Böckenförde wehrt sich gegen Vereinnahmung durch die Kirche

Politisierende Kardinäle, Prälaten und Theologen warten heutzutage mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit ihrem Lieblingszitat auf, wenn sie uns beweisen wollen, wie wichtig der Gottglaube für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist. Dieses Zitat ist mehr als vierzig Jahre alt und stammt vom deutschen Staatsrechter Ernst-Wolfgang Böckenförde und lautet so: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Soll heißen: die Ordnung der Freiheit zehrt vom kulturell-moralischen Zusammengehörigkeitsgefühl, das ihr Vorgängig ist. Ganz allgemein wird Böckenfördes Zeile als Beweis dafür genommen, wie wichtig die Religion ist, um Menschen eine Moral zu geben und das Gefühl, dass sie irgendetwas miteinander verbindet. In der heutigen taz findet sich nun ein Interview mit Böckenförde in dem dieser sagt: Ich hab’s gar nicht so gemeint.

Böckenförde wörtlich:

„Das lesen vielleicht manche Kirchenvertreter hinein, aber so war das nicht gemeint. Auch weltanschauliche, politische oder soziale Bewegungen können den Gemeinsinn der Bevölkerung und die Bereitschaft fördern, nicht stets rücksichtslos nur auf den eigenen Vorteil zu schauen, vielmehr gemeinschaftsorientiert und solidarisch zu handeln.“

Eigentlich habe er fast das exakte Gegenteil gemeint, präzisiert der Verfassungsjurist. Jene, die meinen, er überbewerte die Religionen würden den Kontext übersehen,

„in dem ich 1964 diesen Satz formuliert habe. Ich versuchte damals vor allem den Katholiken die Entstehung des säkularisierten, das heißt weltlichen, also nicht mehr religiösen Staates zu erklären und ihre Skepsis ihm gegenüber abzubauen. Das war also noch vor 1965, als am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils die katholische Kirche erstmals die Religionsfreiheit voll anerkannte. In diese Skepsis hinein forderte ich die Katholiken auf, diesen Staat zu akzeptieren und sich in ihn einzubringen, unter anderem mit dem Argument, dass der Staat auf ihre ethische Prägekraft angewiesen ist.“

Irgendwie ist das putzig. Jene Zeile, auf die zeitgenössische, moderate Christen hauptsächlich die These stützen, dass eine „Rückkehr der Religionen“ eine gute Sache wäre, beruht also offenbar auf einen simplen Mißverständnis.

Ein Gedanke zu „Böckenförde wehrt sich gegen Vereinnahmung durch die Kirche“

  1. naja, das ist wiederum eine sehr reduktionistische Wiedergabe der theolog. Argumentation. Das liefe ja auf dem christl. Selbstverständnis zutiefst fremde ,vorwiegend utililitaristische Argumentation hinaus… ob da Böckenförde die Interpretation seines Zitats nicht fehlinterpretiert und bei allem Respekt der beste p.t. Misik nicht auch?

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