben eine Opposition, die dieses Modell noch viel entschiedener vertritt. Wie sollen die Wähler da für einen Kurswechsel votieren? Oder nehmen Sie nur Deutschland: Da legt gerade die FDP zu, die ja das gerade katastrophal gescheiterte System in seiner Reinform propagiert.

 

Also, der Obama-Fall ist ein historischer Glücksfall?

 

Crouch: Ja. Vor ein paar Monaten hat mir eine ehemalige Studentin geschrieben, ob die Obama-Bewegung nicht meine These von der inneren Aushöhlung der Demokratie widerlegt. Ich habe ihr geantwortet: Ja. Und ich hoffe, dass das anhalten wird. Obamas war zwar der Kandidat der Demokratischen Partei, aber in Wirklichkeit brachte ihn eine Bewegung ins Weiße Haus, eine Bewegung kritischer, engagierter junger Leute. Das ist die Hoffnung für die Zukunft.

 

Viele Menschen ziehen schon düstere Vergleiche und erinnern daran, dass in den dreißiger Jahren die USA in der Krise nach links rückten, Kontinentaleuropa nach rechts. Kann das wieder passieren?

 

Crouch: Geschichte wiederholt sich nicht. Aber es gibt eine reales Element, das diese Furcht begründet. In vielen kontinentaleuropäischen Ländern sind die stärksten oppositionellen Strömungen, die kritisch zum Gesamtarrangement, also „zum System“ stehen, xenophobe rechte Bewegungen. Die können natürlich gewinnen, wenn das System weiter an Legitimation verliert.

 

Das kapitalistische Marktsystem kollabiert beinahe, aber für die Linken ist das nicht automatisch ein Vorteil?

 

Crouch: Nein. Das hat natürlich wesentlich damit zu tun, dass die Mitte-Links-Parteien – Sozialdemokraten, Sozialliberale, Grüne – sich mit dem Marktsystem arrangiert haben, während die radikalere Linke in den meisten Fällen noch immer völlig jenseits der Realität steht. Mit einem Wort: Es ist ein sehr gefährlicher Moment. Aber es ist auch ein interessanter Moment, weil die Hegemonie des neoliberalen Modells fundamental in Frage gestellt ist. Und es ist auch ein schizophrener Moment: Was die Möglichkeit betrifft, dass es wieder eine lebendigere Politik gibt, ist es ein hoffnungsfroher Moment. Was die ökonomischen Aussichten betrifft, ist es natürlich ein deprimierender Moment und man kann nur wünschen, dass nicht zu viele Menschen ins Elend abstürzen.

 

Mittlerweile würde kaum mehr jemand einen Totalkollaps ausschließen?

 

Crouch: Alles scheint plötzlich zu wanken. Wir wissen nicht einmal mehr, wie wir rechnen sollen. Wir rechnen in Geld. Aber was ist Geld? Endlose astronomische Zahlenreihen, die per Mausklick verschoben werden und morgen nichts mehr wert sein können? Das wird plötzlich als Kalkulationsgröße für Reichtum sehr fragwürdig. All das ist sehr beängstigend, aber auch sehr interessant.

 

Und welches wirtschaftliches Arrangement wird es geben, wenn wir all das überstanden haben?

 

Crouch: Das ist natürlich offen und ist damit wieder in der Hand von demokratischer Politik. Aber man kann natürlich heute schon sichtbare Trends weiter denken. Und insofern ist es wahrscheinlich, dass wir bald sehr viel weniger große Player im Finanzsektor haben und dass sie alle mehr oder minder eng mit Regierungen verbunden sind. Die Regierungen haben aber andererseits kein großes Interesse, diese Unternehmen selbst zu führen – als buchstäbliche Staatsbanken. Tatsächlich aber wird es ein Bankensystem sein, das weitgehend von den Regierungen erst wieder geschaffen werden muss – also doch sehr staatsnah. Das System wird sich weniger durch Begriffe wie Markt, freie Auswahl und die Degegulierung legitimieren, sondern eher durch Begriffe wie Verantwortlichkeit oder Sicherheit. Firmen, deren verantwortliches Handeln durch den Staat gewährleistet wird, werden die Role-Modells sein. Das ist schon das exakte Gegenteil zum bisherigen Arrangement. Bisher galten ja staatsnahe Unternehmen als Inbegriff schlechten Wirtschaftens und die Leitfiguren die Masters of the Universe waren, die hohe Risiken eingingen und mit astronomischen Summen zockten. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.