Untersuchungen an Bankern

Der Soziologe Sighard Neckel hat die Parallelgesellschaft der Reichen und Einlfussreichen erforscht. Morgen, Donnerstag, 23. September, habe ich ihn im Bruno-Kreisky-Forum zu Gast. Für den Falter habe ich vorab schon folgendes Interview mit ihm geführt.

„Strukturierte Verantwortungslosigkeit – Berichte aus der Bankenwelt“, so heißt das neue Buch, das der Soziologe Sighard Neckel gemeinsam mit seinen Kolleginnen Claudia Honegger und Chantal Magnin herausgegeben hat. Dem ist ein großangelegtes Forschungsprojekt vorausgegangen, an dem die Soziologieinstitute der Universitäten Wien und Bern sowie das berühmte Frankfurter Institut für Sozialforschung beteiligt waren. In vielen dutzend Gesprächen mit Bankern in Österreich, der Schweiz und Deutschland wurde der Frage nachgegangen: Wie ticken die Banker eigentlich? Sighard Neckel, 53, selbst Leitungsmitglied des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, ist seit 2008 Vorstand des Soziologieinstituts an der Universität Wien – und damit einer der prominentesten Neuzugänge im Wiener akademischen Betrieb.

Buchpräsentation: Donnerstag, 23. September, 19 Uhr. Bruno-Kreisky-Forum. Armbrustergasse 15. 1190 Wien.

 

Sind die Banker an den Kalamitäten schuld, in denen wir stecken?

Neckel: Sicherlich sind Systemfehler im Finanzwesen schuld und nicht die Gier einzelner Personen. Aber es sind immer auch Personen, die es verabsäumen, solche Systemfehler zu korrigieren oder deren Berichtigung zu reklamieren. Bei der Analyse der Finanzkrise steckt man häufig in einer falschen Alternative: Gibt man dem vermeintlich schlechten Charakter Einzelner die Schuld, dann spricht man das Finanzsystem als solches frei; verweist man aber auf die Systemfehler, entlastet man das leitende Personal vorschnell von jeder Verantwortlichkeit. Die Banker im Management, das sind ja reflexionsfähige Personen, die durchaus in der Lage gewesen wären, das eine oder andere anders zu machen.

Was ist eigentlich an den Bankern so interessant für die Soziologie? Die sind ja nicht gerade eine übersehene, artikulationsunfähige Subkultur?

Neckel: Es gibt in unserer Gesellschaft viele Parallelgesellschaften. Die Soziologie neigt dazu, sich immer nur mit den Parallelgesellschaften der Benachteiligten zu beschäftigen. Das ist für sich gesehen natürlich gerechtfertigt. Aber wesentliche Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft gehen von den Parallelgesellschaften der Reichen, Mächtigen und Einflussreichen aus. In unseren Forschungsteams haben wir anfangs festgestellt, dass wir über diese Parallelgesellschaft der Banker nicht viel wissen, so dass sich uns angesichts der Finanzkrise zunächst ganz naiv die Frage stellte: Was machen diese Leute da eigentlich? So entstand die Idee, „ins Feld zu gehen“ und die Akteure selbst zu befragen. Dahinter steht auch eine Konzeption von Soziologie, die so etwas wie eine Ethnologie des Inlandes betreibt, also eine Forschung, die ihre Ergebnisse nicht allein aus Zahlen und Statistiken ableitet, sondern aus der Untersuchung sozialer Wirklichkeiten und ihrer Akteure selber…

…und deren Selbstinterpretation?

Neckel:…richtig. Eine wesentliche Frage ist nicht nur, was geschehen ist, sondern: Wie deuten die Akteure die Geschehnisse?

Was sind die spannendsten Ergebnisse? Gab es Überraschungen?

Neckel: Die Bankenwelt ist vielgestaltiger, als sie sich vordergründig darstellt. Das hängt mit den unterschiedlichen Hierarchieebenen zusammen und den diversen Geschäftssparten. Was uns schon überrascht hat, war, dass im völligen Kontrast zum bisweilen gigantomanischen Selbstbewusstsein bei der Finanz in den Banken selbst ein ziemlich verzagter Korpsgeist geherrscht hat, eine Atmosphäre der Einschüchterung. Zwar gab es bis hin zur „Front“ des Investmentbanking einige Banker, die 2007 und davor große Probleme auf den Finanzmärkten kommen sahen. Aber kaum jemand durfte sich erlauben, kritische Fragen an die Geschäftsmodelle zu stellen. Uns sind wiederholt Episoden geschildert worden, dass in Vorstandsbesprechungen, wo junge Investmentbanker angeblich geniale Finanzprodukte präsentierten, niemand wagte, Rückfragen zu stellen. Wer Bedenken äußerte, kam in den Geruch, nicht aggressiv genug am Markt zu sein; Zögerlichkeit wurde als Feigheit vor dem Kunden abgetan. So wurde selbst dann alles abgenickt, wenn man die neuen „intelligenten“ Finanzprodukte eigentlich gar nicht richtig verstanden hatte.

Wundert uns im Rückblick nicht sehr…

Neckel: Gewiss, aber das ist schon auch beunruhigend. Von einem Banker würden wir uns ja den Habitus einer gesunden Skepsis erwarten. Doch der gehörte nicht mehr zum erwünschten Verhaltensrepertoire dazu. Stattdessen machte sich Konformismus breit. Wer würde sich noch im AKH operieren lassen, wenn die fachlich zuständigen Chefärzte sich ähnlich inkompetent zeigen würden?

Verantwortlich fühlt sich dennoch kaum einer der Banker. Für die Geschäftsbanker sind die Investmentbanker schuld, für die Investmentbanker sind es „die Märkte“, für die Rechner der falschen Risikomodelle sind es diejenigen, die an ihre Modelle geglaubt haben, ohne zu bedenken, dass man Modelle nicht mit der Wirklichkeit verwechseln darf und so weiter…

Neckel: Das überrascht zunächst nicht, da bietet sich dem Finanzwesen natürlich einiges an. Ganz häufig ist die Gier, insbesondere die Gier der Kunden, und damit eigentlich die gesamte Menschheit schuld. Die Banker sagen, wir haben ja nur gemacht, was der Kunde gewünscht hat. Ständig wird die Verantwortung anderen zugeschoben. Wenn man bedenkt, welche Bedeutung das Finanzwesen für die Gesellschaft heute hat, finde ich das soziologisch schon beunruhigend, dass ein so wichtiger Funktionsbereich wie die Finanzbranche zu einer Selbstkorrektur offenbar nicht in der Lage ist, weil die Fehler immer anderswo gesucht werden. Wir müssen in der modernen Gesellschaft doch erwarten dürfen, dass wichtige Funktionsbereiche auf Fehlentwicklung reagieren, und zwar auf Basis ihrer eigenen Expertise.

Hat die Finanzkrise das Selbstbild der Banker erschüttert?

Neckel: Als wir Anfang 2009 mit unserer Studie begannen, waren die Gespräche noch gekennzeichnet von dem Schock und der Krise des eigenen Weltbildes, die der Zusammenbruch von Lehman-Brothers nach sich zog. Aber dann hat sich das angegriffene Selbstbewusstsein rasch wieder regeneriert. Dafür ist die Politik verantwortlich, die die Banken gerettet hat, ohne politischen Einfluss auf sie zu nehmen. Vielmehr haben die Banken der Politik die Bedingungen noch vorschreiben können. Dass man die ganze Branche mit dem Etikett „too big to fail“ versah, zeigte der Finanz nur noch einmal, wie unverzichtbar und unangreifbar sie ist. Wenn man das täglich hört, trägt man den Kopf ziemlich hoch. So sind die Banker mit einem noch größeren Selbstbewusstsein aus der Krise hervorgegangen als sie in die Krise hineingegangen sind.

 

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