Mit seiner Zeit einverstanden sein

Dankesrede zur Entgegennahme des Österreichischen Staatspreises für Kulturpublizistik. 3. März 2009

Also dieser Herbst 2008, der wird uns als ein welthistorischer Moment in Erinnerung bleiben, nicht nur wegen der Kernschmelze an den Finanzmärkten. Barack Obama wird zum US-Präsidenten gewählt. Paul Krugman kriegt den Wirtschaftsnobelpreis. Und ich den Staatspreis für Kulturpublizistik.

 

Die Welt ist doch nicht ganz schlecht.

  

Ich werde, hat Frau Minister Schmied gesagt, als sie die Entscheidung der Jury bekannt gab, für mein „kultur- und gesellschaftskritisches Schaffen“ gewürdigt. Spitze Zungen mailten mir daraufhin, ich sei jetzt staatlich geprüfter Gesellschaftskritiker. Und weil diese spitzen Zungen vor allem in Berlin zu Hause sind, insinuierten sie damit – sie sagten es nicht direkt, aber ich kenn die, das können Sie mir glauben – das sei ein sehr österreichisches Phänomen. Ich sag Ihnen, die sehen das als Teil eines austriakischen Bündels. Für die stehen staatspreisbehangene Gesellschaftskritiker in einer historischen Linie mit Kaffeehausrevolutionären, die keine Revolution machen, weil sie nicht willens sind, sich’s mit ihren Mäzenen zu verscherzen. Und Teil dieses austriakischen Bündels ist auch, dass man dann vom Geehrten fix erwartet, dass er die, die ihn gerade ehrten, aufs Wüsteste beschimpft.

 

Andererseits ist der Gesellschaftskritiker ja auch ein aufsässiger Typ, und die tun in ihrer querulantenhaften Art natürlich oft justament das Gegenteil dessen, was von ihnen erwartet wird. Also, es tut mir wirklich leid, ich werde jetzt nicht die Ministerin beschimpfen, auch nicht den Dichand, auch nicht den Bundeskanzler. Ja, nicht einmal die Schottermizzi, obwohl die das ja wirklich verdient hätte. Ja, ich werde nicht einmal Worte verlieren über die Einwohner eines Bundeslandes, die einen Mann zum Landeshauptmann wählten, dessen Leistung vor allem im Erzählen bescheuerter Witze besteht und der auf seinen Wahlplakaten versprach, er werde „Kurs halten“, was also wirklich von begeisternder Komik ist, in Anbetracht der Art und Weise des Ablebens seines Vorgängers.

 

Nein, ich möchte ein paar ernsthaftere Dinge zu sagen – nur ein paar Augenblicke, ich will Sie nicht lang aufhalten. Wenn man den Büchnerpreis kriegt, redet man über Büchner, wenn man den Apothekerpreis kriegt, über Apotheken,  insofern passt’s wie angegossen, kurz etwas über den Staat zu sagen, wenn man den Staatspreis kriegt.

 

Die neokonservative Dominanz ist vorbei, aber was sie in den Köpfen angerichtet hat, ist noch lange nicht repariert, und da hilft auch kein Bailout so schnell, wie bei den Banken, wobei, das hilft bei denen ja auch nicht, wie wir mit wachsender Sorge feststellen müssen. Noch immer sagen manche, der Staat sei ein schlechter Unternehmer. Gut, kann sein, nur leider haben wir gerade Bekanntschaft mit noch Schlechteren gemacht. Da wird dann neuerdings angemerkt, diese schlechten Unternehmer hätten ja gar nicht den Karren gegen die Wand gefahren, das seien letztlich doch die Regierungen gewesen, weil sie den Finanzmarkt nicht reguliert und mit billigem Geld die Blasen aufgepumpt haben. Ja, Regierungen und Zentralbanken haben diesen Fehler gemacht. Aber es waren Regierungen, die selbst gefangen waren von der Idee, Deregulierung mache die Welt besser. Und stellen wir uns mal vor, eine Regierung hätte versucht, diese Fehler nicht zu machen, stellen wir uns vor, eine Regierung hätte bloß gefordert, die Möglichkeiten, strukturierte Wertpapierbündel über die Welt zu verkaufen, radikal zu beschneiden – stellen wir uns vor, was die Leitartikler da geschrieben hätten und wie die Börsenanalysten getobt hätten. Schnell wäre diese Regierung als Zusammenrottung gefährlicher, weltfremder, sozialistischer Phantasten dagestanden, die Finanzmarktinnovationen torpedieren wollen. Und dann hätten die Märkte, diese Ruck-Zuck-Scharfrichter, diese Regierung abgestraft.

 

Glauben Sie also denen kein Wort, die ihnen einreden wollen, diese Finanzkrise sei Staatsversagen und nicht das Versagen einer radikal marktliberalen Ideologie.

 

„Weniger Staat, mehr privat“ war die Parole, die uns in diese Bredouille brachte. Der Staat kehrt jetzt zurück. Neosozialismus nennen das schon manche. Aber Notverstaatlichungen führen keinen Sozialismus ein. Und „der Kapitalismus“ ist nicht gescheitert. Es wird eine Art von Neokorporatismus zurückkehren, geht gar nicht anders: die Banken, die es in ein, zwei Jahren noch geben wird, werden eng mit dem Staat verbunden sein. Weil, ohne Staat täte es sie nicht mehr geben.

 

Mehr Staat wäre freilich eine ebenso unterkomplexe Antwort. Freie Märkte haben schon ihren Nutzen für freie Gesellschaften. Aber die Ideologie freier Märkte ist schädlich. Marktideologie führt direkt ins Marktversagen, das ist so eine von diesen großartigen Paradoxien, über die man lachen könnte, wenn wir nicht gerade nichts zum Lachen hätten. Und diese Marktideologie führt auch zur Hybris der Marktakteure, zu diesem Irrsinn, bei der dann die, die sich hundert Millionen Dollar an Einkommen und Boni zuschanzen nicht als Plünderer angesehen werden sondern als gesellschaftliche Role-Modells.

 

Kein Mensch kann sich die Siebzigerjahre zurückwünschen, mit ihren Staatsmonopolen, ihren Firmen, die wie Bürokratien wucherten, und in denen auch nicht immer ein antiautoritärer Geist wehte. Aber die „Madoff-Economy“, die hinter uns liegt, mit ihren Ponzischemas und ihren Lobliedern auf den Eingennutz und ihrer Verächtlichmachung der Verlierer, die ist mindestens eine solche Sackgasse der Geschichte.

 

Nur, was braucht der „Gesellschaftskritiker“ da noch kritisieren? Diese Economy kritisiert sich gerade selbst in Grund und Boden. Wir stehen in rauchenden Ruinen und haben nichts zur Hand, nicht einmal Begriffe. Sozialismus? Auf den können wir lange warten. Gegenmodell zum Kapitalismus? Hat leider keiner. Die Praktiker versuchen den Zusammenbruch zu verhindern. Die Diskutanten werfen sich derweil abgestorbenes Vokabular um die Ohren. In Schadenfreude kann man sich auch nicht flüchten, weil der Schaden, anders als die Profite von gestern, vergleichsweise demokratisch verteilt ist.  

 

Ein paar halbpersönliche Worte zum Schluss. Wissen Sie, die Autorentätigkeit ist heute nicht immer eine einfache Sache. Für die Intellektuellen, wenn wir diese unsympathische Hilfsvokabel gebrauchen wollen, gibt es ja auch einen Rollenfundus, der sich mit der Zeit ändert. Und heute ist das so: Da gibt es die Bänkelsänger des Bestehenden. Da sind diese Kritiker mit den traurigen Augen, die heute verteidigen, was sie gestern kritisierten, weil nur Schlechteres nachkam. Und da ist die Selbststilisierung der Medienintellektuellen, die sich arrangiert haben mit der Soundbitekultur, die sich einstmals vielleicht in den Dienst einer Sache gestellt hätten, und heute, in Ermangelung einer Sache, in den Dienst ihres „Ich“ stellen. Es ist nicht so einfach, sich dem zu entziehen, und das Entziehen selbst ist oft schon ein romantischer Gestus, auch eine längst schäbig gespielte Rolle aus dem Second-Hand-Shop.

 

Ich hab wenig Angst, gelegentlich etwas sehr Altmodisches zu tun: Hin und wieder zumindest einen Gedanken daran verschwenden, wie denn eine gute Gesellschaft aussehen könnte. Und ich versuche, das möglichst nicht auf altmodische Weise zu tun. Kritik zu formulieren, ohne diesen bekannten larmoyanten Sound anzuschlagen. Und mit meiner Zeit einverstanden sein, ohne deswegen gleich in flache Apologie zu verfallen. „Absolutly Contemporary“ zu sein, wie man heute so schön sagt, ohne notwendigerweise alles Gut zu finden, was ist, nur weil es contemporary ist. Eher häufiger als selten ist das eine Gratwanderung.

 

Offensichtlich fanden die Mitglieder der Jury diese Kletterpartie preiswürdig. Darauf bin ich stolz und ich danke ihnen dafür. Ziemlich große Schuhe haben sie mir da geschenkt. Kann man mit denen auch werfen?

 

In Anbetracht des wartenden Buffets möchte ich mit den Worten des großen Albus Dumbledore schließen: „Haut rein“.  

2 Gedanken zu „Mit seiner Zeit einverstanden sein“

  1. Gratuliere! Verfolge schon länger die blitzgescheiten Kommentare zum Zeitgeschehen. Verdächtig, dass es schon wieder ein Österreicher ist, der hier führend ist. Um den Staats-Peis würde ich mir keine Gedanken machen. Wer sonst hat denn noch etwas zu vergeben? Weiter so!

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