Viel Kapitalverkehr

Wirtschaftsblogs. Die kundigsten Debatten über die Finanzkrise finden mittlerweile in den Fasern des Internet statt. Falter, 3. Juni 2009

Thomas Strobl ist amüsiert, aber auch etwas erstaunt. „Unlängst hatte ich eine sehr langes, sehr böses Posting auf meinem Blog auf der FAZ-Seite, fast einen Gastkommentar“, erzählt er, „und dann habe ich mir gedacht, den Schreibstil kenne ich doch.“ Ein Blick auf die IP-Adresse erhärtete dann den Verdacht: Einer der führenden marktradikalen Wirtschaftsforscher Deutschlands hat hier seinen Ärger darüber Ausdruck verliehen, dass da ein unkonventioneller Wirtschaftsblogger immer wieder das Meinungsmonopol von Talk-Show-Größen wie Hans-Werner Sinn, Hans-Olaf Henkel & Co. in Frage stellt. Ganz anonym, versteht sich.

 

Strobl, der aus dem niederösterreichischen Neunkirchen stammt und heute in Hamburg lebt, ist mittlerweile ein Star der Szene. Sein privater Blog, weissgarnix, hat bis zu 10.000 Leser – täglich. Seinen Blog „Chaos as Usual“ auf der Website der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ steuern oft bis zu 25.000 Leser an. Strobl ist mittlerweile eine so große Nummer im Debattengeschehen, dass man kaum mehr um ihn herumkommt. Unlängst eröffnete er mit einem ausladenden Essay die Serie des FAZ-Feuilletons über die „Zukunft des Kapitalismus“. Darin plädiert er für eine Rückkehr zu einer „sozialen Marktwirtschaft“ a la Ludwig Erhard. Man könnte Strobl – „von Keynes kenne ich jeden Halbsatz“ –  für einen Linken halten: „Bin ich aber nicht. Ich bin ein Bürgerlicher. Mit Sozialismus habe ich nichts am Hut.“

 

Wer glaubt, die Ökonomie ist eine verstaubte, elitäre Elfenbeinturm-Wissenschaft, der hat einiges verschlafen: Wirtschaftsberichterstattung, Kommentierung und Debatten finden mehr und mehr in Blogs aus. In der aktuellen Finanzkrise werden die Blogs zum Zentrum der Diskussion. Hier kann man schnell die neuesten Daten interpretieren, auf Charts verlinken. Und es gibt, im Unterschied zur Tageszeitung, immer genug Platz, um komplexe Daten auch verständlich zu erklären. Zu den besten deutschsprachigen Wirtschaftsbloggern zählen die Macher von „Herdentrieb“ auf der Site der „Zeit“ und die Gemeinschaftsblogger von „carta.info„, wo übrigens auch immer wieder auf sehr intelligente Weise der Strukturwandel der Medien debattiert wird – also die Krise der Printzeitungen und des konventionellen Fernsehens.

 

Der Großmeister der Szene sitzt natürlich in den USA. Paul Krugman, der aktuelle Wirtschaftsnobelpreisträger, kann mit einem kleinen Beitrag auf seinem Blog „The Conscience of a Liberal“  schon mal eine kleine Schockwelle Richtung Wall Street schicken. Mal erklärt er auf pädagogische Weise, was denn das Phänomen der „Liquiditätsfalle“ in unserer gegenwärtigen Situation bedeutet, ebenso kann es vorkommen, dass er sich von einem Asientrip in Seoul einloggt und mitteilt, was ihm gerade nach Lektüre von Hyman Minskys Opus Magnum „Stabilizing an Unstable Economy“ in den Sinn kam. Und wenn er einmal einen Sturm auslöst, wie vor ein paar Wochen, als er über das gefährliche Osteuropa-Risiko österreichischer Banken sprach und sich eine Rüge von Vizekanzler Josef Pröll einhandelte, dann reicht ihm als Konter ein Link – auf die Seite andere Blogger. Wie auf die Seite http://flutethoughts.blogspot.com eines skandinavischen Ökonomen, der penibel berechnet hat, welche osteuropäischen Länder das höchste Pleiterisiko haben und welche westeuropäischen Banken die meisten Risiken in ihren Bilanzen gebunkert haben. Kombiniert man die Zahlen, „dann sieht man plötzlich, welch exorbitantes Risiko Österreich eingegangen ist“.

 

 

Noch mehr Blogs:

 

Nachdenkseiten http://www.nachdenkseiten.de/

 

Wirtschaftsquerschuss http://wirtschaftquerschuss.blogspot.com/

 

Immobilienblasen http://immobilienblasen.blogspot.com/

 

Zeitenwende http://blog.zeitenwende.ch/

 

Calculated Risk http://www.calculatedriskblog.com/

 

The Big Picture http://www.ritholtz.com/blog/

 

Brad Delong http://delong.typepad.com/sdj/

 

The Baselinescenaria http://baselinescenario.com/

 

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