Eine Unruhestiftung

Die Freunde von rebell.tv haben mir gebeten, eine Blattkritik ihres neuen Magazins zu machen. Hören kann man die hier.

Oder hier einfach lesen: 

Nachdenken darüber, wie wir denken, dass wir denken.

 

Warum denken wir eigentlich, wie wir denken? Oder besser: Wie wir denken, dass wir denken? Unserer Vorstellung von denkerischer Problembearbeitung liegt schließlich die Idee der Stringenz zugrunde: erst wird die Fragestellung geortet, dann werden alle Aspekte in deren Kontext sortiert, Widerstrebendes gegeneinander abgewogenen und am Ende hat man eine Lösung. In diesem Sinne haben wir unsere Politik organisiert: die Bürger wählen ein Parlament, das Interessen repräsentiert, das aber auch Intuitionen in verhandelbare „Inputs“ transformiert, diese mit Wissen sättigt – darüber erhebt sich eine Regierung, die dann informiert über Problemlösungen entscheidet. In diesem Sinne haben wir auch unsere Medien organisiert: Ein kluges Buch hat einen Anfang und ein Ende. So komplex es auch sein mag, es ist damit schon unterkomplex. Ein Nachrichtensendungsbericht imaginiert den uninformierten Zuseher, der zu Beginn der Sendung nichts oder wenig über ein Thema weiß und am Ende informiert ist. In all diesen Fällen setzen wir eine gewisse kognitive Geradlinigkeit voraus, ein Vorwärtsschreiten in eine Richtung, auf deren Weg wir Wissen schichtenweise übereinander türmen, bis wir genug wissen.

 

Dabei wissen wir natürlich auch, dass wir im Zickzack denken. Synaptische Verschaltungen laufen kreuz und quer, verbinden Neuronen und damit Erfahrungen, Sinneswahrnehmungen, Wissen, in fröhlicher Assoziation – die Nervenbahn ist kein Telefonkabel, das einen Ausgangspunkt mit einem Endpunkt verbindet. Aber Verschaltungen und Fehlschaltungen, die den biologischen Denkablauf konstituieren, erleben wir, wenn es um die praktische Denkbewegung geht, als Irritation, als Verkomplizierungen.

 

Vielleicht ist das ein zu biologistischer Gedanke, einer, der die biotechnische Organisation des Denkens schon mit dem Denken selbst verwechselt, einer dieser szientistischen Irrglauben, der naturwissenschaftliches Halbwissen in gesellschaftswissenschaftliches Nichtwissen transformiert – all das ist eine Möglichkeit, die hier ausdrücklich nicht verschwiegen werden soll. Aber es ist ein Gedanke, der mir in den Kopf schoss, als ich das rebell.tv.magazin #3 „las“. Denn ich habe es natürlich nicht „gelesen“. Rebell.tv.Magazin ist nichts zum Lesen, es ist etwas zum Sehen, zum Hören, zum Lesen, ein potentiell unendlicher Schaltprozess, der ein Grundthema mit Aspekten, Assoziationen, Videoschnipsel, Wortgirlanden verwebt – ein Schaltprozess, der von den Magazinmachern schon mit Wegweisern versehen ist, aber im Wesentlichen aus Zufallswegen besteht.

 

„Anstiftung zur Rebellion“ ist das Thema dieser Ausgabe und es geht, um Geld, Staat und Wirtschaft. „Das soll ein Magazin sein?“ fragt man sich beim ersten Hinsehen. Das Magazin im engen Sinn besteht nämlich nur aus doppelseitigen Fotos und zwei, drei, mal auch vier Sätzen pro Seite. Beschränkt man sich auf die Lektüre desselben, gibt’s anregende Aphorismen, und das war’s dann schon. Aber die Aphorismen lenken einem mit ein paar Klicks zu Videos, zu Texten, Wochenkommentaren. „Erlösung durch Verschuldung. Kapitalismus als Religion“, lese ich hier. Und dann komme ich zu Textbausteinen über die Beziehung von Staat und Wirtschaft. Hier lese ich sinngemäß: Früher drohte Inflationsgefahr, wenn der Staat Geld für Dinge ausgab, die er sich wirtschaftlich nicht leisten konnte (Kriege etwa). Heute droht Inflationsgefahr, weil er sie für die Rettung der Wirtschaft ausgibt. Heute also könnte es so sein, dass sich der Staat die Wirtschaft nicht mehr leisten kann. Kaum denke ich mir, dass ich solche Gedanken liebe, da sagt schon die kleine Alexandra in einem Interview auf die Frage, wem man denn Geld geben sollte: „Jedem ein bisschen“.

 

Auf diese Weise kommt man an Gedanken buchstäblich vorbei. So passiere ich einen Wochenkommentar, in dem der Gedanke zu finden ist, und zwar in einem Kontext, den ich jetzt schon wieder vergessen habe, was aber nichts macht, der Gedanke nämlich, dass wir lernen müssten, „dass man mit dem Unerwarteten rechnen sollte.“ Es ist, denke ich mir hier, üblicherweise so, dass solche Sätze einem nicht unerwartet begegnen, dass einem üblicherweise der Satz, man müsse mit dem Unerwarteten rechnen, in einem Text begegnet, der so konstruiert ist, dass dieser Satz keineswegs etwas Unerwartetes ist, sondern im Gegenteil etwas zu Erwartendes. Und er stammt ja auch in diesem Fall aus einem solchen Text. Rebell.tv.Magazin ist aber so organisiert, dass es vorhandene Texte neu montiert, dass der Satz, wir müssten immer mit Unerwartetem rechnen, hinter einer Ecke lauert, hinter der, wenn man nur eine andere Weggabel nähme, sich möglicherweise ein anderer Gedanke fände, der sich aber ebenso mit den vorhergehenden und darauf folgenden Sätzen zu einem Wissen verbinden würde, das nicht weniger produktiv wäre. Klassische Magazine sind still gestellt. Diese Art von Magazin ist eine Unruhestiftung.

 

Es ist dies, so ahne ich, ein Umgang mit Wissen, der der Komplexität von Welt angemessen ist. Ich ahne aber auch, dass unsere Illusion von Wissen, wie ich sie oben beschrieben habe, die man auch als Transformation von Unerwartbarem in Erwartbares bezeichnen könnte, dass diese Illusion also notwendig ist, um handlungsfähig zu bleiben. Womöglich ist diese Illusion also eine von diesen nützlichen Irrtümern, aus denen das Leben besteht.

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