War der Euro ein Fehler?

Griechenland ist fast bankrott, Spanien, Portugal, Italien und Irland sind in argen Nöten. Aber sie sind dafür nicht allein verantwortlich. Schuld ist auch der Konstruktionsfehler der Währungsunion. Falter, 17. Februar 2010

Minus 15 Grad hatte es, und der deutsche Schitourist Dominik P. saß vergessen nach Betriebsschluss auf einem Sessellift im Hochzillertal. Um in der Dunkelheit auf sich aufmerksam zu machen, verfiel er auf eine grandiose Idee: Er zündete Geldscheine an. Beim letzten 10-Euro-Schein hat ihn ein Pistenarbeiter gesehen.

 

Da soll noch einer sagen, der Euro hätte keinen Nutzen.

 

Der Euro ist eine Erfolgsstory. In der Finanzkrise war die europäische Einheitswährung ein Stabilitätsanker. Den Euroländern blieben, welche Probleme sie sonst auch haben mögen, wenigstens gröbere Währungsturbulenzen erspart. Denn gegen eine solche starke Währung können nicht einmal die gerissensten Player auf den Finanzmärkten spekulieren.

 

Dennoch wird die Frage jetzt immer lauter: Kann die Währungsunion auseinanderbrechen? War die Einführung des Euro vielleicht gar ein Fehler?

 

Griechenland schrammte in den vergangenen Wochen dramatisch nahe am Staatsbankrott entlang, erst relativ unpräzise Zusagen des jüngsten EU-Gipfels, im Notfall würden die anderen Euro-Länder Athen rauskaufen, entspannten die Lage etwas. Aber auch Portugal Italien, Irland, Spanien stehen schlecht da: Hohe Budgetdefizite, stark schrumpfende Wirtschaftsleistung, teilweise dramatische Gesamtschulden und hohe Arbeitslosenquoten. Schon spricht man in Wirtschaftkreisen, wo man eine gewisse Liebe zu Akronymen hat, von den „PIIGS“ – Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien, gewissermaßen die Schweinderln Europas.

 

Die haben halt schlecht gewirtschaftet – so lautet das vorschnelle Urteil. Und im Einzelfall stimmt das ja auch: Griechenland hat seit Jahren seine eigenen Wirtschaftsstatistiken gefälscht, die konservative Regierung hat knapp vor den jüngsten Wahlen (die sie dann verloren hat), noch massenweise Beamte eingestellt, damit ihr die das an der Urne danken, und die Steuereinnahmen sind drastisch niedrig – weil sich keine Finanz darum kümmert, dass die Bürger ihre Steuern auch wirklich zahlen.

 

Aber dass es in der Währungsunion jetzt gefährlich kracht, hat nicht nur mit Misswirtschaft zu tun. Es hat tiefere Gründe. Euroskeptiker haben schon vor Einführung der Einheitswährung davor gewarnt: Europa, ohne zentrale Regierung, ist viel zu uneinheitlich – und deshalb, wie das in der Fachsprache heißt, „kein optimaler Währungsraum“. Wenn die einzelnen Länder aber ihre eigenen Währungen aufgeben, haben sie keine Möglichkeit mehr, mit Geldpolitik auf die Unterschiede zu reagieren. Dass es zu solchen Problemen kommen kann, war bekannt, sagt Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, „aber jetzt stellt sich heraus, dass sie ärger sind, als selbst die Eurogegner befürchtet haben“.

 

Jetzt meint auch der Luxemburger Premierminister Jean-Claude Juncker, der Sprecher der Euro-Länder, man müsse diskutieren, „wie viel Unterschiede dürfen wir zulassen? Eine Währungszone kann auf Dauer nicht bestehen, wenn die Unterschiede in den Leistungsbilanzen der Volkswirtschaften übergroß werden“.

 

Das spanische Drama ist ein Lehrbuchbeispiel: Spanien hatte über viele Jahre einen Boom – und nebenbei, ähnlich wie die USA, seine eigene Immobilienblase. Die Spanier wurden reicher und reicher. Aber anders als die Griechen machte die spanische Regierung durchaus eine verantwortliche Wirtschaftspolitik. Das Land hatte ein ausgeglichenes Budget, der Staatsschuldenstand war – und ist immer noch – moderat. Weil die Wirtschaft boomte, stiegen die Löhne. Weil die Hauspreise anzogen, fühlten sich spanische Immobilienbesitzer reich. Sie konsumierten wie wild.

 

Weil aber die Löhne stiegen, verlor die spanische Wirtschaft Konkurrenzfähigkeit – vor allem im Vergleich mit den starken EU-Ökonomien, von denen man so salopp sagt, sie hätten „gut“ gewirtschaftet. Vor allem gegenüber Deutschland, aber auch gegenüber Österreich. In denen stieg die Produktivität, aber die Löhne stagnierten oder gingen zurück. Sie wurden „wettbewerbsfähiger“ – so die freundliche Formulierung. So wurden „Exportweltmeister“, weil sie Vorteile auf Kosten ihrer Partner lukrierten und weil die Bürger vom Wohlstandszuwachs nicht mehr sahen – so die weniger freundliche Formulierung.

 

Sie lebten davon, dass die Güter, die sich ihre Bürger nicht leisten konnten, von Bürgern anderer Staaten gekauft wurden – von den Spaniern (und natürlich von den Amerikanern). Nur ist das langfristig keine besonders nachhaltige Strategie. Früher hätten Länder, deren Wettbewerbsfähigkeit abnahm, einfach ihre Währung abgewertet. Dann wären Importe verteuert, und ihre eigenen Exporte verbilligt worden. Ihre Industrie wäre wieder wettbewerbsfähiger geworden. Aber genau dieser Weg ist mit dem Euro verstellt. „Insgesamt haben die Leistungsbilanzungleichgewichte seit Beginn der Währungsunion drastisch zugenommen“, sagt Dirk Mayer, Wirtschaftsprofessor an der Bundeswehruniversität in Hamburg. „Es gibt einen gravierenden Konstruktionsfehler der Euro-Zone: Dort sind ungleiche Mitglieder einfach zusammengeführt worden. Wenn Arbeitsmärkte nicht flexibel genug sind, führen hohe Lohnerhöhungen wie in den Mittelmeerstaaten, die nicht von Produktivitätssteigerungen gedeckt sind, zu fallender Wettbewerbsfähigkeit.“

 

Deswegen steigt jetzt auch in wirtschaftlich soliden Ländern wie Spanien und Portugal die Arbeitslosigkeit. Deshalb gehen Firmen bankrott. Deshalb brechen nun die Steuereinnahmen ein und die Regierungen rutschen in dramatische Defizite – was wiederum die Solidität ruiniert. Ein fataler Kreislauf.

 

Auseinanderbrechen wird der Euro-Raum natürlich dennoch nicht. Griechenland stünde heute wahrscheinlich besser da, hätte es noch eine eigene Währung. Aber würde Athen jetzt wieder eine neue einführen, käme es zu dramatischen Turbulenzen. „Erdbebenartige, unkontrollierbare Folgen“ hätte das, prophezeit Jean-Claude Juncker.

 

Also müssen die wirtschaftlich wettbewerbsfähigen Länder mehr konsumieren. Die haben ihre Partner ja in den Boden konkurriert, weil sie dem neoliberalen Lehrbuch angehangen sind: Sie haben Sozialausgaben gekürzt, die Einkommen sind stagniert, sie haben Lohndumping betrieben – wie das von den Zentralorganen der Marktideologie empfohlen wurde. Erstaunlich deshalb, was heute in diesen Blättern zu lesen ist. So schreibt Martin Wolf, als Starkolumnist der Financial Times wahrscheinlich der einflussreichste Wirtschaftspublizist Europas, Deutschland müsse nun „zu einer ausgeglicheneren Nachfrage beitragen“. Soll heißen: Die Länder, die zuletzt ihre Exporte auf Kosten ihrer Nachbarn ankurbelten, müssen jetzt dafür sorgen, dass ihre Bürger wieder mehr Geld zum Einkaufen haben. Das betrifft vor allem Deutschland, aber auch Österreich, Luxemburg und andere.

 

„Den Euro wieder abschaffen? Das geht nicht“, sagt auch Paul Krugman, der Wirtschaftsnobelpreisträger. „Europa hat ihn nun mal eingeführt, und muss jetzt jene politische und wirtschaftliche Integration zustande bringen, die notwendig ist, damit er auch funktioniert.“

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