Warum die Amerikaner reicher als die Europäer sind

Einen interessanten Blogeintrag fand ich bei Paul Krugman diese Tage. Darin wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Europas mit der der USA verglichen. Und zwar für das Jahr 2008, also noch vor Ausbruch der Finanzkrise, die ja vor allem die US-Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen hat. Und die Zahlen, die Krugman präsentiert, zerstören den Mythos von der höheren „Produktivität“ der US-Wirtschaft nachhaltig.

Krugman vergleicht der Einfachheit halber die USA mit Frankreich. Würde man Österreich als Reverenz heranziehen, wären die Zahlen wohl nicht unähnlich, wenngleich Österreich noch einmal deutlich besser darstünde als Frankreich. Schließlich beträgt das kaufkraftbereinigte BIP-Pro-Kopf in Österreich rund 39.000 Dollar, das Frankreichs 34.000 Dollar. Das in den USA dagegen 46.000 Dollar. Die USA sind also „reicher“ – wenngleich natürlich hinzugefügt werden muss, dass das BIP-Pro-Kopf noch nichts über die Verteilung aussagt. In den USA sind die Einkommen ja deutlich ungleicher verteilt. Also, über die Lebensqualität der Menschen sagen diese Zahlen nicht soviel aus, aber über die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft schon.

Und nun stellt Krugman die Frage: Heißt das, dass Frankreich – und damit vergleichbare europäische Länder – unproduktiver sind?

Nein, denn Krugman hat noch ein paar Zahlen ausgegraben. Die Arbeitsmarktpartizipation beträgt in Frankreich nur 80 Prozent des US-Wertes. Und zwar nicht, weil grundsätzlich weniger Franzosen eine Arbeitsstelle haben, sondern weil die Franzosen später in den Arbeitsmarkt eintreten (weil mehr Menschen bis 18 Jahre eine Schule besuchen und viele auch noch die Universität), und weil sie früher ausscheiden – also in Rente gehen.

Die Arbeitsmarktpartizipation im Kernerwerbsalter von 25 bis 55 Jahren unterscheidet sich dagegen kaum.

Und noch eine Zahl halt Krugman gefunden: Die geleisteten Arbeitsstunden pro Jahr betragen in Frankreich pro Beschäftigten um zehn Prozentpunkte weniger als in den USA. Also: Um ein Zehntel mehr Freizeit in Europa pro Beschäftigen in einem Jahr.

Dagegen beträgt der Beitrag zum BIP pro Arbeiter pro geleisteter Arbeitsstunde in Frankreich 98,8 Prozent des US-Wertes. Mit einem Wort: Dieser Wert ist praktisch identisch. Die französische Wirtschaft ist praktisch ebenso produktiv wie die amerikanische. Und die österreichische, ganz zu schweigen von der deutschen, ist sicherlich deutlich produktiver.

Wenn das BIP pro Kopf in den USA im Durchschnitt dennoch um 20 bis 25 Prozentpunkten höher liegt als in den europäischen Ländern, dann einfach deshalb, weil die Europäer mehr Lebensfreizeit haben. Sie gestatten 1.) ihren jungen Leuten, länger zu studieren, sie arbeiten 2.)  auch im Erwerbsalter etwa um ein Zehntel weniger (kürzere Tagesarbeitszeit, mehr Jahresurlaub etc.). Und sie gehen 3.) früher in Rente.  

Punkt drei ist wahrscheinlich nicht wirklich ein Vorteil. Aber die Punkte 1. und 2. charakterisieren mit Sicherheit ein lebenswerteres Gemeinwesen. Vor allem ist aber folgendes Resumee der Zahlen wichtig: Die europäische Wirtschaft ist mindestens so leistungsfähig wie die amerikanische. Wenn die Europäer im statistischen Durchschnitt dennoch etwas ärmer als die US-Amerikaner sind, dann deshalb, weil wir hier der Meinung sind, dass das Leben nicht nur aus Arbeit bestehen, sondern dass es auch noch ein bißchen Zeit für sonstigen Spaß geben soll.

PS: Und jetzt stellen wir noch in Rechnung, dass der Beitrag der „Finanzindustrie“ zum BIP in den USA viel höher ist als in Europa, und dann überlegen wir einmal, was all das über einen Produktivitätsvergleich USA: Europa aussagt.

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