„Sie zocken schon wieder“

Kommenden Montag, 22. Juni habe ich Heiner Flassbeck, Deutschlands-Paradekeynesianer, zu Gast in meiner Reihe „Genial dagegen“ im Kreisky-Forum. Für den „Falter“ habe ich mit Flassbeck schon einmal vorab ein Interview geführt. Darin sagt er: Wenn Banken hohe Renditen versprechen, sollte man sofort die Finanzmarktaufsicht rufen. 

 

Heiner Flassbeck: „Gescheitert. Wie uns der Marktfundamentalismus eine Weltwirtschaftskrise einbrockte.“

Montag, 22. Juni 2009, 19 Uhr, Kreisky-Forum für Internationalen Dialog, Armbrustergasse 15, 1190 Wien

 

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Lesen Sie unten das gesamte Interview

 

 

In den neunziger Jahren war Heiner Flassbeck der führende Konjunkturforscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Dann zog er als Staatsekretär unter dem damaligen SPD-Chef Oskar Lafontaine ins Finanzministerium ein. Nach dessen Abgang räumte auch Flassbeck wieder seinen Stuhl. Heute arbeitet Flassbeck als Chefvolkswirt bei der UNCTAD in Genf. In seinem jüngsten Buch „Gescheitert. Warum die Wirtschaft vor der Politik kapituliert“ (Westend-Verlag, 2009) erklärt er, wie ein falsches Verständnis makroökonomischer Zusammenhänge eine Weltwirtschaftskrise provozierte.

 

Herr Flassbeck, was ist denn falsch gelaufen in den vergangenen zehn Jahren?

 

Flassbeck: Wir haben einen Casinokapitalismus zugelassen, in dem sehr viele Leute mit sehr viel Geld gezockt haben und das nicht nur mit ihrem eigenen Geld, sondern mit geliehenem Geld. Sie zockten mit Häusern, Rohstoffen, Nahrungsmittel und natürlich am traditionellen Aktiencasino. Diese Spekulationspyramiden sind gleichzeitig implodiert. Jetzt sind sehr viele Menschen überschuldet, das führt dazu, dass sie den Gürtel enger schnallen müssen – mit den bekannten Folgen für die Konjunktur.

 

In Deutschland liefen die Dinge speziell schlecht?

 

Flassbeck: Wir haben zusätzlich noch die globalen Ungleichgewichte verschärft, sodass sogar die Eurozone in ihrer Existenz bedroht ist. Einfach, indem wir uns durch Lohndumping Vorteile auf Kosten anderer verschafft haben.

 

Dass Deutschland Exportweltmeister ist, wurde doch immer als Vorteil gesehen – ist doch toll, wenn so viele Leute im Ausland deutsche Produkte kaufen wollen.

 

Flassbeck: Man kann Exportweltmeister sein, aber man kann nicht auf Dauer Exportüberschussweltmeister sein. Man kann viel exportieren, wenn man auch viel importiert. Aber immer nur exportieren geht auf die Dauer nicht. Das treibt andere Länder in die Verschuldung. Wenn man chronisch unter seinen Verhältnissen lebt, zwingt man andere, dauerhaft über ihren Verhältnissen zu leben.

 

Ist die marktliberale Dominanz jetzt vorbei? Sogar Hans-Werner Sinn sagt jetzt schon, Deutschland müsse die Binnennachfrage ankurbeln.

 

Flassbeck: Der neoliberale Ansatz hat versagt, aber wir sind weit davon entfernt, dass das die Mehrheit der Leute wirklich versteht oder die Mehrheit der „Experten“ zugibt. Finanzmärkte tendieren dazu, falsche Preise zu finden, also systematisch zu überschießen – in welche Richtung auch immer. Das hätte man wissen können. Das ist das eine. Das zweite ist, dass wir vor allem in Deutschland ein System etabliert haben, das vor allem auf Standortwettbewerb setzte. Das war eine der dümmsten Ideen, die es überhaupt gibt: dass man glaubt, Staaten könnten gewinnen, wenn sie gegeneinander agieren. Das hatte sich bei uns in Deutschland durchgesetzt, aber zum Teil auch in Österreich oder der Schweiz. Man muss die Menschen jetzt wieder am Produktivitätsfortschritt beteiligen.

 

Simpel gesagt: Die Löhne müssen steigen?

 

Flassbeck: Die Reallöhne müssen immer mit dem Produktivitätstrend steigen. Das sollte die eiserne Regel sein. Davon sind wir in Deutschland und Österreich weit entfernt. Jetzt geht es sogar in die andere Richtung. Jetzt droht Lohndeflation.

 

Fehlt es an ökonomischem Sachverstand?

 

Flassbeck: Ja, man betrachtet Volkswirtschaft so, wie der Unternehmer sein Unternehmen führt. Das ist systematisch falsch. Das ist vom neoklassischen Mainstream der Wissenschaft unterstützt worden.

 

Was stört Sie daran, wenn Banken Renditen von 20 Prozent versprechen? Dann sitzen dort doch offenbar geschäftstüchtige Leute.

 

Flassbeck: Man muss endlich sehen, dass solche Renditeversprechungen eigentlich ein Grund sind, sofort die Bankenaufsicht zu rufen. Banken sind ja keine Unternehmen, die etwas Innovatives machen. Wenn eine Volkswirtschaft nur um ein, zwei Prozent pro Jahr wächst kann es bei einem Renditeversprechen von zwanzig Prozent in der Finanzindustrie nicht mit rechten Dingen zugehen. Man kann das nur durch Zufall erzielen, wenn andere zu dumm zum Wetten sind; man kann eine solche Rendite erzielen, wenn man große Marktmacht akkumuliert hat und damit andere übervorteilen kann oder man kann sie erzielen, wenn man viel zu hohe Risiken eingeht. In der Realität ist es immer die Mischung aus den dreien. Aber es ist kein Marktergebnis.

 

Dennoch prahlen die starken Player in diesem Sektor noch immer.

 

Flassbeck: Wenn wir kompetente Politiker hätten, wären die längst eingeschritten. Aber die Zocker zocken weiter. Jetzt verdienen sie sogar noch am Verkauf der Staatsanleihen, mit denen der Staat Geld aufnimmt, weil er es braucht, um das Fiasko zu begrenzen, dass die Spekulation angerichtet hat. Die nächste Blase wird gerade aufgeblasen. Das ist nur möglich, weil kein Politiker die Frage stellt, die Sie eingangs stellten: Was ist eigentlich schief gelaufen? Man sollte doch eigentlich annehmen, dass jetzt in jedem Land hochkompetente und mit Ökonomen unterschiedlicher Herkunft besetzte Untersuchungskommissionen eingerichtet werden, die klären sollen, was denn eigentlich systematisch falsch gemacht wurde. Aber nichts. Man betrachtet diese Krise wie einen Meteoriten aus dem Weltall, bei dem von vornherein ausgeschlossen ist, herauszufinden, wie er herabstürzen konnte.

 

 

3 Gedanken zu „„Sie zocken schon wieder““

  1. Es ist ein grauenhaftes Bild, wie die ganze Menschheit zufrieden grinst, wenn die Medien über die Zocker herziehen. Über die Zocker, die uns angeblich die Wirtschaftskrise herbeigezockt haben, die sich verzockt haben, die nicht mehr zocken dürften: die Banker, Hedgefunds usw.
    Es ist deshalb so grauenhaft, weil so viele Zocker im Publikum sitzen: der täglicher Besucher des Wettbüros von nebenan, der Casinobesucher, sie alle zocken andauernd – Zocken ist Spielen um Geld. Der Wetteinsatz dort ist gering, die Erfolgsquote bescheiden und die Gewinner teilen sich mit Medien und Politik ein ordentliches Stückchen, also Pappn, darüber darf nicht geredet werden.
    Die Liste kann ziemlich unendlich lange fortgesetzt werden mit Beispielen wie Meinl-European-Land Aktien, Fremdwährungskredite mit Tilgungsträger, alles Wetten auf künftige Entwicklungen mit mehr oder weniger Geld. Und mehr oder weniger Wissen über die dazugehörigen Risiken.
    Die größten Zocker sitzen derzeit in den Regierungen unserer Nationalstaaten, den die wetten darauf, das man wenn man nur möglichst viel Geld, das man nicht hat, beim Fenster rauswirft, wird es der Wirtschaft schnell wieder gutgehen und die Schulden sind bald wieder zurückbezahlt. Ein interessanter Ansatz, die Krise, die durch Wetten ausgelöst wurden, durch noch riskantere Wetten ausgleichen zu wollen. Ergebnis lt. Behavioural Economics ist fast immer Totalverlust; heisst wohl für die Staaten dann auch mal Staatsbankrott.

  2. Siehe dazu auf den Seiten der deutschen bank
    eine „Analyse“ von Josef Ackermann über Kapitalismus, Marx,Eigentumsverhältnisse,Verteilungsgerechtigkeit

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