Der Euro ist wieder ein Teuro

Die Inflation ist zurück. Müssen wir uns deshalb schon vor der galoppierenden Geldentwertung sorgen? Eine Entwarnung. Falter, 26. Jänner 2010

Sie haben ihr Auto unlängst vollgetankt? Dann haben Sie wahrscheinlich bemerkt: So eine Tankfüllung kostet schnell fünf, sechs Euro mehr als noch vor ein paar Monaten. Noch steiler bergauf ging es mit Heizöl: Plus 22 Prozent. Und das Essen im Supermarkt ist auch im Preis nach oben geschossen: Vier Prozent plus Gemüse, sechs Prozent Obst.

Die Inflation ist zurück. 2,2 Prozent beträgt die Teuerungsrate im Euro-Raum. Aber unsere Intuition würde sie sogar noch höher veranschlagen: Vor allem, weil die Dinge, die wir häufiger konsumieren, schneller steigen. Im fiktiven Warenkorb, mit dem die Statistiker die Inflationsrate messen, sind ja auch Güter wie TV-Geräte, Autoreifen und Skier inbegriffen, die zwar kaum teurer werden, die wir aber auch sehr selten kaufen. Viel häufiger tanken wir aber oder kaufen Gemüse oder Fleisch. Und diese Güter verteuerten sich viel mehr. Die „gefühlte Inflation“, so haben Statistiker berechnet, liegt daher bei 5,2 Prozent.

Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank, äußerte sich Mitte Jänner ostentativ besorgt und schloss Zinserhöhungen nicht aus. Schließlich peilt die EZB ein Inflationsziel von höchstens 1,9 Prozent an.

Aber ist das schon die Inflation, die die Kassandras voraussagen, seit die Regierungen und Notenbanken mit Konjunkturprogrammen und dem Hineinpumpen von vielen Milliarden an Zentralbankgeld in den Wirtschaftskreislauf die Krise zu bekämpfen begannen?

Knappe Antwort: Eher nicht. Die Dinge werden teurer, aber inflationäre Spirale ist das nicht. Inflation gibt es klassischerweise dann, wenn die Wirtschaft brummt, die Fabriken auf Hochtouren arbeiten, die Arbeitslosigkeit zurückgeht, die Löhne deshalb steigen, die Firmen die Preise erhöhen können, weil die Bürger mehr Geld in der Tasche haben und so weiter. Galoppierende Inflation wird daraus, wenn jeder sein Geld sofort ausgibt, weil er weiß, morgen ist es schon weniger wert und die Regierungen den Preisauftrieb sogar gerne sehen, weil ihre Staatsschulden, die ja nominal notieren, dann real geringer werden – weil ja ein Schulden-Euro nicht so drückt, wenn der Euro plötzlich nur mehr die Hälfte wert ist.

Aber all das trifft auf unsere heutige Situation nicht zu. Die Wirtschaftsleistung in den entwickelten Ländern liegt heute immer noch unter der des Jahres 2005. Die Arbeitslosigkeit ist immer noch höher als vor der Krise. Die Lohnzuwächse blieben in Österreich auch 2010 knapp unterhalb der Inflationsrate.

Und dass die Regierungen ihre Schulden absichtlich weginflationieren, wie das noch vor sechzig Jahren der Fall war, würde heute gar nicht mehr funktionieren: da die meisten Staatsanleihen kurzfristig notieren, müssen die Regierungen regelmäßig neue Kredite aufnehmen, um alte zurückzuzahlen. Und bei den neuen Staatsanleihen würde die erwartete höhere Inflation schon eingerechnet. Kurzum: Das brächte nichts.

Die Sache wird noch deutlicher, wenn man sich ansieht, woher die Inflation kommt: Sie ist eben nicht „hausgemacht“. Sondern sie ist Folge steigender Rohstoff- und Lebensmittelpreise am Weltmarkt.

Und da muss man mit zwei simplen Mythen aufräumen. Der rechte Mythos lautet: Die Inflation zieht an, weil die Staaten die Geldmenge aufgeblasen und geliehenes Geld in die Wirtschaft gepumpt haben. Der linke Mythos lautet: Die Inflation zieht an, weil Spekulanten willkürlich Öl oder Reis oder Weizen verknappen. Die gegenwärtigen Preissteigerungen zeigen uns aber vor allem, „dass wir in einer endlichen Welt leben“ (Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman). Weil Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien heute viel mehr produzieren, wird die Energie knapp. Weil die vielen hundert Millionen Menschen, die dort zum Mittelstand aufschlossen, jetzt auch Paprika und Rindfleisch essen, steigen die Lebensmittelpreise.

Mag es für den Bürger in Simmering relativ unerheblich sein, weshalb er für sein Geld weniger bekommt, so ist das für die Wirtschaftspolitik sehr wohl wichtig. Gegen importierte Inflation, die aus dem Preisanstieg knapper Güter resultiert, kann man wenig tun.

Im übrigen wäre, gerade für den Euro-Raum, eine etwas höhere Inflation möglicherweise gar nicht so schlecht. Schließlich resultiert ja die Staatsschuldenkrise im Euroraum nicht zuletzt aus den wirtschaftlichen Ungleichgewichten, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Deutschland, Österreich, die Niederlande haben ihre Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten von Spanien, Portugal, Griechenland erhöht. Griechen und Spanier müssen ihre Löhne relativ zu den starken Ökonomien in den kommenden Jahren senken. Das geht leichter, wenn die Inflation, beispielsweise, drei Prozent beträgt. Denn dann würde es schon reichen, wenn die Gehälter nominal in diesen Ländern unverändert bleiben, wenn sie in Deutschland und Österreich entlang der Inflationskurve steigen – oder besser noch schneller. Dann würden die Wettbewerbsnachteile der Krisenländer langsam zurückgehen.

Warum das leichter verkraftbar wäre? Wegen Psychologie. Denn wenn Ihr Gehalt um einen Prozent wächst, die Inflation aber drei Prozent beträgt, werden Sie sich nicht sehr grämen. Beträgt die Inflationsrate Null, und Ihr Chef kürzt ihren Lohn um zwei Prozent, werden Sie wohl extrem sauer. Obwohl beides auf das gleiche hinausläuft.

Eine maßvolle Inflation von zwei, drei Prozent ist kaum zu verhindern und hat mehr gute als schlechte Seiten. Würde dagegen die EZB mit rigider Geldpolitik reagieren, würde das die zarte Pflanze der wirtschaftlichen Erholung abwürgen. Simpel gesagt, um Bruno Kreisky zu paraphrasieren: Ein paar Prozentpunkte mehr Inflation sollten uns weniger schlaflose Nächte bereiten als eine dümpelnde Konjunktur und hunderttausende Arbeitslose. 

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