Erlöse uns von unseren Schulden!

Alle kaufen auf Pump, Investoren verzocken Geliehenes und der Staat verschuldet sich über beide Ohren: Hat der Kapitalismus seine Ehrbarkeit verloren, weil er zu einer allgemeinen Schuldenwirtschaft wurde? Nein, denn ohne systematische Verschuldung wären wir alle noch arm wie Kirchenmäuse. Standard, 17./18. Oktober

 

 

 

Schuld ist mehr als ein Minus am Konto. Wer chronisch schuldig bleibt, ist, wie der Name schon sagt: schuldig. Pekuniäre Schuld ist keine bloß technische Kategorie – zu einer solchen kann sie aufgehübscht werden, dann nennt man sie Defizit oder Verbindlichkeit –  sondern auch eine moralische. Schuld ist Schande. Noch vor 150 Jahren kam, wer seine Außenstände nicht begleichen konnte, in den Schuldturm. Das war Gefängnisstrafe mit verschärfter Scham. Seit dem Infarkt der Finanzmärkte ist es deshalb recht häufig zu hören: Schuld sind wir alle irgendwie, weil sich Frivolität verbreitet habe: bedenkenloses Schuldenmachen auf allen Ebenen, vom Privatmann, der auf Pump kauft, vom Investor, der sein Eigenkapital vielfach mit Krediten „hebelte“, vom Staat, der Geld auf Kosten künftiger Generationen verschleudert. Der filouhaften Bedenkenlosigkeit wird da gerne „der einfache Grundsatz des ehrbaren Kaufmanns“ („Süddeutsche Zeitung“) gegenüber gestellt, der wisse, dass er nicht über seine Verhältnisse leben darf.

 

Wer heute auf Pump prasst, der müsse wissen, dass er das auf Kosten der Zukunft täte.

 

Aber stimmt das eigentlich? Betrachtet man die Dinge nüchtern, also ohne moralische Voreingenommenheit, wird man schnell feststellen, dass die Möglichkeit zu massenhafter, systematischer Verschuldung zu einer regelrechten Reichtumsexplosion geführt hat. Über weite Strecken der Menschheitsgeschichte hat sich der materielle Wohlstand etwa alle 600 bis 1000 Jahre verdoppelt. In den vergangenen beiden Jahrhunderten hat er sich alle 40 Jahre verdoppelt. Dazwischen lag die Erfindung des Geschäftskredits. Kredit heißt, dass ich nicht nur das, was ich mir vorher erspart habe, zu investieren vermag, sondern dass ich Investitionskapital erhalten kann, alleine für die Aussicht künftiger Erträge. Für den Ökonomen Joseph Schumpeter war die Erfindung des umfassenden Kreditsystems daher ein Schlüssel zur Erklärung des fantastischen Erfolges des Kapitalismus, mindestens so wichtig wie Privatinitiative oder freie Märkte. Erst die Erfindung systematischer Schuldenwirtschaft hat es ermöglicht, stetig und sehr rasch aus Geld mehr Geld zu machen. Schulden können zwar den einzelnen Schuldner ins Elend treiben, aber auf einer allgemeineren, systemischen Ebene machen Schulden nicht arm, sondern reich. Schon für den „ehrbaren Kaufmann“, erst recht für den Industriellen, und ganz gewiss für ganze Gesellschaften gilt: Man kann sich nicht reich sparen, man kann sich nur reich investieren.

 

Wir haben das nur noch immer nicht begriffen, weil so viele moralische Vorurteile in unserem Kopf herum spucken. Zwar glauben viele, die Wirtschaft sei das Feld der kühlen Kalkulation und nackten Zahlung, aber das stimmt nicht. Man sieht das schon an den Begrifflichkeiten.

 

Es ist in intellektuellen Kreisen Mode geworden, den Kapitalismus als Religion, mindestens als eine Ersatzreligion darzustellen. Dass der Kapitalismus Ähnlichkeiten mit einer Kultreligion habe, hat schon Walter Benjamin festgestellt, noch die „Ornamentik der Banknoten“ erinnere an Heiligenbilder. Frappierend ist die Verwandtschaft des Vokabulars: Kredit und Credo, Gläubiger und Glaube, Schuld und Schulden, Emission und Mission. Gibt es in der Religion Offenbarung und Erlösung, so in der Wirtschaft Erlös und Offenbarungseid. Dass es heute Usus ist, Warenhäuser als Konsumtempel, Shopping-Malls als Kathedralen der Konsumkultur und Marktwirtschaftsanhänger als Propheten und Prediger zu bezeichnen, ist angesichts dieser semantischen Verwandtschaften fast schon logisch. Betrachtete Benjamin den Kapitalismus tatsächlich als Religion im engen Sinn, so hatte die Wirtschaftssoziologie eine schwächere, aber verwandte These. Für Max Weber, der den Beginn und ersten Höhepunkt dieser Disziplin markiert, sind ökonomische Mentalitäten religiös bedingt, sozusagen eingefärbt. Für Weber modellierte die protestantische Askese den „kapitalistischen Geist“. Die Werte des einfachen Kaufmanns, der sich nicht ausruht auf seinem Besitz, waren für Weber eindeutig religiös modelliert und standen konträr zur Verschwendungssucht der Parvenüs. Allerdings: Die asketische Sparsamkeit stand am Beginn der kapitalistischen Entwicklung, mit ihr allein hätten wir es aber nie zum Konsumkapitalismus der Gegenwart gebracht. Denn der benötigt das exakte Gegenteil, in ihm übersetzen sich nicht Verzicht, sondern Verschwendungssucht und Kaufrausch in Einkommen, Profite, neue Investitionen und damit in neue Einkommen, die dann wieder zum Einkaufen verwendet werden können. Und genau für diesen Tugendverlust wird der Konsumkapitalismus auch immer wieder kritisiert.

 

Schulden stehen also moralisch in einem schlechten Licht, aber sie sind der Treibstoff, der den Motor am Laufen hält. Kredit gebiert neuen Kredit. Zuletzt, schreiben die deutschen Autoren Ralph und Stefan Heidenreich in ihrem geistreichen Bändchen „Mehr Geld“, wurde „jeder Konsument eine kleine Bank, mit einem kleinen Kredit-Geschäft, das konsumierte Werte als Sicherheit nahm. Ausgegebener Kredit verwandelte sich in Sicherheit für neuen Kredit. Je mehr Kredit man aufnahm, desto mehr Kredit erhielt man“. Man kaufte Häuser auf Pump. Und auf die Wertsteigerungen der Häuser nahm man neue Kredite auf. Jeder Besitz, mag er auch auf Pump gekauft sein, steigerte die Kreditwürdigkeit. Das stürzte uns in die Krise, weil der Schuldenvermehrung keine ausreichende Reichtumsvermehrung gegenüber stand, prinzipiell ist das aber der Mechanismus, der die Erfolgsgeschichte des Kapitalismus begründete. Kredit, noch dazu zu niedrigen Zinsen, also das, was die Experten „billiges Geld“ nennen, begünstigt Börsenblasen, das Abheben der Wirtschaft ins Halluzinogene, aber gleichzeitig wäre ein Kapitalismus ohne Verschuldung nur schwer über seine frühe Handwerks- und Kaufmannsverfassung hinausgekommen.

 

Dass das Schuldenmachen irgendwie moralisch zweifelhaft, das Sparen aber tugendhaft sei, allein schon diese Auffassung ist unter den Bedingungen einer dynamischen Ökonomie eine vollkommen absurde Meinung und zwar aus einem sehr einfachen Grund: hier kann man gar nicht sparen, ohne dass sich ein anderer verschuldet. Nur die wenigsten Menschen horten ihr Geld im Sparstrumpf oder der Matratze. Die allermeisten tragen es auf die Bank und erwarten, dass sie für ihr Erspartes Zinsens erhalten. Die Bank verleiht das Geld an Kreditnehmer und kassiert Kreditzinsen, mit denen sie wiederum die Zinsen für die Einlagen begleicht. Ohne Schuldner kein Sparer. Aber die Dinge sind noch einen Dreh raffinierter: Der Kreditnehmer gibt das Geld aus (egal, ob als Konsument, der sich ein Auto kauft, oder als Unternehmer, der sich Maschinen kauft), und dieses Geld nehmen andere ein. Die tragen einen Teil davon ihrerseits auf die Bank, die es, Bingo! wiederum als Kredit ausleiht. Ein Euro, der am Ausgangspunkt dieses Prozesses stand, vermehrt sich. Es versteht sich von selbst, dass durch diesen Prozess wirtschaftliche Dynamik ausgelöst wird, also Wachstum. Insofern darf auch die allgemeine Hausmütterchen-Weisheit bezweifelt werden, dass Schulden eine „Belastung auf die Zukunft“ sind. Simpel gesagt: Wenn jemand einen Kredit aufnimmt, und damit zu einer wirtschaftlichen Dynamik beiträgt, die uns alle reicher macht, dann ist er am Ende möglicherweise trotz der Schulden reicher als er es wäre, wenn er den Kredit nicht aufgenommen hätte.   

 

Für den einzelnen Kreditnehmer gibt es dafür natürlich nie eine Sicherheit – für eine Gesellschaft als Ganzes im Grunde schon, es sei denn sie geht durch lange Phasen geringen Wachstums oder gar durch eine tiefe Rezession.

 

Wir dürfen also nicht über unsere Verhältnisse leben? Stimmt und stimmt auch nicht. Daran stimmt: Verschuldungsexplosion weit jenseits eines realistischen Wirtschaftswachstums ist ungesund. Aber es gilt auch: Hätten die Menschen nicht begonnen über ihre Verhältnisse zu leben, würden wir immer noch in weit ärmeren Verhältnissen leben. Das „Über-die-Verhältnisse-leben“ schafft also bessere Verhältnisse. So tricky ist der Kapitalismus, oder, um Karl Marx zu paraphrasieren, voller „metaphysischer Spitzfindigkeiten und theologischer Mucken“.

 

Ist es also eine verlotterte „Wirtschaftsmoral“, wie Gustav Seibt in der „Süddeutschen Zeitung“ schreibt, „ohne die der ganze Schlamassel nicht möglich geworden wäre?“ Hat tatsächlich der „Kapitalismus seine Ehrbarkeit verloren“? Man kann gewiss der Meinung sein, dass es zuletzt an Weitsicht fehlte oder an Verantwortlichkeit. Dass eine ganze „Finanzindustrie“ entstand, die mit geborgtem Geld spekulierte, also mit Geliehenem zockte, gehört in dieses Bild. Aber die Tatsache allein, dass der zeitgenössische Kapitalismus ein schuldengetriebenes System ist, ist für das Urteil „verlorener Ehrbarkeit“ doch ein etwas zu schwaches Indiz. Und was würde denn aus einem solchen Urteil folgen? Schuldenreduktion, also allgemeines Sparen, wäre in dieser Situation natürlich der sichere Weg in die Katastrophe. Wenn alle sparen schmiert die Wirtschaft in eine Depression, die Einkommen aller sinken und damit würden ihre Schulden noch drückender. Schon jeder Unternehmer weiß das: Schulden wird man am besten durch Wachstum und Steigerung der Einnahmen los, eher schlecht durch Pfennigfuchserei und Kostenreduktion an allen Ecken. Man kann sogar soweit gehen, zu sagen, dass der Kapitalismus eine stetige „Flucht nach vorne“ ist. Investitionen sind Wetten auf zu Zukunft. Sind sie obendrein noch kreditfinanziert, leiht jemand Geld auf nichts mehr als auf die Erwartung künftiger Erlöse. Die futuristische Zukunftsorientierung, der Fortschrittsgeist des Kapitalismus könnte darin seinen Hauptgrund haben: Ohne Zukunftsvertrauen der Wirtschaftssubjekte geht hier gar nichts. Ist das „Wirtschaftsklima“ einmal dunkelgrau – man bedenke, dass diese ökonomische Kategorie nichts als eine Emotion beschreibt -, dann wird es schon gefährlich.

 

Die tollsten Dinge werden erfunden, nur weil einer gezwungen ist, seine Schulden los zu werden.

 

Haben Schulden im allgemeinen einen strengen Hautgout, so gibt es natürlich Schulden, die verpönter sind, und andere, die weniger verpönt sind. Die Schulden der Sozialhilfebezieherin, die trotz ihrer beschränkten finanziellen Verhältnisse wild beim Versandhaus orderte, sind sehr verpönt. Macht jemand Schulden, um Wohneigentum zu erwerben, sieht die Sache mit Recht schon anders aus. Man muss nur einen durchschnittlichen wirtschaftspolitischen Artikel in einer Qualitätszeitung lesen: Ist da von den Schulden der privaten Haushalte die Rede, dann ist das meist eine neutrale Größe, der bisweilen auch die Höhe der privaten Vermögen gegenüber gestellt wird. Kommt die Staatsverschuldung ins Spiel, dann schleicht sich schnell ein pejorativer Ton ein. Denn Staatsverschuldung ist ganz schlecht. Verschwendung! Geldverbrennung auf Kosten künftiger Generationen!

 

Leider ist auch das eine eher komplexe Sache. Schon alleine aus folgendem Grund: Der Staat verschuldet sich ja bei Privaten, die staatliche Anleihen kaufen. Diese Anleihenbesitzer erstehen Finanzvermögen, und auch die werden vererbt. Also erbt die nächste Generation nicht nur Schulden, sondern auch Vermögen. Gewiss, damit ist noch nichts über die Verteilung gesagt: Manche erben nur Schulden, manche Schulden und Vermögen. Aber das ist nur ein Nebenaspekt. Viel entscheidender ist natürlich: Man „erbt“ ja vor allem die Verhältnisse, in die man hineingeboren ist. Simpel gesprochen: Jeder Staatsbürger wird mit Schulden geboren, aber er überlebt die Geburt heute meist, weil es ein staatliches Gesundheitssystem gibt oder funktionstüchtige Spitäler, die der Staat mit Steuergeldern oder über Staatsschulden finanziert hat.

 

Jetzt, in der Krise, explodiert die Staatsschuld. Die Regierungen geben Geld aus, um die Banken zu retten, die Zentralbanken  pumpen Liquidität ins System und die Minister finanzieren Konjunkturprogramme, damit der Wirtschaftsmotor wieder anspringt. „Debt. The biggest bill in history“ – „Schulden. Die größte Rechnung der Geschichte“ – prangte vor einiger Zeit am Cover des „Economist“. Schon machen sich manche größere Sorgen über die Schuldenlast von Morgen als über den konjunkturellen Einbruch von heute, obwohl es mit der Wirtschaft bergab ging wie nie und ohne Verschuldung noch viel weiter bergab gegangen wäre. Tatsächlich springt die durchschnittliche Verschuldung der Staaten auf ein neues Niveau. Hatte es sich zuletzt bei 60 bis 70 Prozent des BIP eingependelt, wird der übliche Wert demnächst bei 100 Prozent liegen. Das heißt, der Gesamtschuldenstand wird in den meisten entwickelten Ländern etwa so hoch sein wie die Summe aller Güter und Dienstleistungen, die in einem Jahr produziert werden. Aber dieser Schuldenzuwachs wird ja in den Wirtschaftskreislauf eingespeist und generiert Wachstum (oder, im Augenblick korrekter: bremst die Schrumpfung). Würde der Staat nicht einspringen, würde das BIP in den Keller fallen. Das könnte leicht zu dem unangenehmen Resultat führen, dass die Staatsschuld zwar nicht nominal so schnell wächst, aber ebenfalls 100 Prozent des BIP beträgt – weil dann eben das BIP noch tiefer gefallen ist. Das wäre auch nicht besser, sondern sogar erheblich schlechter: Die Staatskassen wären ähnlich klamm, aber unser aller Einkommen wären deutlich niedriger. Abgesehen davon, dass die Staatsschuld in der Krise auch wächst, wenn der Staat gar nichts tut: Er hat ja weniger Steuereinnahmen und muss mehr Geld für Sozialhilfe aufwenden, und auch die Finanzlöcher der Arbeitslosen- und Krankenversicherung würden größer. Auch in dem Fall der Staatsverschuldung gilt also: Schulden sind zwar keine Freude, aber ohne Verschuldung wären wir alle noch erheblich ärmer. Mehr noch: Staatsschulden sind ja Gelder, die die Regierungen – mehr oder weniger sinnvoll – investieren. Sie sind also Gewinne für Unternehmen. Und Einkommen von deren Beschäftigten. Und die Gewinne der Firmen, bei denen diese Beschäftigten einkaufen. Wenn wir uns also dafür entscheiden würden, dass wir eine nicht so hohe Staatsschuld vererben, würden wir eine Volkswirtschaft „vererben“, die deutlich weniger leistungsfähig ist. Kurzum: Auch in diesem Fall übersetzen sich Schulden in Reichtum.

 

Neuerdings zieht freilich eine neue Furcht Kreise: dass die wachsende staatliche Wirtschaftsaktivität bald hohe Inflationsraten auslösen könnte. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Weil die Notenbanken mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpen. Zweitens: Weil die Regierungen die Schulden wieder einmal loswerden müssen und das gelingt am leichtesten über Inflation. Aber die Sorgen sind für’s Erste jedenfalls unbegründet: Mehr Geld im Umlauf führt nur zu Inflation, wenn die Konsumenten wie verrückt nachfragen, die Banken mehr Kredite ausgeben und die Unternehmen mehr produzieren. Nichts von all dem ist der Fall. Sondern das exakte Gegenteil. Deshalb fallen die Preise, statt zu steigen. Es gibt auch keinen Fall in der Geschichte, wo in einer ähnlichen Situation Inflation die Folge gewesen wäre. Der zweitere Fall ist möglich: Wenn Staaten hoch verschuldet sind, können sie die Schuld real abbauen, indem sie die Schulden einfach entwerten – durch Inflation. Dies käme praktisch einer Enteignung ihrer Gläubiger gleich. Allerdings weiß jeder: Die Kosten, die durch die Störungen verursacht werden, die galoppierende Inflation nach sich zieht, sind sehr viel höher als Vorteile, die man dadurch erzielt. Deshalb hat kein relevanter Staat in den vergangenen sechzig Jahren versucht, seine Schulden „wegzuinflationieren“.

 

Nicht Schulden sind das Problem im Kapitalismus. Wächst er ausreichend, können alle ihre Schulden bedienen und verdienen dennoch noch schön. Dann ist ihre Wette auf die Zukunft aufgegangen. Mehr noch: dieses Wetten auf die Zukunft hat uns die fantastischen Wohlstandsgewinne der vergangenen zwei Jahrhunderte eingebracht. Das Problem am Kapitalismus ist schleppendes Wachstum. Und nichts ist blöder als hohe Schulden und schleppendes Wachstum gleichzeitig. Das Problem besteht darin, dass vieles dafür spricht, dass uns exakt das in den kommenden Jahren ins Haus steht. Und das Lustige ist, dass uns nur eines davor bewahren kann: dass diejenigen, die bisher gespart haben, ganz schnell damit aufhören.  

7 Gedanken zu „Erlöse uns von unseren Schulden!“

  1. Hervorragend erklärt. Ich werde den Artikel zu meinen Lesezeichen hinzufügen.
    Die Sache mit der Kreditwirtschaft verstehen ja weder die meisten Linken noch die so genannten Neoliberalen, was sie aber nicht davon abhält, sich eifrig zu Wort zu melden.
    Ich erinnere mich in dem Zusammenhang an eine Club2-Sendung. Der eingeladene Banker erzählte stolz von Kreditvergaben im Osten oder in Entwicklungsländern. Renata Schmidtkunz entgegnete mit vorwursfsvollem Blick : „Ja, aber davon haben Sie ja profitiert!“. Darauf konnte der Banker nichts sagen und wurde still. Vielleicht war ihm selbst nicht bewusst, dass auch die Kreditnehmer in der fraglichen Region profitieren können. Macht aber nichts. Das Praktische an der Marktwirtschaft ist, dass man sie nicht verstehen muss, um an ihr produktiv Teil nehmen zu können.
    Die größten Staatsschulden-Dramatisierer sind meiner Einschätzung nach Leute, die auch privat niemals einen Kredit aufnehmen würden. Ihnen dürfte nicht bewusst sein, dass die oft genannten Pro-Kopf-Staatsschulden von € 25.000.- auf den durchschnittlichen Häuslbauer und Auto-Leaser eher beruhigend als beängstigend wirken.
    Darüber hinaus bekommt der Staat günstige Zinsen, wodurch Österreich selbst dieses Jahr nur 2,4% des BIP für Zinsen zahlt. 1995-96 waren es schon mal 3,4%. Belgien zahlte damals gar 10% des BIP an Zinsen.
    Wir stehen also trotz Krise besser da als früher und sind weit weg von irgendeinem Kollaps.
    Trotzdem sollte man in guten Zeiten halt auch einmal Überschüsse haben.
    Dass die EZB Inflation zulassen wird, halte ich für ziemlich ausgeschlossen. Für Geldpolitik interessiert sich ja leider kaum jemand.
    Dabei müssten die Anhänger Milton Friedmans die EZB dazu ermahnen, mehr zu tun. Denn Milton Friedmans These war ja immer, dass die FED die Große Depression verursachte, weil sie die schrumpfende Geldmenge (durch faule Kredite, kollabierende und knausrige Banken) nicht ausreichend kompensierte.
    Und auch die Keynesianer sind sich einig, dass die Fiskalpolitik (defecit spending) eben dann eingesetzt werden soll, wenn die Geldpolitik ausgereizt ist. Von letzterem kann im Euroraum aber momentan keine Rede sein.
    Die Schweden haben hingegen als treue Studenten Milton Friedmans gar eine negative Repo Rate von -0.25%. Soll heißen, Banken verlieren Geld, wenn sie das Geld liegen lassen.

  2. Die Leserin schuldet Ihnen jede Menge Anerkennung für diese gescheite, erhellende Kredit- und Reichtumsanalyse und spart daher auch nicht mit Lob! Danke.

  3. Staatsschulden sind ja Gelder, die die Regierungen – mehr oder weniger sinnvoll – investieren. Sie sind also Gewinne für Unternehmen.

    Das ist zwar prinzipiell richtig, nur muss die Frage erlaubt sein, welche Unternehmen die Gewinne verdient haben. Ist es denn vernünftig, dass der Staat jetzt genau jene Banken subventioniert, die ihr Geld in riskanten Geschäften verloren haben? Die CEOs dieser Unternehmen werden sich auch bei zukünftigen Geschäften an ihre „too big to fail“-Versicherung erinnern, was diese sicherlich nicht zu verantwortungsvollem Handeln ermuntert. Statt dessen hätte man wohl besser den gesunden für die Volkswirtschaft relevanten Teil der Banken verstaatlicht (demokratische Kontrolle) und den spekulativen Rest der Unternehmen den Kräften des „freien Marktes“ überlassen.

    Deshalb hat kein relevanter Staat in den vergangenen sechzig Jahren versucht, seine Schulden „wegzuinflationieren“.

    Was ist mit Russland in den frühen 90er Jahren?

  4. So viele Worte und doch den Kern nicht erkannt. Wie kann man nur über Schulden und Kredite schreiben und die Zinsen nicht berücksichtigen? Der Grund für den Wachstumszwang sind doch die Zinsen.

  5. Viele Worte. Liest sich blendend, trifft aber den Kern nicht.
    Ein System, das immer weiter wachsen muss, um sich selbst zu erhalten, ist in sich kaputt und kann nicht nachhaltig sein. In der Medizin reden wir da von einem Geschwür. Die Diskussion um den moralischen Impetus von Schulden ist eine Scheindebatte. Mal ganz abgesehen davon, dass Schuldner – ob als Mensch, Unternehmen oder Land – immer einen Teil ihrer Freiheit aufgeben und sich an die Bedingungen des Geldgebers anpassen müssen.
    Dieses „Wetten auf die Zukunft“ schafft ein hungriges Monstrum, das aber auch jede Ressource verschlingt, weil es sich sonst nicht am Leben hält (vulgo: den Schuldendienst nicht bedienen kann). Es beschleunigt damit eine zukunftsvergessene Alles-mitnehmen-Mentalität, die nichts mehr mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Von der Zinsdebatte mal ganz abgesehen.
    „Das Problem am Kapitalismus ist schleppendes Wachstum.“ Nö. Das Problem am Kapitalismus ist genau diese Wachstums-Religion. Sie frisst uns die Lebensgrundlage und jedes Gefühl für Verhältnismäßigkeit weg. Da hilft auch kein Geschwurbel über die Gunst der Schulden. Heute fressen und morgen vergessen hat sich nicht bewährt. Daran ändert auch dieser Artikel nichts.

  6. Zitat: „Deshalb hat kein relevanter Staat in den vergangenen sechzig Jahren versucht, seine Schulden wegzuinflationieren.“
    Jugoslawien 1989/1990. Und dann kam der Krieg…
    Im Kern ist es natürlich richtig, dass Schulden nicht per se schlecht sind. Aber diese Verharmlosung von Staatsschulden finde ich gefährlich.
    Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Wenn aus irgendwelchen Gründen die Zinslast zu groß wird, wird ein Teufelskreis in Gang gesetzt, aus dem es kein Entkommen mehr gibt.
    Wenn ich sehe, dass in Deutschland versucht wird, über einen „Schattenhaushalt“ teure Steuerversprechen unterzubringen, frage ich mich, ob wir vielleicht schon an diesem Punkt angelangt sind.
    Der Staat muss sich seine Kredite auf dem freien Markt holen (außer die USA, die können dank Kontrolle über die Weltreservewährung einen Teil davon gleich selber drucken, ohne gleich in Inflation zu versinken). Das bedeutet aber auch, dass der Markt, der ja, wie wir in letzter Zeit gelernt haben, doch nicht immer so rational agiert, wie manche Ökonomen sich das gedacht haben, wenn nun dieser Markt plötzlich der Meinung ist, dass der Staat doch nicht ein so sicherer Schuldner ist, z.B. weil sich ein Volk aus Protest populistische, inkompetente Politiker an die Macht gewählt hat (wie war das nochmal bei den letzten Parlamentswahlen? Über 40% der Jungwählerstimmen für die FPÖ?), kann es sehr schnell einen Dammbruch geben. Ein solcher Dammbruch bei einem einzigen entwickelten Land würde wohl genügen, um auch alle anderen allein durch steigende Zinsen gehörig in Mitleidenschaft zu ziehen. Was dann? Wer bailt dann wen out? Oder werden dann einfach die Gläubiger enteignet?
    Vielleicht dauert es ja doch keine 20 Jahre mehr, bis China die Nr. 1 ist. Ein deklariert kommunistisches Land, das die kapitalistische Welt mit ihren eigenen Waffen schläft, das wäre doch mal was Schönes für die Geschichtsbücher!

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