Wie grobe Ungleichheiten die Finanzkrise provozierten

Die dramatisch gewachsenene Vermögens- und Einkommensungleichheiten haben aus verschiedensten Gründen die Finanzkrise befeuert: Weil sie zu Machtverschiebungen in den Gesellschaften führten, weil sie globale Ungleichgewichte ermöglichten, weil den Konsumenten das Geld fehlt, die produzierten Güter auch zu kaufen usw. Die Debatte über den Zusammenhang von Instabilität und Ungleichheit gewinnt in den USA gerade an Fahrt. Gastautor Markus Schuller, im „Zivilberuf“ Investmentbanker bei Panthera Solutions, beschreibt, wie grobe Ungleichheiten uns allen schaden – nicht nur jenen an der unteren Sprosse der sozialen Leiter.

In den Sommermonaten gewann in den USA eine Debatte an Momentum, die zu ergründen versucht, ob Inequality, sprich die ungleiche Verteilung von Vermögen in den USA, Auslöser, oder zumindest Treiber der Finanzkrise war. Eine interessante, wie relevante Frage, die in ihrer Aussagekraft nicht auf die USA beschränkt ist.

Mit Rückkehr der Senatoren und Kongressabgeordneten aus dem Urlaub erhielt die Debatte eine stark populistische Note. Stehen doch am 2. November die mid-term elections an, in denen Verteilungsgerechtigkeit, Recovery expectations und Arbeitslosigkeit die treibenden Themen sind. Als maßgebliche Querschnittsmaterie aller drei wird die Entscheidung von Obama gewichtet, wie er sich zu den Ende des Jahres auslaufenden Bush Tax Cuts positionieren werde.

Die populistischen Töne ausgeblendet, hier nun eine Bestandsanalyse auf empirischer und akademischer Basis, inwieweit die Annahme verifiziert werden kann, dass Inequality Mit/Hauptverursacher der Finanzkrise gewesen sei.

In medias res. Fakt ist, dass die Vermögenskonzentration in den USA einen historischen Höchststand erreich hat. Studien ergeben, dass 1% der US Amerikaner 50% des Vermögens halten. Bedeutend mehr als dies zur Great Depression der Fall war (Davies, Sandstrom, Shorrocks, & Wolff, 2009; Keister, 2000; Wolff, 2002).

Retrospektiv kristallisierten sich drei Perspektiven auf die Finanzkrise aus:
P1:  im Rohrsystem der Weltfinanz gab es einen Wasserrohrbruch. Selbst gute Immobilien werden bei solch einem Zwischenfall nass. Die Dodd-Frank FinReg ist dominiert von dieser Sichtweise. Deshalb wurden in der FinReg auch viele technische Details verbessert, um das Rohrsystem zu reparieren und künftig widerstandsfähiger zu machen. Am Prinzip des gegenwärtigen Rohrsystems wurde hingegen nicht gerüttelt.

P2:  das Weltfinanzsystem ist grundsätzlicher instabil und leidet nicht an technischen Schäden, sondern an systemischen Strukturproblemen. Sei es bei der TBTF Frage, dem Incentive System, das exzessives Risikoverhalten fördert, etc.
P1 & P2 schließen sich gegenseitig aus. Die Debatte um das fiskalische Defizit ist bei beiden getrennt von der Frage nach der Krisenursache.

Nun kommt P3 ins Spiel. Aussage: fiskalisches Defizit und Krisenursache sind eng verwoben. P1 und P2 grenzen die Main Street Effekte aus und bleiben zu stark auf die Wall Street beschränkt. Tatsächlich aber, so P3, geht die Krise auf ein sich seit Anfang der 80er festgesetztes Muster der Scherenausweitung zwischen Arm und Reich zurück. In ihrer wohl eindringlichsten Form beschreibt Arianna Huffington (co-founder Huffington Post) die P3 Sichtweise in ihrem neuen Buch „Third World America“. Sie erläutert faktenbasiert und mitreissend, weshalb Konsumschulden-Exzesse als Ergebnis der anhaltenden Inequality zu verstehen sind.

„“Third World America“ Auszug:

„The slow economic strangulation of millions of middle-class Americans started long before the Great Recession, which merely exacerbated the „personal recession“ that ordinary Americans had been suffering for years. Dubbed „median wage stagnation“ by economists, the annual incomes of the bottom 90 per cent of US families have been essentially flat since 1973 – having risen by only 10 per cent in real terms over the past 37 years. That means most Americans have been treading water for more than a generation. Over the same period the incomes of the top 1 per cent have tripled. In 1973, chief executives were on average paid 26 times the median income. Now the ¬multiple is above 300.“

Huffington folgt der Logik, dass die seit Anfang der 80er Jahre durch Globalisierung, fiskalischer Benachteiligung und politischer Verunmöglichung des ´American Dream´ stark unter Druck geratene US Mittelschicht sich ein Mittelschicht-Leben nur durch Konsumschulden weiter hatte leisten können.

Selbst unter Berücksichtigung von Eigenverantwortung in der Allokation des Haushaltseinkommens hat Huffington recht mit ihrer Aussage, dass die amerikanische Mittelschicht a) im Abschmelzen begriffen ist und b) deren Aufstiegsglaube durch eine kaum noch durchlässige Sozialstruktur stark gelitten hat.

Raghu Rajan, vormals chief economist des IMF, und Robert Reich, vormals US Arbeitsminister unter Clinton, bestätigen in ihren kürzlich erschienenen Büchern die Aussagen Huffingtons im Zusammenhang von Inequality und Krise. Rajan´s  „Fault Lines“ führt als weitere Inequality Gründe den ungleichen Zugang zu Bildung und Gesundheitssystem an. Reich´s „Aftershock“ geht noch einen Schritt weiter und bewertet Obama´s Stimulus als unzureichend in der Krisenbekämpfung (ARRA/Stimulus I), weil zu wenig auf die Reformierung der Inequality Driver ausgerichtet und somit der Grundstein gelegt ist für weitere Verwerfungen, ausgehend von bedrängten US Mittelschicht-Konsumenten.

To be fair, Strukturreformen (Healthcare, Abhängigkeit von Öl, marodes staatliches Bildungssystem, ..) binnen 2 Jahren als gelöst zu verlangen ist Wunschdenken. Richtig ist, dass ARRA (approx 1/3 Steuererleichterungen, 2/3 Investitionen/Liquiditätsinjektionen) überwiegend in non-sustainable Effekten verpuffte und erst gegen Ende 2009/Anfang 2010 die Umsetzungspläne für grundlegendere Reformschritte reif waren (ie Healthcare Reform, Green Energy Pass, …).

Huffington, Rajan, Reich sind gewichtige Vertreter, die in steigender Inequality die Rahmenbedingungen für die Finanzkrise gesetzt sehen (P3).  Denn nicht nur bedeutet Inequality ein kontinulierliches Abschmelzen der Mittelschicht, sondern führt zu einer weitreichenden Verschiebung in den Kräfteverhältnissen innerhalb demokratischer Systeme. Letzten Samstag fasste die NY Times David Moss´ (Harvard Business School Historiker) Ausführungen zum Thema wiefolgt zusammen: 

Mr. Moss said that income inequality might have complicated links to financial crises. For instance, inequality, by putting too much power in the hands of Wall Street titans, enables them to promote policies that benefit them — like deregulation — that could put the system in jeopardy. Inequality may also push people at the bottom of the ladder toward choices that put the financial system at risk, he said. And low-income homeowners could have better afforded their mortgages if not for the earnings gap.

Jacob Hacker and Paul Pierson’s Buch „Winner-Take-All Politics“ bestätigt Moss, indem es ein politisches System in den USA beschreibt, dass via Lobbyeinfluss Inequality festigt und weiter ausbaut. Michael Hirsh´s Capital Offense: How Washington’s Wise Men Turned America’s Future Over to Wall Street folgt Moss, Hacker und Pierson, und konzentriert sich in der Analyse der demokratiepolitischen Schlagseite.

Eine erst kürzlich erschienene Harvard University/Duke University Ko-Produktion zeigt im Zuge einer empirischen Studie, dass das Verlangen nach relativer Gleichheit in der US Bevölkerung stark ausgeprägt ist (chart rechts). Während der Befragung waren die Länderbe-zeichnungen ausgeblendet. Eine Verteilung a la Schweden wird von 47% der Amerikaner als Ideal genannt. Zweitplatziert ist der gleichverteilte Wohlstand über die Quintile hinweg (Quintil = 20% der Population). Kaum Zustimmung erhält der Ist-Zustand, in dem das Top-Quintil 84% des Vermögens hält. Vor die Auswahl gestellt, zwischen der schwedischen und der US Verteilung entscheiden zu müssen, wählten 92% (!) das schwedische Verteilungsmodell.

Gefragt, wie sie die aktuelle Verteilung in den USA einschätzen und wie eine ideale Verteilung aussehen sollte, kam es erneut zu einer Überraschung. Die aktuelle Vermögens-konzentration wird dramatisch unterschätzt (actual vs estimate). Zudem zeigt deren Wunschverteilung eine deutlich gleichmäßigere Allokation (ideal) und bestätigt das „Schweden“ Ergebnis. Die Studie zeigte auch wie ähnlich sich die Meinungen von Wählern der Demokraten und Republikaner sind. Beide finden sich nahe dem Ideal.

Nochmals Hacker und Pierson zitiert, die folgende Kalkulation als Gedankenmodell durchführten: Wie sähe die US Einkommensverteilung zwischen 1979 und 2006 aus, wenn Einkommenszuwachs über die Quintile gleichverteilt gewesen wäre, wie es zwischen Great Depression und 1979 weitgehend der Fall war.  Obwohl am Chart kaum zu erkennen, würde das Jahreseinkommen des mittleren Quintils im Jahr 2006 um 23% höher ausfallen (von USD 52.000 auf USD 64.000). Die Top 1% nahmen 2006 im Schnitt USD 1,2 mln ein. In Hacker/Pierson´s Rechnung würden sie 2006 lediglich USD 506.000 eingenommen haben. Ein dramatischer Verteilungs-unterschied, der die zentrifugale Dynamik seit Anfang der 80er Jahre verdeutlicht. Signifikanter Treiber der Inequality Beschleunigung:  Steuersätze für Reiche gingen in diesem Zeitraum zurück.

+ US Inequality Trend ist ungebrochen
+ US Inequality notiert am historischen Hoch
+ Dynamik des Inequality Trends nahm Anfang der 80er Jahre zu
+ US Inequality nimmt Einfluss auf demokratische Prozesse
+ US Inequality korreliert stark mit Mittelschicht-Verlust
+ US Bevölkerung will eine massiv andere Vermögensverteilung

+ Zusammenhang von Inequality und Finanzkrise klingt verlockend, wurde nun erstmals wissenschaftlich beleuchtet. Positive Korrelation ist festgestellt. Bedarf  noch besserer akademischer und politischer Ausleuchtung zur Bestimmung von Treibern und Gegenmaßnahmen.

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