Weil sie so nicht mehr regiert werden wollen…

Ein arabischer Frühling. Es sieht aus wie eine Revolution, es riecht wie eine Revolution. Es ist eine Revolution. Der Freitag, 9. Februar 2010

Die Lettern sind fett, die Titelzeile besteht aus einem Wort. „Revolution.“ Ostentativ schlicht. Mit Punkt. Nicht mit Rufzeichen. Unterzeile: „Und was sie für den Nahen Osten bedeutet“. So machte das Time-Magazine vergangenes Wochenende auf. Zweifelsfrei: Das, was gerade in Nordafrika geschieht, ist eine Abfolge an Revolutionen. Erst die „Jasmin-Revolution“ in Tunesien. Jetzt die „Revolution am Nil“. Aber es gibt auch Widerworte: Ist das denn wirklich eine Revolution, nur weil Demonstranten ihre Regierung ins Wanken bringen? Klar, das kann zur Demokratie führen, aber vielleicht auch nur zum Austausch der Eliten. Zum Ersatz der alten Autokraten-Partie durch eine neue Gangsterbande. Und das wäre wohl doch keine Revolution.

Aber selbst wenn es so käme: Ist eine Revolution, die an ihren Zielen scheitert, keine Revolution mehr? Sind Revolutionen, die nicht glücken, deshalb keine Revolutionen und niemals, an keinem Punkt ihrer Entwicklung, welche gewesen? Nun, das wäre doch ein etwas simples Kategoriensystem.

Aber die Dinge sind noch vertrackter. Da gibt es ja in Theorie, Politaktivismus und linker Publizistik die schneidigen Anhänger der Revolution, die scharfen Fürsprecher des Radikalismus. Nicht selten ist für diese das Radikale eine Catch-Phrase, eine Art Marketingstrategie zur Selbststilisierung. In diesen Kreisen hat man meist eine mehr oder weniger doktrinäre Vorstellung davon, was genau eine Revolution ist: Sie muss mit dem Sturz der Herrschenden einhergehen, mit dem Aufbau neuer Institutionen, mit der experimentellen Etablierung neuer Selbstorganisationsformen der nunmehr sich selbst Ermächtigten, vormals Beherrschten. Und darüber hinaus mit einer fundamentalen Transformation aller gesellschaftlicher und ökonomischer Verhältnisse. Der Nachteil dieser elementaren Revolution, die sich an Daten wie 1789 und 1917 orientiert, ist: dass sie nie, oder verdammt selten, passiert. Manche malen sie sich aus, aber sie bleibt Imagination.

Und dann gibt es die wirklichen Revolutionen, die sich niemand ausgemalt hat, die oft nicht einmal von ihren Protagonisten bewusst herbeigeführt wurden, und die dann plötzlich passieren. Irgendwie. Die alle überraschen. Deren Nachteil ist meist, dass sie den hohen Ansprüchen der elementaren Veränderung nicht genügen, sondern in aller Regel auf halbem Wege stecken bleiben. Deren Vorteil freilich ist, dass sie tatsächlich stattfinden. Ganz ohne Doktrin, erklimmen diese Revolutionen euphorische Höhen, um sich dann in aller Regel in die Mühen der Ebene zu schleppen.

Aber sind es denn deshalb keine Revolutionen? Nein, wenn sie nichts ändern außer der Zusammensetzung des herrschenden Personals. Doch gerade die arabischen Revolutionen, die wir gerade jetzt erleben, dürften weit darüber hinaus gehen. Autokratische Regimes werden wohl durch – vorsichtig formuliert – freiheitlichere Regierungsformen ersetzt werden. Mit mehr Pressefreiheit, mehr Freiheitsrechten, ohne Zensur und Folter. Selbstredend ist das alles nicht sicher ausgemacht, aber doch eine plötzliche historische Chance. Aber diese Umbrüche sind selbst zugleich Folge und wohl auch im weiteren Ursache einer viel eminenteren Revolution, einer mentalen Revolution. Und das ist womöglich das Bedeutendste: Die Bürger und Bürgerinnen haben ihre Frustration, ihren Zynismus und ihr Sich-Fügen abgeschüttelt, haben „Genug ist genug“ gesagt. Und sie haben die Erfahrung gemacht, dass es auf sie ankommt, dass sie – jeder und jede einzelne von ihnen – etwas ändern kann. Das ist gerade in Regimes von immenser Bedeutung, in denen der Passivismus der Leute bislang ein ebenso effektiver Bündnispartner der Autokraten war wie die Folterknechte ihrer Geheimpolizei.

Und es mag schon sein, dass uns im Westen an diesen Revolutionen womöglich eigentümlich vorkommen mag, dass sich die Revoltierenden nicht irgendeine optimale, ideale Gesellschaft ausmalen, in der sie künftig leben wollen, sondern eine Gesellschaft, die in etwa so funktioniert wie unsere: mit intakten Institutionen, Rechenschaftspflicht der Regierenden, mit Parlament und unabhängigen Gerichten und freier Presse. Käme man ihnen damit, dass doch auch bei uns nicht alles prima sei, dann würden sie uns womöglich nicht widersprechen aber ganz sicher im Gedanken hinzufügen: Eure Probleme möchten wir mal haben.

Soll man sie Revolutionen nennen oder vielleicht doch eher Revolten? Womöglich sind das tote Dichotomien. Erinnern wir uns kurz an Albert Camus‘ Loblied auf die Revolte und die Verwerfung der Revolution: Die Revolutionäre wollten, so Camus, die Welt nach einer Idee gestalten, die der revolutionären Tat vorausgeht, „um eine Welt in einem theoretischen Rahmen zu erschaffen“. Die Theoretiker der Revolution würden deshalb alle Revolten bekämpfen, die sich in diesen doktrinären Rahmen nicht einfügen und stattdessen ihreseits die Menschen zum Ding einer imaginierten „historischen Notwendigkeit“ machen. Die Revolte dagegen ist für Camus‘ Existenzialismus die Weigerung des Menschen, „als Ding behandelt zu werden“. In unserem Zusammenhang ist es nicht unwitzig, dass Camus die Revolution einen deutschen Traum – gewissermaßen den Traum orthodoxder Bücherwürmer -, die Revolte aber eine mittelmeerische Tradition nannte.

Wahrscheinlich ist all das nur mehr philologisch interessant, aber heute ohne Relevanz. Um die klassische und wunderbare Formel von  Michel Foucault zu gebrauchen: Die Bürger erheben sich, weil sie so nicht mehr regiert werden wollen. That’s it. So einfach und doch so fundamental. Ob wir das jetzt Revolution nennen oder nicht, ist dem historischen Prozess schnurzegal. Aber vielleicht sollten wir bedenken: Es sieht aus wie eine Revolution, es riecht wie eine Revolution. Es wird wohl eine Revolution sein. 

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