„Eine Freiheitsparty“ – Die Audimax-Rede

Seit sechs Tagen halten tausende Studierende das Audimax in Wien besetzt, die Bewegung breitet sich zunehmend auf andere Städte und Universitäten aus. Ich hatte die Freude, auf Einladung der rebellierenden Studenten im brechend vollen Audimax sprechen zu können. Anbei meine „Vorlesung“.

Ich möchte mich für die Einladung hier zu sprechen, ausdrücklich bedanken. Das ist nicht so dahin gesagt, sondern ich bin wirklich dankbarer als man üblicherweise in solchen Situationen dankbar ist und das hat mehrere Gründe: Erstens, erfüllt es einem natürlich mit großer Freude, und, ja, ein bisschen Stolz, wenn aus einer Bewegung von jungen, engagierten Leuten – in dem Fall Studierentinnen und Studenten – die Bitte an einen herangetragen wird, in diesem außergewöhnlichen Moment hier zu sprechen. Zweitens hat das für mich auch noch einen autobiographischen Background. Vor 22 Jahren hab ich hier das Audimax besetzt. Das, was ihr heute tut, hab ich damals getan. Und da hat man natürlich ein paar nostalgische Gefühle. Bei denen will ich es jetzt auch lassen, und ich habe mich deshalb auch entschieden, nicht zu dem Thema zu sprechen, das mir eigentlich vorgeschlagen war: Nämlich über die Bedeutung von Studierendenbewegungen. Das hätte dann schon etwas Veteranenhaftes, wenn ich jetzt beginnen würde, Euch über Eure Bedeutung etwas zu erzählen, als hätte ich darüber ein abgeklärtes Wissen, das Ihr nicht habt, und vielleicht auch „von früher“, so wie Opa aus der guten alten Zeit. Das liegt mir nicht, dagegen hab ich auch einen Widerwillen, vielleicht einfach deshalb, weil ich dann das Gefühl hätte, jetzt bin ich aber wirklich alt. Außerdem wurde ich vorgestern gefragt, und da ich auch noch ein paar andere Dinge im Leben zu tun habe, wäre das etwas knapp geworden, mir etwas Substanzielles dazu auszudenken und aufzuschreiben. Ich habe mich daher dazu entschlossen, hier einen Vortrag zu halten, der, wie mir scheint, doch einiges mit dem zu tun hat, was Euch bewegt, aber doch nicht eine Romantik des Rebellischen verdoppelt. Nicht, dass ich etwas gegen eine solche Romantik hätte, die braucht es auch, aber in diesem Fall ist das jetzt Eure Romantik und nicht meine und das ist auch gut so. Ihr braucht mich weder zur Aufmunterung, noch als Alten vom Berg, der Euch Ratschläge gibt. Ich hab mir also gedacht, das Beste ist in diesem Fall, ich halte hier einen nüchternen Vortrag. Und auch der ist natürlich ein Statement: Denn Besetzungen wie diese eröffnen auch immer einen Raum – den Raum, exemplarisch für ein paar Tage auszutesten, wie eine kritische Universität funktionieren könnte. Deswegen werde ich mich jetzt auch nicht allzu kurz halten. Kurz, knapp und flott wie ein Videoblog oder ein Bachelor-Studium, das kann es ja nicht sein in so einem Moment.

 

Ich möchte hier über die Geiselnahme und Umdeutung von Begriffen sprechen, darüber, wie reaktionäre Kräfte Deutungsrahmen prägen. Das passiert ja immer wieder. Begriffe werden zu Kampfbegriffen und sie werden auch zu umkämpften Begriffen. Ein solcher Begriff ist ja etwa der der „Effizienz“. Inwiefern das Euren Kampf betrifft, liegt ja auf der Hand: Dinge so zu organisieren, dass sie „effizient“ sind, ist ja ein beliebtes rhetorisches Muster im Jargon der gesellschaftlicher Gegenreform. Was kompatibel ist für den Organisationsrahmen freier Markt, das ist effizient. Was nicht maximal effizient im Sinne eines simplen Ökonomismus ist, ist ineffizient. Man hat die Studien versucht effizient zu machen, also zu verschulen. Ob das gut oder erstrebenswert ist, muss man dann gar nicht mehr fragen, sofern das nur angeblich effizient ist. Dass man damit die Universitätsausbildung schon ziemlich kaputt gemacht hat und dass das neben allem, in the long run auch noch „ineffizient“ ist, na, das muss ich Euch nicht extra sagen. Immer weniger Menschen mit kritischer Bildung auszustatten und immer mehr Menschen im schnellen Durchlauf mit anwendbaren Fachwissen auszustatten mag „effizient“ sein in Hinblick auf ein, zwei, drei kleine Ziele, effizient für eine langfristig prosperierende Gesellschaft ist es keineswegs.

 

Der Begriff, dem ich mich in der Folge widmen will, ist der Begriff der Freiheit. Der Vortrag, den ich heute halte, ich sag das hier dazu, basiert auf der Eröffnungsrede, die ich beim Kongress der Partei die Linke in Leipzig aus Anlass von 40 Jahre Grundgesetz im Frühjahr gehalten habe. Der Freiheitsbegriff hat ja in den vergangenen Jahrzehnten eine erstaunliche Umdeutung erfahren. Die neukonservative und neoliberale Rechte haben den Freiheitsbegriff usurpiert. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf das progressive Lager, das dieses Feld wie ich meine allzu kampflos geräumt hat.

 

Es gibt eine unschöne Tradition in der linken Rhetorik in Hinblick auf Freiheitsrechte. Es ist da gelegentlich von „bloßen“ bürgerlichen Freiheitsrechten die Rede. Mit einer gewissen Herablassung wird gerne auch vom demokratischen Prinzip des allgemeinen, gleichen Wahlrechts geredet, das, unter Bedingungen kapitalistischer Vermachtung doch nur die Entscheidung zwischen verschiedenen Spielarten von Unterdrückern offen ließe, so von der Art, dass die Schafe eben zwischen konkurrierenden Schlächtern auswählen dürfen. Oft wird auch darauf hingewiesen, dass die Linke doch die „kollektive Freiheit“ hochhalte um Gegensatz zur „individuellen Freiheit“, dieser bürgerliche Freiheit. Gelegentlich ist da auch zu hören: „Was nützt einem Analphabeten die Pressefreiheit? Was nützt den Hungernden das Wahlrecht?“ Ich muss Ihnen gestehen, dass ich einen gewissen Widerwillen gegen Argumente wie dieses habe, und zwar nicht nur deshalb, weil es viel zu oft in der Geschichte schon dafür herhalten musste, nicht den Hunger, sondern das Wahlrecht abzuschaffen, sondern auch, weil es unterkomplex ist. Auch unter kapitalistischen Marktgesellschaften, hilft das Wahlrecht auch den Hungernden. Aber ich halte diese Argumente nicht nur für höchst fragwürdig, ich glaube auch, dass sie die „Linke“ beschädigen. Die Linke – und zwar nahezu alle Spielarten der Linken – haben den Freiheitsbegriff allzu kampflos der neoliberalen und neokonservativen Rechten überlassen. Und das ist fatal, angesichts dessen, welche zentrale Rolle das Pathos der Freiheit in der Geschichte der progressiven Kräfte spielte.

 

Nehmen wir nur Aktionen wie die Eure hier, und damit sag ich ja doch etwas über Studierendenbewegungen: Indem Ihr Euch für einen offenen Hochschulzugang, für eine qualitativ hohe und finanziell ausreichend dotierte akademische Ausbildung engagiert, setzt ihr Euch dafür ein, dass so viele Menschen wie möglich hier ihre Talente entwickeln können. Dass Studieren kein Privileg ist, sondern jedem offen steht. Ihr setzt Euch insofern für mehr gesellschaftliche Gleichheit ein. Aber in dem ihr das tut, macht ihr sofort eine Freiheitserfahrung. Ihr nehmt Eure Angelegenheiten selbst in die Hand. Insofern ist das hier schon, wie Eure Kritiker mäkeln, eine Party. Aber es ist eine besondere Party: Eine Befreiungsparty. Und ich seh nicht ein, was daran schlecht sein soll. Unsere Gesellschaft braucht viel mehr solche Partys.

 

Zurück zum Begriff der Freiheit:

 

Nehmen wir nur das berühmte Marx-Wort aus dem „Kommunistischen Manifest“, wonach es ihm um eine Assoziation gehe, „in der die freie Entfaltung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“. Ich will hier gar nicht in Begriffsscholastik verfallen und jedes Wort umdrehen. Marx hat seine Texte auch schnell hingeschrieben, er hat ja nicht gewusst, dass es irgendwann einmal irgendwelche meschuggenen Politrucks geben wird, die jedes Wort von ihm dreimal hin und her wenden werden. Aber der Geist dieses Satzes ist klar, auch wenn er vollgefüllt ist mit Paradoxa. Es geht um die Befreiung jedes einzelnen Individuums, die Möglichkeit, seine Talente voll zu entfalten, ohne manifeste Unterdrückung, aber auch ohne subtile Gängelung und die freiheitseinschränkenden Wirkungen, die von Armut, Elend und Chancenlosigkeit ausgehen. Die kollektive Befreiung ist die Bedingung für die individuelle Befreiung, aber es gibt auch keine kollektive Befreiung, die die individuelle Freiheit nicht schätzt. Wenn wir Linken – wobei ich Euch jetzt gar nicht alle in dieses WIR eingemeinden will, wer sich hier nicht betroffen fühlen mag, kann ja als interessierter Beobachter zuhören – wenn also wir Linken die Gleichheit hochhalten, dann nicht, damit wir alle gleich aussehen, gleich denken, in gleichen Häusern wohnen und die gleichen Schuhe tragen – sondern damit alle die gleichen Chancen auf Freiheit und freie Entfaltung haben. Nicht, damit wir alle gleich und austauschbar und verwechselbar sind, sondern damit alle die Möglichkeit haben, ihr unverwechselbares „Ich“ zu entwickeln.

 

Nun ist es in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren so, dass die neukonservative und neoliberale Rechte die unternehmerische Freiheit hochhielten und mit dieser gelegentlich auch ein gewisses gesellschaftliches Laissez-Faire. Damit konnte diese Ideologie auch eine Anziehungskraft auf linksliberale Milieus entwickeln, die sehr angetan sind von der Idee, dass jeder sein Ding machen und nicht von staatlichen Reglementierungen behindert werden soll. Dies richtete sich nicht nur gegen das kollektivistische Ideal eines vulgären, orthodoxen Marxismus und die repressiven Dimensionen eines längst ideallosen Staatssozialismus, sondern auch gegen den Wohlfahrtsstaat westeuropäischer, sozialdemokratischer und linkssozialistischer Prägung. Ja, selbst letztere Kritik war nicht ganz unberechtigt, hat ja auch der Sozialstaat seine normierenden und formierenden Dimensionen. Sozialbürokratien sind, um das Mindeste zu sagen, nicht immer vom antiautoritären Geist durchweht, oft haben sie eine parternalistische Schlagseite. Es gab ja nicht zufällig in den siebziger Jahren auch eine linke Sozialstaatskritik. Während die Rechte also den Begriff der Freiheit hochhielt, bekümmerten die Linken vor allem die wachsenden Ungleichheiten. Dies führte dazu, dass sich die Linke und die Rechte die beiden Begriffe „Freiheit“ und „Gleichheit“, die beide immer zum konstitutiven Ideenfundus der Linken zählten, gewissermaßen teilten. Die Rechte begann für Freiheit zu stehen, die Linke für Gleichheit. Eine Entwicklung, die wir schleunigst rückgängig machen sollten. Dafür ist es als erstes notwendig, in einer Operation, die man klassisch ideologiekritisch nennen könnte, den Freiheitsbegriff der neuen Rechten zu dekonstruieren.

 

Ich will also im Folgenden einen produktiven progressiven Freiheitsbegriff im Kontrast zur konservativen Freiheitsrhetorik entwickeln.

 

Was meinen Konservative, wenn sie „Freiheit“ sagen? Nun, zum Teil das selbe wie Liberale, Progressive oder Sozialdemokraten, was damit zusammen hängt, dass heute über ein paar Dinge, wie eine lebenswerte Gesellschaft strukturiert sein soll, im Westen Konsens besteht. So meinen Konservative und Progressive, dass die parlamentarische Demokratie, die jedem Bürger eine Stimme gibt, die beste Regierungsform ist, dass es möglich sein soll, eine Regierung abzuwählen und sie sind der gemeinsamen Überzeugung, dass Presse- und Meinungsfreiheit hohe Güter sind. Darin besteht kaum mehr ein Unterschied. Sie sind sich auch darüber einig, dass „Freiheit“ nicht notwendigerweise heißen kann, dass jeder tun darf, was er will. Weder Konservative noch Progressive vertreten die Auffassung, dass man die „Freiheit“ haben soll, den Nachbarn zu ermorden, und auch für die „Freiheit“, Passanten ins Gesicht zu spucken, setzt sich niemand ein, der bei Trost ist. Üblicherweise lernen schon die Zehnjährigen im Unterricht, dass die Freiheit dort enden muss, wo mein Verhalten die Freiheit eines anderen einschränkt. In der Praxis ist die Sache natürlich komplizierter, weil wir nicht immer direkt, sondern auch indirekt, durch allerlei Fäden, mit anderen verbunden sind. Wenn ich Auto fahre, ohne mich anzuschnallen, hat es wenig Sinn, mich auf meine „Freiheit“ zu berufen, wenngleich dieser riskante Lebensstil niemandem direkt schadet: Wenn ich unangeschnallt gegen einen Baum fahre, sterbe nur ich, und wenn ich in ein entgegenkommendes Auto rase, stirbt möglicherweise ein anderer Autofahrer mit mir, aber nicht deshalb, weil ich nicht angeschnallt war. Dennoch nimmt sich das Parlament heraus, eine Gurtenpflicht zu erlassen, weil etwa die Gesundheitssysteme dafür aufkommen müssen, wenn ich mich unnötig schwer verletze, was wiederum allen anderen Einzahlern Kosten aufbürdet.

 

Nichtsdestoweniger ist der Freiheitsbegriff der Konservativen etwas obskur. Zunächst war das Wort „Freiheit“ historisch ja nicht gerade eine zentrale Parole des Konservativismus. Der ältere Konservativismus favorisierte „Ordnung“ und damit meinte er meist das exakte Gegenteil von Freiheit. Ordnung hieß, dass sich die niedrigen Stände nicht heraus nahmen, frech zu werden. Man könnte also mit etwas Sarkasmus anmerken, dass der Konservativismus erst die „Freiheit“ auf seine Fahne geschrieben hat, nachdem andere sie erkämpft haben. Tatsächlich gilt ja, abseits aller Ironie, bis in unsere Zeit: Es gibt kaum ein Freiheitsrecht im Westen, das nicht gegen die Konservativen erkämpft worden wäre, vom allgemeinen, gleichen Wahlrecht über die Aufhebung der Rassentrennung in den USA bis zur rechtlichen Gleichstellung der Frauen in praktisch allen Ländern Europas. Heute noch kämpfen Konservative etwa dafür, dass die Homosexuellen-Ehe verboten bleibt. Und ohnehin steht die hohe Freiheitsrhetorik der Konservativen in einem seltsamen Missverhältnis zu dem moralisch-sittlichen Verbotsjargon, den sie stets und reflexartig anschlagen. So fordern Konservative, dass der Staat nicht in das Leben seiner Bürger eingreifen soll, was ja nur einen Sinn ergibt, wenn man der festen Überzeugung ist, dass niemand das Recht hat, über den Lebensstil eines Menschen zu urteilen, aber gerade Konservative nehmen sich natürlich sehr gerne dieses Recht heraus: Laissez-Faire in lebenskulturellen Fragen ist ihre Sache keineswegs. Deswegen, beispielsweise, die obsessive Fixierung der Konservativen auf Sex. Nichts hat den ÖVP-Blogger – das ist der in der ÖVP-Zentrale, der weiß, wie man einen Computer einschaltet, und dass Facebook kein Fotoalbum ist – mehr echauffiert über die Studierendenproteste, als dass in den verschiedenen Nebenräumen des Audimax in den vergangenen Tagen angeblich gefickt worden sein soll. Könnt ihm doch wurscht sein. Aber für Laissez-Faire ist man in diesen Kreisen natürlich nur, wenn es um die Wirtschaft geht.

 

Konservative lieben die doppelte moralische Buchführung. Kluge Neukonservative wie der US-Soziologe Daniel Bell, geben offen zu: Sie wollen „einerseits wirtschaftliche Freizügigkeit, andererseits Moralvorschriften“.

 

Der Freiheitsbegriff der Konservativen meint vor allem die Freiheit des privaten Eigentums. Wenn Neokonservative „Freiheit“ sagen und die Meinung vertreten, der Staat solle möglichst nicht in das Leben der Bürger eingreifen, dann meinen sie in aller Regel, der Staat solle so wenig wie möglich die freie wirtschaftliche Tätigkeit der Bürger als Wirtschaftssubjekte behindern. Ein aktiver Staat, der etwa versucht, soziale Ungerechtigkeiten auszugleichen, aber auch einer, der eine ambitionierte Bildungspolitik verfolgt und ein dichtes Netz an Wohlfahrtsprogrammen auflegt, die Menschen in Not oder anderen schwierigen Situationen helfen, bedroht diese „Freiheit“, sind Konservative überzeugt und sie haben sich dafür eine Reihe von Argumenten zurecht gelegt, die manchmal mehr, manchmal weniger logisch aufeinander Bezug nehmen.

 

Zunächst gehen sie davon aus, dass der Wettbewerb privater Wirtschaftssubjekte die effizienteste Art ist, eine Volkswirtschaft zu organisieren. Die Anreizstruktur, die den privatwirtschaftlichen Kapitalismus charakterisiert, sei auch die beste Methode, dafür zu sorgen, dass sich Menschen anstrengen. Die „Freiheit“ des Marktes sei auch die beste Voraussetzung dafür, die Talente von möglichst vielen Bürgern zu entwickeln. Auch dieses Motiv kennt Ihr aus der Bildungsdebatte gut: Wenn man die Studien kompettitiver macht, dann werdet ihr mehr lernen, dann werden die Schlechten aussortiert, und die Besten werden noch besser – so in etwa lautet ja diese etwas schlichte Idee.

[i]

Grundsätzlich sind Neukonservative der Ansicht, dass wir alle bessere Güter und Dienstleistungen zur Verfügung haben werden, wenn überall so viel Wettbewerbsgeist wie möglich herrscht und wenn nicht so sehr entscheidet, ob jemand einer Dienstleistung oder eines Gutes bedarf, sondern ob er es bezahlen kann. In vielen Fällen ist das so selbstverständlich, dass es trivial ist: Ein Friseur schneidet nicht prinzipiell zuerst jenen Menschen die Haare, die seine Dienste am notwendigsten haben, wie etwa zotteligen, langhaarigen Audimaxbesetzern oder strubbeligen Videobloggern – sondern jenen Menschen, die in seinen Laden kommen und ihn dafür bezahlen. Für Neukonservative ist sonnenklar, dass man dieses Prinzip auf so viele Bereiche wie möglich ausweiten sollte, und damit beginnen die Fragwürdigkeiten: Ob etwa Privatfernsehkanäle, die miteinander in einem harten Wettbewerb stehen, dazu geführt haben, dass wir „bessere“ Güter zur Auswahl haben, ist ja wohl kaum behaupten. Manche radikale Ideologen legen das freie Wettbewerbsprinzip auf ganz eigentümliche Weise aus: Warum sollen Professoren Leute unterrichten, die dafür nicht bezahlen können? Warum sollen Ärzte denen helfen, die es gerade am Nötigsten haben? fragt der ultrakonservative Philosoph Robert Nozick. „Muss denn ein Gärtner seine Dienste auf jene Grünflächen richten, die es am Nötigsten haben? Aber inwiefern unterscheidet sich die Situation des Arztes von dem des Gärtners?“[ii] Ist es nicht ungerecht, von einem Arzt zu verlangen, er solle einen Hungerleider retten, nur weil der gerade abzuleben droht, wenn er gleichzeitig einer wohlhabenden Witwe eine Schönheitsoperation verpassen könnte? Wie kann man von einem Arzt etwas verlangen, was man von einem Friseur nie zu fordern wagen würde?

 

In letzter Konsequenz sollen alle rhetorischen Verrenkungen der Konservativen die These untermauern, es sei keineswegs gerecht, mehr Gleichheit unter den Menschen herzustellen, und abgesehen davon würden alle Versuche in diese Richtung ausschließlich kontraproduktive Wirkungen haben. Die neokonservativen Ideologen tragen diese Meinung mit großem Getöse und scheinlogischen Ableitungen vor. Zunächst weisen sie zurück, dass mehr Gleichheit überhaupt ein erstrebenswertes Ziel sei. Schließlich seien die Menschen alle unterschiedlich und es sei doch schön, dass die Welt bunt sei. Alle Versuche der Progressiven, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, seien deshalb „Gleichmacherei“. Der Wert der „Gleichheit“ stehe im Gegensatz zur „Freiheit“, denn man könne Menschen nur gleicher machen, wenn man ihre Freiheit einschränkt.

 

Die Einwände gegen alle Versuche, mehr Gleichheit zwischen den Bürgern einer Gesellschaft herzustellen, machen das Herzstück des konservativen Denkens aus. Die Angriffe auf das Gleichheitsprinzip – oder umgekehrt: die Verteidigung gesellschaftlicher Ungleichheiten -, sind derart zentral in der Weltanschauung der Konservativen, dass sie eine ganze Reihe elaborierter Argumente vorbringen, die sich um zwei Basispostulate gruppieren. Erstens: Materielle Ungleichheiten, mögen sie auch noch so schroff sein, sind gar nicht ungerecht. Zweitens: Die Ungleichheiten zwischen den Menschen, mögen sie vielleicht auch ungerecht sein, sind funktional für eine prosperierende Gesellschaft und, umgekehrt seien alle Versuche, Ungleichheiten einzuebnen, dysfunktional.

 

Ungleiche Verteilung, so eines dieser Argumente, könne nur dann als „ungerecht“ charakterisiert werden, wenn sie auf illegitimen Wegen zustande gekommen ist. „Was immer aus einer gerechten Situation mit gerechten Zwischenschritten erwächst ist selbst gerecht“, postuliert der Philosoph Robert Nozick[iii]. Selbst die gröbsten Ungleichheiten, mögen sie auch die Folge einer Anhäufung von Reichtümern seit Generationen auf der einen, eine Folge von Niederlagen auf der anderen Seite sein, seien gerecht, solange sie unter Einhaltung der Spielregeln hergestellt wurden. Darum ist eines der Lieblingsschlagworte der Konservativen das der „Meritokratie“. Es lautet, dass diejenigen voran kommen sollen, die es verdienen. Eine gerechte Gesellschaft zeichnet sich nicht dadurch aus, dass man Gleichheit unter Ungleichen herstellt, aber auch nicht dadurch, dass diejenigen viel Macht haben, denen sie in den Schoß gelegt wurde – etwa durch das Erbprinzip in Monarchie und Feudalismus. Der Fluchtpunkt dieses Arguments ist natürlich, dass eine freie marktwirtschaftliche Gesellschaft genau eine solche gerechte Meritokratie ist, dass also diejenigen, die viel haben und damit materielle, soziale und politische Macht konzentrieren, wohl diejenigen sind, die das verdienen. Das Praktische an diesem Prinzip ist natürlich, dass der materielle Egoismus moralisch aufpoliert wird. Helmut Dubiel erinnert in diesem Zusammenhang an die Beliebtheit der „Rennbahnmetapher, mit der die Idee der Meritokratie von Seiten ihrer Verteidiger oft illustriert wird“, das Bild von den Läufern, „die auf derselben Linie gestartet sind“[iv]. Dass der, der schneller vorwärts kommt, dann der Gewinner ist, ist ja nur allzu gerecht. Die Lehre von der Meritokratie hat die leicht durchschaubare „ideologische Pointe, dass sie denen, die ohnehin das Privileg eines hohen Status und eines komfortablen Lebens besitzen, zusätzlich noch das Gefühl vermittelt, all das auch verdient zu haben“[v].

 

Tatsächlich kann man den Aufstieg des Neukonservativismus und des Neoliberalismus nicht verstehen, wenn man ihn nicht als Angriff auf das Gleichheitsideal versteht. Als nach 1945 begonnen wurde, im Westen Wohlfahrtsstaaten aufzubauen, wurden die Gesellschaften zunehmend „gleicher“. Auch die unteren Schichten wurden am Wohlstand beteiligt, und das ging nicht ohne Umverteilung von Oben nach Unten. Dies betrifft die Wohlfahrtsstaaten Europas in ähnlicher Weise wie die USA, die zwar nie zu einem vollständig ausgebauten Sozialstaat wurden, aber seit der Zeit des New Deals der Dreißiger Jahre bis in die siebziger Jahre die gleiche Richtung einschlugen. Doch seit dem Aufstieg des Neokonservativismus, von Thatcherismus und Reaganomics, geht die Schere wieder auf. Der Aufstieg einen aggressiven, kompromisslosen Konservativismus und das Wachstum der Ungleichheit gehen Hand in Hand.

 

Dass der Frontalangriff der Gleichheitsfeinde in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren so erfolgreich sein konnte, ist durchaus erstaunlich. Denn grundsätzlich ist das Gleichheitsideal allgemein anerkannt. Die allermeisten Menschen wollen nicht ungleich behandelt werden und haben einen wachen Instinkt für Ungerechtigkeiten. Keineswegs lässt sich behaupten, dass das Gleichheitsideal an Überzeugungskraft verloren hat. Eher das Gegenteil ist der Fall: Vor hundert, zweihundert Jahren, als die Menschen noch in ihren traditionellen Gesellschaften lebten, mit Königen, Fürsten, Aristokraten oben, den einfachen Leuten unten, waren die Bürger seit Generationen darauf trainiert, diese Ordnung anzuerkennen. Es kam zwar zu Rebellionen und Revolutionen, wenn die Lage der Unterprivilegierten allzu drückend war, aber ganz generell war die hierarchische Ordnung eher respektiert. Früher hat man das halt akzeptiert: Für die Kinder vieler Leute war es im Lebensplan einfach nicht vorgesehen, dass sie mehr als Volks- oder Hauptschule machen und dass es eine Universität gibt, davon hatten sie allenfalls gehört, mehr aber nicht. Also, die Gleichheit ist heute nicht wirklich unpopulär.

 

Und die Ungleichheit ist, anders als die konservativen Prediger uns Glauben machen wollen, keineswegs nützlich. Relative Gleichheit hat sich historisch als durchaus funktional erwiesen – funktionaler als grobe Ungleichheiten. Seinerzeit, als die Ungleichheiten nach und nach geringer wurden, entstand ein breiter Mittelstand, konnten Familien ihren Kindern eine bessere Ausbildung garantieren, als sie sie selber noch genießen durften, es wuchs die gesellschaftliche Nachfrage nach Gütern, es stiegen die Fertigkeiten der breiten Masse, was sich als Voraussetzung für eine wissensbasierte Ökonomie erwies. Resultat: Die Wirtschaft brummte, die Wachstumsraten waren kontinuierlich stabil. Niedrige Löhne für die Schwachen, sinkende Steuern für die Reichen und die Unternehmen führen eben nicht zu mehr Prosperität, sondern erzeugen soziale Kosten. Gerade relative Gleichheit ist die Voraussetzung für die Mobilität, die dynamische Gemeinwesen benötigen. Ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit und Teilhabe am Reichtum ist Voraussetzung dafür, dass jemand Risiken eingehen oder einfach seine Talente entwickeln kann. Die Erosion des Wohlfahrtsstaates und die Ausbreitung von prekären Lebenssituationen führt eben nicht zu „weniger Kollektivismus“ und „mehr Individualismus“, wie uns die neuen Konservativen Glauben machen wollen. Und umgekehrt war auch der Sozialstaat die Vorbedingung für die zeitgenössische Individualisierung, wenn man so will, für eine „Massenindividualität“, wie Robert Castel in Anlehnung an Marcel Gauchet ausführt: „So wie der klassische Wohlfahrtsstaat einen Klassenkompromiß bewerkstelligt, genauso treibt er zugleich auch die Individualisierung voran. Wenn man die Individuen mit einem so vorzüglichen Fallschirm ausstattet, wie ihn die Gewissheit der Fürsorge darstellt, dann ermöglicht man ihnen, sich in allen erdenklichen Lebenssituationen von den Gemeinschaften, allen möglichen Zugehörigkeiten, angefangen bei den elementaren Solidaritäten der Nachbarschaft, abzunabeln. Der Wohlfahrtsstatt ist ein mächtiger Faktor des Individualismus.“[vi] Es ist, fügt Castel hinzu, durchaus „paradox … Man lebt und erlebt seine eigene Individualität um so leichter, wenn sie sich auf objektive Ressourcen und kollektive Sicherheiten stützt“[vii].

 

Also, und damit bin ich bei meinem Ausgangspunkt zurück: Soziale Gleichheit ist die Bedingung für individuelle Freiheit, nicht ihr Gegenteil. Darf ich Sie an dieser Stelle nur noch einmal erinnern an das Marx-Wort, wonach in der von ihm angestrebten Gesellschaft „die freie Entfaltung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“. Staatliche Maßnahmen, die den Schwachen helfen und eine egalitäre Kultur führen nicht zu  weniger Individualismus, sondern zu mehr, und sie führen auch nicht zu weniger Wohlstand, wie die Konservativen meinen, sondern zu mehr. Gute Schulen, die die Ungleichheit nicht reproduzieren, sondern die ungerechte Chancenverteilung auszugleichen versuchen, führen zu einem allgemeinen Wachstum des Bildungsniveaus

 

In einer Gesellschaft mit einem schwachen Staat, in der Ungleichheiten akzeptiert werden, wird auch akzeptiert, dass ein Teil der Gesellschaft nicht mitkommt. In einer solchen Gesellschaft werden Talente vergeudet. Oder, um das in den Worten des großen amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt zu sagen: „Dass rücksichtloser Egoismus in moralischer Hinsicht falsch ist, wussten wir schon; jetzt wissen wir, dass er auch in wirtschaftlicher Hinsicht falsch ist.“[viii]

 

Die Gleichheit ist also nicht der Antipode der Freiheit, sondern ihr Zwilling. Die vielbeschworene „Optionen- und Risikogesellschaft“ bedeutet in der Realität: Optionen für die Einen, Risiko für die anderen. „Freiheit“ unter den Bedingungen von grober Ungleichheit heißt Freiheit für die Begüterten, aber Optionenmangel für die Unterprivilegierten. Dass eine egalitäre Gesellschaft nur auf Kosten der „Freiheit“ zu haben ist, ist vielleicht die allergrößte Lüge der neuen Konservativen. Ungleichheit hat freiheitseinschränkende Wirkungen für die Unbegüterten, weil eklatanter materieller Mangel mit eklatantem Mangel an Optionen einher geht.[ix]

 

Gleiche Lebenschancen dagegen geben allen Menschen die Freiheit, aus ihrem Leben etwas zu machen. Davon haben sie nicht nur als Individuen etwas, sondern wir alle: Es gibt mehr Menschen, die zum Wohlstand unserer Gesellschaften beitragen. Soziale Sicherheit garantiert nicht nur den Individuen ein Leben ohne Angst und Bedrückung – sie können sich dann auch fortbilden, sie können jene Jobs wählen, die ihnen Spaß machen und in denen sie dann wohl auch mehr leisten werden. Und sie können so manches „Wagnis“ eingehen.

 

Es ist eine der großen Grotesken der Geschichte, dass sich die neuen Konservativen als Protagonisten der „Freiheit“ präsentieren und die progressiven Kräfte zu Befürwortern der Gängelung stilisieren. Viele Menschen haben sich leidenschaftlich für die Linke engagiert, weil sie gegen Unterdrückung, Diktatur und undemokratische Machenschaften aufgetreten ist. Das war vor 150 Jahren so, als die frühen Sozialisten in der Revolution von 1848 den Kampf für Freiheitsrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit und demokratische Wahlen führten, ein Kampf, der damals noch von Kaiser- und Königtum niedergeschlagen wurde. Das war so, als die ersten Gewerkschaften das Recht der Arbeiter erkämpften, sich mit ihresgleichen zusammenzuschließen. Das war am Ende des Ersten Weltkrieges so, als in den meisten Ländern Europas die Monarchien stürzten und es oft die Anführer der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien waren, die demokratische Republiken ausriefen, in denen das freie und gleiche Wahlrecht garantiert war. Das war in den dreißiger Jahren so, als es vor allem die progressiven Kräfte waren, die sich gegen den Aufstieg des Faschismus auflehnten und, wie etwa im spanischen Bürgerkrieg, beherzt für die Freiheit kämpften. Das war in den sechziger Jahren in den USA so, als die Bürgerrechtsbewegung ihren Kampf gegen die rassistische Diskriminierung der Schwarzen führte. Und das war noch in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Europa so, als einerseits sozialdemokratische Politiker wie Willy Brandt oder Bruno Kreisky den konservativen, beengenden Mief ausfegten und andererseits unorthodoxe Bewegungen und Gegenkulturen versuchten, freie und unkonventionelle Lebensformen zu entwickeln und die Studentenbewegungen der Jahre 68 ff den Muff von tausend Jahren aus den Nachkriegsgesellschaften wegbliesen. Und das war immer auch so, wenn linke Parteien, zu Staatsparteien erstarrt, das Freiheitsideal aus den Augen verloren oder gar mit Füßen getreten haben. Libertäre Sozialisten, wie George Orwell, Victor Serge und viele, viele andere haben dann darauf bestanden, dass eine gerechtere Welt ohne Freiheit nicht zu haben ist – aber dass Freiheit auch ohne Gerechtigkeit nicht zu haben ist.

 

Die progressiven Kräfte waren immer von der Gewissheit getragen: Ein anderes, ein freieres Leben ist möglich. Die Unterprivilegierten haben sich gegen ihre Armut aufgelehnt, aber auch gegen Drangsalierung, Rassismus, Versklavung und Unfreiheit. In all diesen Jahrzehnten und Jahrhunderten waren die progressiven Bewegungen die Speerspitze der Aufklärung. Sie waren der Meinung, dass auch Arme und Ungebildete das Recht und die Fähigkeit besäßen, selbst zu denken – jeder einzelne von ihnen. Sie waren, so gesehen, deshalb auch eine mächtige Kraft des Individualismus. Überlassen wir den Freiheitsbegriff nicht den Erben jener, die immer auf der anderen, der falschen Seite standen.

 

Ich komme zum Schluss. Die schlanke, effiziente Universität, in der Lehrende nicht mehr Gelehrte sondern Dienstleister sind, in der Studierende keine ineffektiven Denkwege mehr einschlagen, von denen sie am Anfang noch nicht wissen, wohin sie sie führen mögen, sondern Kunden, die man so schnell wie möglich mit einer Produktpalette – ihrer Ausbildung – ausstattet, eine solche Universität folgt eben daraus, wenn man die Logik freier Märkte als die Logik identifiziert, in der sich maximale Freiheit vollzieht. So formuliert liegt freilich auf der Hand: Die Logik freier Märkte gebiert nicht Freiheit, sondern Zwang. Den Zwang, sich einer hegemonialen Logik zu unterwerfen. Sie gebiert Regierende, die diesen Zwang in Gesetze verwandeln und in Verwaltungsakte.

 

Eurer Aufstand dagegen ist ein Freiheitsimpuls: So nicht regiert werden zu wollen.

 

Ihr setzt Euch ein für Eure Interessen. Das ist, wenn man es so formuliert, eine zweischneidige Sache. Viele Leute setzen sich für ihre Interessen ein: Die Gymnasiallehrer setzen sich für die Partikularinteressen der Gymnasiallehrer ein, die Bauern für die Interessen der Bauern, die Piloten für die Partikularinteressen der Piloten, die Banker für die Interessen der Banker (die besonders erfolgreich). Es ist nicht automatisch emanzipatorisch, wenn sich Menschen für ihre Interessen einsetzen. Es kann sogar antiemanzipatorisch sein, dann nämlich, wenn sich alle für ihre Partikularinteressen einsetzen und wir am Ende in einer Gesellschaft leben, in der der Begriff „Gemeinwesen“ vollkommen hohl geworden ist, weil alle möglichen gesellschaftlichen Interessensgruppen gegeneinander konkurrieren. Es reicht also nicht, sich für seine Interessen stark zu machen. Man muss das schon auf Basis von Werten machen, von geteilten Werten. Der Begriff der „Werte“ ist in progressiven Kreisen ja nicht sonderlich beliebt. Der hat ja etwas Pfäffisches. Aber gesellschaftliche Gleichheit und Freiheit sind Werte, für die, so sehe ich das jedenfalls, wir uns nicht nur einsetzen sollten, weil sie nützlich sind, es sind Werte, für die wir uns sogar dann einsetzen würden, wenn sie in Hinblick auf irgendein anderes gesellschaftliches Ziel (beispielsweise Wohlstandsmehrung) nicht effektiv wären. Das Schöne ist, sie sind auch effizient in dieser Hinsicht. Der Zugang von allen – ALLEN – Menschen zu hochqualifizierter Bildung und von so vielen Menschen wie möglich zu akademischer Bildung macht unsere Gesellschaften nicht nur gerechter, er macht sie auch in ökonomischer Hinsicht funktionstüchtiger, und er macht sie auch freier: Weil nur so alle Menschen die Möglichkeit haben, ihre Talente zu entwickeln, weil sie so mit der sozialen Sicherheit und mit den sozialen Kompetenzen ausgestattet werden, die nötig sind, seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen.

 

Insofern ist Eure Bewegung auch eine Freiheitsbewegung. Und sie ist es in einem noch eminenteren Sinn, weil Ihr eine Wahl getroffen habt, Euch entschieden habt, Euch aufzulehnen. Das ist per se schon ein emanzipatorischer Akt. Ein Akt, aus dem Erfahrungen folgen. Freiheitserfahrungen, die bleiben, auch wenn die Freiheitsparty mal vorbei ist. Und sie wird irgendwann vorbei sein. Vielleicht werdet ihr, wenn Sie vorbei ist, ein paar von Euren Forderungen durchgesetzt haben, vielleicht auch nicht. In jedem Fall aber wird, wenn das vorbei ist, etwas bleiben: IHR, die ihr diese Erfahrung gemacht habt. Eine bessere Gesellschaft wird es nämlich nur geben, wenn es Menschen gibt, die sich für eine solche einsetzen. Ich bin mir ziemlich sicher, hier sitzen genügend Leute, die das in den nächsten fünf, zehn, zwanzig Jahren tun werden.

 

Unser Land, und natürlich nicht nur unser Land, aber leider, leider: unser Land besonders, hat solche Menschen bitter nötig.

 

Und damit schließe ich und sage: Ich danke Euch! Und in diesem Fall meine ich damit nicht in erster Linie, dass ich Euch für die Aufmerksamkeit danke.

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