Ein „Grüner New Deal“ als Wirtschaftsmotor

Seit ein paar Monaten betreibt die IG-Metall ihren Blog „Kurswechsel für ein gutes Leben„, für den ich auch regelmäßig schreibe. In meinem Beitrag für den Januar geht es um die ökologisch-soziale Modernisierung, und warum die eine Win-Win-Strategie ist: „Man rettet die Umwelt und belebt auch noch die Konjunktur.“ 

Zahlen haben auf uns eine magische Wirkung, sie dienen uns als Ansporn und als Reverenzsystem. Für einen Spitzen-Sprinter ist der Weltrekord im 100-Meter-Lauf – 9,58 Sekunden – die Marke, die er zu unterbieten anstrebt. Für den nicht ganz so Spitzen-Sprinter sind die Zeiten jener Läufer, in deren Liga er spielt, die Orientierungsmarken: Er will jedenfalls nicht schlechter sein als die Besseren in seiner Klasse.

So ähnlich funktionieren auch die Kenndaten, mit denen wir die – scheinbare? – Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft messen. Wenn in einem bestimmten Land die Produktivität überdurchschnittlich wächst, dann gilt das Land als erfolgreich. So wie die USA in den Neunziger- und Nullerjahren. Dieses Produktivitätswachstum hatte freilich seinen Ursprung vor allem in den „Produktivitätszuwächsen“ in der Finanzindustrie. Gemessen in Deals pro Beschäftigten pro gegebener Zeitspanne. Im Nachhinein muss man sagen: Etwas weniger Produktivitätswachstum hätte uns allen zusammen gut getan.

Nicht ganz so bizarr irreführend, aber doch auch nicht ganz unähnlich ist die Sache mit dem wichtigsten Index einer Volkswirtschaft: Dem Bruttoinlandsprodukt BIP bzw. dem BIP pro Kopf der Bevölkerung. Letzteres ist allgemein als Maß für den Reichtum einer Nation bzw. Wirtschaftseinheit anerkannt.

Und ganz blöd ist das ja nicht: Das BIP ist eine wichtige Maßzahl, die Auskunft über die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft gibt. Hätten wir es nicht, würde uns eine Abschwächung der Konjunktur gar nicht auffallen: Wir würden erst die Resultate bemerken. Firmenpleiten, Anstieg der Arbeitslosigkeit etc.

Aber doch ist das BIP auch von sehr eingeschränkter Aussagekraft, was die Lebensqualität in einem Gemeinwesen angeht. Ob die Bürger glücklich und zufrieden sind, ob sie gesunde Luft oder verpestete einatmen, das misst das BIP nicht. Das BIP-Pro-Kopf misst einen Durchschnittswert, es sagt aber nichts darüber aus, wie gerecht oder ungerecht der Reichtum verteilt ist. Wenn Bill Gates eine Kneipe mit lauter Arbeitslosen betritt, dann schnellt das „BIP-Pro-Kopf“ in dieser Kneipe von ein paar hundert Euro auf einen Wert von ein paar Milliarden Euro hoch. Im Durchschnitt ist dann jeder in dieser Kneipe Milliardär. In der Realität ist natürlich nur Gates Milliardär, die anderen sind weiter arme Schlucker. Vom statistischen Durchschnitt können sie sich nichts kaufen.

Das BIP misst Güter und Dienstleistungen zu Marktpreisen, die in einer bestimmten Zeitspanne in einer Volkswirtschaft produziert werden. Das ist schon allein deshalb ein fragwürdiger Wert, weil manche Dienstleistungen überhaupt keinen Marktpreis haben. So misst der Beitrag der Polizei zum BIP allein in den Lohnzahlungen an die Beamten – was diese Polizisten aber produzieren, etwa „Sicherheit“, ist nicht so leicht zu messen. Verursacht ein Autofahrer einen Unfall, so wächst das BIP. Schließlich muss die Karre ja dann repariert werden, wofür eine Firma Geld erhält. In Wien wird am Tag mehr Brot weggeworfen wie in Graz gegessen. Gut fürs Wiener BIP. Wenn sich ein Pfarrer in seine Haushälterin verliebt und diese heiratet, sind wahrscheinlich beide glücklicher als zuvor, das BIP ist aber geschrumpft – weil der Pfarrer die Frau jetzt nicht mehr entlohnt.

Und wenn wir alle Wiesen zubetonieren und Parkplätze darauf bauen und durch jedes Naturschutzgebiet eine mehrspurige Autobahn bauen, dann wächst das BIP auch ganz gewaltig. Und es hat ja tatsächlich nicht nur statistische Vorzüge, es hat ja seine realen Folgen: Firmen haben Einnahmen, Bauarbeiter Jobs und damit ein Einkommen, und mit dem Geld gehen sie wiederum einkaufen.

Einige erinnern sich deshalb noch an die Zeiten, in denen manche Progressive, vor allem manche Sozialdemokraten und Gewerkschafter, Beton mit Fortschritt identifizierten. Es galt gewissermaßen: Mehr Beton ist gleich mehr Fortschritt. Und wer für weniger Beton eintrat, galt als wirtschafts- und fortschrittsfeindlicher Spinner. In dieser Zeit standen sich Gewerkschafter und Anhänger der Ökologiebewegung oft ziemlich ablehnend gegenüber. Gelegentlich, wie etwa in Österreich bei der Auseinandersetzung um das Kraftwerk Hainburg, kam es beinahe zu tätlichen Konflikten zwischen Aktivisten der Bauarbeiter-Gewerkschaft und Ökoprotestierern.

Und tatsächlich galt ja zu dieser Zeit für viele Umweltbewegte, dass Verzicht der Königsweg sei – die Reduktion von wirtschaftlicher Aktivität. Small ist Beautyfull war der Slogan.

Es war eine etwas simple Dichotomie, wie wir heute wissen. Heute ist diese Spaltung weitgehend überwunden. Denn auch die Fürsprecher einen technologischen und wirtschaftlichen Fortschritts wissen indessen, dass Ressourcen endlich, der Klimawandel bedrohlich sind und dass zu einem zufriedenen Leben eine intakte Umwelt dazugehört. Umgekehrt wissen heute auch die meisten Umweltbewegten, dass ökologisches Wirtschaften nicht notwendigerweise weniger industrielle Produktion, sondern andere industrielle Produktion bedeutet. Ja, mehr noch: Dass eine Umrüstung auf neue Energien, auf umweltschonende Produktionsmethoden und effizienten Verbrauch neue Quellen für wirtschaftlichen Fortschritt erschließen kann. Ja: Dass sie neues Wachstumspotential für eine Volkswirtschaft erschließen können. Auch wenn man mit dem Wort Wachstum immer noch Schwierigkeiten hat – teilweise aus guten Gründen, da, wie wir ja gesehen haben, Wachstum nur als BIP-Wachstum erfassbar ist und man über die Grenzen dessen, was das BIP misst, ein klareres Bewusstsein hat.

In den vergangenen Jahren machte die Idee des „Green New Deal“ Karriere, und zwar in vielen progressiven Milieus: Im Kreise kontinentaler Sozialdemokraten, bei den Grünen und in der Umweltbewegung aber auch bei den amerikanischen Demokraten im Umfeld der Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama.

Green New Deal heißt, die Investitionen in nützliche Sektoren zu leiten. Wärmedämmung, Solarenergie, Windenergie, intelligente Stromnetze, Speicherkraftwerke, Energieeffizienz, Autos, die weniger Dreck in die Luft schleudern und weniger Benzin fressen.

Die Idee des Green New Deal gewann aber vor allem in der Krise an Glanz. Und zwar, weil wieder klarer wurde, dass der Staat in der Wirtschaft eine wichtige Rolle zur Stabilisierung der Nachfrage hat. Wenn aber schon der Staat mit Investitionen die ökonomischen Impulse setzen muss, dann soll er doch besser solche tätigen, die auch nachhaltig positive Wirkung haben. Das flache Land mit Kreisverkehren zu überziehen und Brücken zu bauen, die niemand braucht, generiert auch Nachfrage und sichert somit Arbeitsplätze. Aber darüber hinaus ist der Nutzen beschränkt. Ökologische Investitionen und zeitgemäße Infrastrukturinvestitionen haben darüber hinaus aber noch langfristige positive Wirkungen.

Anders als es früher schien und als heute gelegentlich die modische Idee des „ökologischen Konsums“ nahelegt ist das kein Luxusprogramm, das sich allein an den Interessen und den Wünschen Besserverdienender und dem Lebensstil des Bionade-Bürgertums orientiert. Und nicht nur deswegen, weil auch Unterprivilegierte ein Interesse an intakten Wäldern und frischer Luft haben. Sondern auch, weil hohe Energiepreise die sozial Schwachen besonders stark belasten. Weil die globale Erwärmung auch bei uns die Landwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen und in der Folge die Konsumenten treffen würde. Hohe Nahrungsmittelpreise treffen auch bei uns die Unterprivilegierten, und die Hungernden in den ökonomisch weniger entwickelten Ländern treffen sie existentiell. Wenn Autos weniger Sprit verbrauchen, hat jeder mehr Geld in der Tasche. Und wenn wir weniger Öl verbrauchen, produzieren wir billiger. Nicht zuletzt hätte es auch demokratiepolitisch positive Folgen: Wir würden weniger abhängig von Rohstofflieferanten, also von Ländern, die oft autoritär und von Diktaturen regiert werden. Ökologische Modernisierung ist also auch unter sozialen und demokratischen Gesichtspunkten vorteilhaft, nicht nur aus wirtschaftlichen und ökologischen.

All das ist beinahe Common Sense geworden und kaum eine Idee erfährt heute so viel Zustimmung wie der „Green New Deal“. Ökologische Modernisierung – das wirkt wie eine Win-Win-Lösung. Von der Art: Man bekämpft die ökologische Katastrophe, und rettet nebenbei auch noch die Konjunktur. Man müsse nur an ein paar Schrauben drehen und könne ansonsten im Grunde so weiter machen wie bisher. Es ist eine jener Ideen, die insinuiert, dass alle nur Vorteile, aber keiner Nachteile hätte. Aber das ist natürlich ein wenig blauäugig. Ökologische Modernisierung kostet Geld und ist ohne massive öffentliche Investitionen nicht zu machen. Sie ist deshalb unmittelbar auch mit der Verteilungsfrage verbunden, weil ohne, dass Vermögende und Wohlhabende fairere Beiträge bezahlen, wird das alles nicht zu finanzieren sein.

Und die Dinge geschehen nicht allein. Es wäre ein Irrtum, würde man glauben, ein, zwei klug gesetzte Incentives durch Steuerpolitik würden schon reichen, dann würde „der Markt“ die Sache von selbst regeln. Ökonomische Vorteile durch ökologische Umsteuerung entstehen für viele Firmen nicht kurz-, sondern allenfalls langfristig. Und in einem ökonomischen Umfeld mit einem aufgeblähten Finanzsektor, in dem Vierteljahresberichte großer Firmen mehr zählen als langfristige Investitionsentscheidungen, werden sich nicht allzu große Erfolge einstellen. Auf den Markt dürfen wir uns nicht verlassen. Am Markt setzen sich nicht notwendigerweise die Firmen durch, die vorausschauend handeln. Der Markt mag ja manches können und einiges effizienter erledigen als der Staat – aber große Maßnahmen zur Umsteuerung kann er ebenso wenig aus sich heraus generieren wie einer ganzen Gesellschaft ambitionierte Ziele stecken.

Der US-Ökonom John Kenneth Galbraith hat die Herausforderung unlängst so formuliert: „Um all diesen Problemen effektiv beizukommen – und um ihnen gleichzeitig beizukommen -, bedarf es einer Strategie, die heute als Schimpfwort gebraucht wird: Planung.“

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