Zünd eine Kerze weniger an

Thomas L. Friedman, Starkolumnist der New York Times liefert mit seinem Buch „Was zu tun ist“ eine Anleitung zur Weltrettung. Falter & Berliner Zeitung, März 2009

Als hätten sich die Ganoven abgesprochen, häufte sich ab 2004 global eine neue, bisher unbekannte Verbrechensart: erst einzeln, dann immer häufiger verschwanden überall auf der Welt Gullydeckel von Straßen und Gehwegen. In Chicago wurden innerhalb eines Monats mehr als 150 Deckel geklaut. In Schottland im „Großen Eisenraub“ etwa hundert in nur wenigen Tagen. Und auch in Montreal, Gloucester und Kuala Lumpur stolperten ahnungslose Fußgänger in Kanallöcher. Der Grund: Die Nachfrage aus China trieb die Altmetallpreise auf Rekordhöhe.

Exempel wie diese – mal lustigere, mal erschreckendere – sammelt Thomas Friedman zuhauf in seinem Buch „Was zu tun ist“. Das Thema ist nicht ganz neu: Wenn immer mehr Menschen auf diesem Planeten am Wohlstand teilhaben wollen, dann gehen die Ressourcen aus, dann kollabiert das Ökosystem. Wir pumpen CO2 in die Atmosphäre, wir können nicht mehr genügend Nahrungsmittel für die gesteigerte Nachfrage produzieren, und wir schaffen mit der Art, wie wir unsere Ressourcen heute sichern, nur zusätzliche Probleme – so führt die Abhängigkeit nach Öl dazu, dass Despoten wie Wladimir Putin und menschenfeindliche Puritaner wie die saudischen Wahabiten im Geld schwimmen. Oder, in den simpleren Worten von CNN-Gründer Ted Turner: „Zu viele Menschen benutzen zu viel Zeug.“

Friedmans neues Buch ist wieder einmal sehr dick geworden, und es hat sich diesmal die Weltrettung zum Ziel gesetzt. Trotzdem ist es ein „echter“ Friedman: Ein wichtiger Journalist reist um die Welt, redet mit den wichtigsten Leuten, sieht sich alles an und schreibt dann ein kluges Buch. Friedman, Pulitzer-Preisträger und New-York-Times-Kolumnist beherrscht dieses Strickmuster aus dem Handgelenk. Noch den trockensten Abhandlungen vermag er so eine reporterhafte Leichtigkeit zu geben. Friedman ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Marke geworden: der Linksliberale, der aber ein glühender Anhänger der Globalisierung und freier Märkte ist, weil er bei seinen Reisen in chinesische Fabriken und osteuropäische Metropolen sieht, dass sie die Welt besser machen. Das gab seinem Schrifttum in den vergangenen Jahren einen etwas rosarot optimistischen Sound.

Sein neues Buch ist anders und ähnlich zugleich: Er beschreibt eine Welt, die kollabiert, wenn wir so weitermachen wie bisher. Aber er beschreibt auch, dass wir das verhindern können, wenn wir ganz viel ändern. „Wir können Gebäude mit dichteren Fenstern ausstatten und mit einer besseren Wärmedämmung versehen. Wir können Stahl mit weit weniger Eisenerz und weit weniger Wärme herstellen. Wir können Häuser bauen, deren Innentemperatur sich sehr viel effizienter auf dem gewünschten Niveau halten lässt. Wir können mehr Nahrungsmittel pro Hektar Fläche anbauen. Und für all das brauchen wir Wissen.“

Symbolischer Öko-Chic hilft da nicht viel. Dass etwa eine Initiative grüner Juden aufrief, beim Chanukkafest „eine Kerze weniger anzuzünden“, weil jede Kerze 15 Gramm Kohlendioxid produziert, ist zwar nett gemeint, aber ähnlich nützlich wie wenn sich Leonardo DiCaprio in Grönland fotografieren lässt. Nur um das Ziel zu erreichen, die CO2-Emissionen bis zur Jahrhundertmitte nicht zu verdoppeln, müssen wir Folgendes schaffen, rechnet Friedman vor: Senkung des Kraftstoffverbrauchs von zwei Milliarden Autos von acht auf vier Liter pro 100 Kilometer. Anhebung der Energieeffizienz bei 1 600 großen Kohlekraftwerken von 40 auf 60 Prozent. Verdoppelung der heutigen Zahl der AKWs zum Ersatz aller Kohlekraftwerke. Vervierzigfachung der Windkraftanlagen. Vollständige Beendigung der Abholzung und Brandrodung von Wäldern. Verringerung des Stromverbrauchs in Haushalten, Büros und Geschäften um 25 Prozent. Und noch ein paar solche Maßnahmen. Einfach ist das nicht.

Klappen kann das, wenn Ingenieure, Technologiefreaks und Bastler das Stromnetz und die Geräte, die wir benützen, energieintelligent machen wie sie heute schon anwenderintelligent sind. Was Friedman vorschwebt, ist eine Art Energie-Internet. Technisch avanciert, mit realen Preisen für Strom, so dass die Verbraucher starke Anreize haben, Energie zu sparen. Wenn das Problem gelöst ist, lösen sich manche gleich mit: Das Klima ist wieder ein Wetter, die Abhängigkeit vom Öl sinkt und El Kaida bekommt weniger Petrodollars. Mehr Nahrungsmittel mit weniger Energieaufwand gibt’s dann quasi nebenbei.

Ein bisschen liest sich das nach Nachhaltigkeits-Utopia. Besonders in den Passagen, in denen Friedman die energieeffiziente Stadt beschreibt, erinnert das Buch an Science Fiction. Aber Friedman ist nicht irgendwer. Insofern sind seine Bücher immer auch Indikatoren für den nächsten Trend. Und wenn nur ein Teil davon zum politischen Programm der Obama-Regierung würde, es wäre großartig.

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Thomas L. Friedman:

Was zu tun ist: Eine Agenda für das 21. Jahrhundert. A. d. Amerikanischen von Michael Bischoff. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009.

542 S., 24,80 Euro.

3 Gedanken zu „Zünd eine Kerze weniger an“

  1. Alles alte Hüte …
    Ist ja alles altbekannt, aber der Durchschnittsbürger kümmert sich nicht darum, da er entweder dumm, geblendet, naiv oder es im ganz einfach egal ist, was die nachfolgenden Generationen, von uns erben.
    In Österreich könnte sich ein jeder Bürger sogar einige Hundert Euro sparen, wenn er auf http://www.aae.at (etwas billiger als Standard Stromanbieter) umsteigt, Sparlampen und Wassserreduktionsstücke (www.neoperl.de, 9,90 beim Baumaxx) einschraubt, Wasserkocher & Laptop verwendet und weniger Auto fährt und nach Möglichkeit nicht fliegt.
    Das einzig gute ist die Energie & Ressourcen werden so oder so massiv teurer werden und somit werden die Menschen gezwungen sein zu sparen.
    P.S.: Was ich noch vergessen habe. Natürlich wäre es sinnvoller nur mehr 20 Stunden zu arbeiten und sein Geld nicht in den Konsum zu stecken, da von 100 Dingen so und so nach 1 Jahr nur noch 1 Ding verwendet wird.
    http://www.storyofstuff.com

  2. „verdoppelung der derzeitigen zahl der akws“ …. na da kommt dann schon wieder ein bisserl uramerikanische kurzsichtigkeit zu tage. Das ist weder wünschenswert noch möglich (uran vorräte) und schon gar nicht umweltschonend.
    Der rest ist natürlich toll! Ich bleib gespannt was der Obama daraus macht…

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