Börsengier und Homoehe

Weil der Relativismus an allem Schuld ist, ist er auch an der Finanzkrise schuld, findet der Papst. Das hätten wir uns denken können. Falter, 14. Juli 2009

 

 

Die Welt der Hochfinanz ist eine undurchsichtige Sache: Wahrscheinlich deshalb hat der Vatikan im vergangenen September, als sich im Bankensystem ein sehr profaner Werteverfall breit machte, in heller Panik eine Tonne Gold gekauft.

 

Danach hat sich Papst Benedikt wieder seinem Kerngeschäft zugewandt und eine Enzyklika geschrieben: Die nun veröffentlichte Sozialenzyklika. Kein Problem wird ausgelassen: Der Hunger in der Welt, aber auch die Gier nach Renditen; ethische Unternehmensführung kommt zur Sprache, aber auch die Bedeutung der Erbsünde für das Wirtschaftsleben (schließlich ist der Mensch seit Adams Sündenfall eine „zum Bösen neigende Natur“, also braucht man sich über einen Madoff nicht zu wundern). Sogar Details wie Mikrokredite zur Entwicklung in der Dritten Welt werden diskutiert. Benedikt wendet sich gegen die gängige Dichotomie: Dass die Wirtschaft ethisch neutral sei, sie für die Gewinne zuständig ist, und die Sozialpolitik später für die Moral, also für die gerechte Verteilung. In dieser Vorher-Nachher-Balance sei einiges aus dem Lot geraten. Das wird nicht falsch, weil es ein Papst bekundet, freilich sind die Zeiten auch längst nicht mehr so, dass solche Einsichten, die man in jeder Attac-Broschüre findet, schon ein zusätzliches Gewicht erlangen würden, nur weil sie von einem Pontifex Maximus kommen.

 

Benedikts Predigt gegen den Marktliberalismus fügt sich freilich auch bestens ein in seinen Lieblingskampf gegen den gesellschaftlichen Liberalismus, den er den „Relativismus“ nennt. Schon der Enzyklika-Titel lautet „Liebe in der Wahrheit“ und Wahrheit heißt ja für den Kirchenführer nicht das, was es für den Alltagsverstand bedeutet: Wahrheit heißt, dass Gott existiert, Jesus sein Sohn ist und er uns ein Moral- und Sittengesetz vermacht hat. Wer das akzeptiert, lebt in der Wahrheit, wer nicht, hängt dem gefährlichen Relativismus an. Das geht natürlich meilenweit an jeder heutigen Realität vorbei, die nicht immer von Unmoral gekennzeichnet ist, in jedem Fall aber von dem Umstand, dass die Moral im Plural auftritt: Es gibt keine Instanz, die entscheiden kann, dass mein Lebensentwurf moralisch wertvoller ist als der meines Nachbarn.

 

Wie man auf Basis eines solchen ethischen Pluralismus verbindliche Basics – auch für Wirtschaftsethik – formulieren kann, das wäre natürlich die entscheidende Frage. Aber Wahrheitswächter wollen nicht die Probleme einer komplizierten Welt lösen. Für sie ist die komplizierte Welt das Problem. Für sie haben Börsengier und Homo-Ehe dieselbe Quelle: Gottesvergessenheit.

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