Das Nein allein

Die Wut grassiert, nicht nur in autokratisch versteinerten Ländern der arabischen Welt, sondern auch in hiesigen demokratischen Breiten. Die öffentliche Empörung ist ein erhabener politischer Affekt, doch macht sie allein die Welt nicht besser. Neue Zürcher Zeitung, 14. April 2011

In Deutschland brachte es der „Wutbürger“ schon zum „Wort des Jahres“. Ihren Ausgang nahm die Wortschöpfung mit den Protesten gegen den Bahnhof „Stuttgart 21″. Und das Ergebnis dieser Erregung ist, dass mit Winfried Kretschmann demnächst der erste grüne Ministerpräsident in einem deutschen Bundesland angelobt wird. Damit ist die Wut, für’s Erste, in geregelte parlamentarische Bahnen gelenkt.

Und wenn wir das Fernsehgerät einschalten, den sehen wir Sondersendungen über empörte Bürger, die ihre Autokraten zum Teufel jagen wollen: in Tunis und Kairo haben sie es schon geschafft, in Sanaa arbeiten sie gerade daran, in Tripolis ging die Sache einstweilen blutig aus. Aber wir sind nicht nur distanzierte Zuseher, sondern auch emotional involvierte Beobachter: Hin und her gerissen zwischen Skepsis – was, wenn die Islamisten die Gunst der Stunde nützen? -, und Bewunderung für den Mut und die Vitalität der demokratischen Revolutionen; vor dieser Wucht, dem Pathos, dieser Lebendigkeit, die aus unseren demokratischen Gemeinwesen doch längst entschwunden sind.

Wenn wir dann in den nächstgelegenen Buchladen gehen, findet sich dort mit Sicherheit stapelweise der Renner der Saison: Stéphane Hessels dünne Flugschrift, 21 Seiten schlank, mit blauem schlichten Cover und den fettern Lettern drauf: „Empört Euch!“ In Frankreich ist das Manifest über eine Million Mal verkauft worden, in Deutschland gab es zeitweilig Nachschubprobleme: So groß ist das Nachfrage nach Empörung, da kam das Angebot gar nicht mit. Hessel argumentiert gegen Zustände, die er als empörungswürdig empfindet, aber, und das ist das Eigentümliche: Noch mehr für die Empörung selbst. Hessel argumentiert wuchtig, aber er argumentiert auch für diese Wucht: Dass es die Empörung ist, die einem zum Menschen macht, die einem jung, am Leben hält – weil umgekehrt der, der Umstände hinnimmt, die er für beklagenswert hält, leblos wird, weil er seine Würde und Energie verliert.

Ein bisschen zu sehr ist das in Vergessenheit geraten: Welch ein erhabener politische Affekt die Empörung ist. Es gibt da diesen eigentümlichen Pathos der Empörung. Der, der sich in rechten Worten zur rechten Zeit empört, kann schon der moralischen Wucht wegen andere mitreißen. Sie hat ihre eigene Ästhetik und Bildsprache, von der barbusigen Marianne der französischen Revolution bis zu unserer heutigen Ikonographie des Street Fighters, der von Tränengasschwaden umgeben ist. Nebenbei gesagt: eine Bildsprache, die womöglich gerade durch den Live-Stream ersetzt wird, dessen grobgepixelte Bilder aus der Entfernung zwar den Nachteil haben, dass man nicht viel auf ihnen sieht, aber den Vorteil der unmittelbaren Zeitgenossenschaft über Kontinente hinweg.

Das Charakteristische und Offenkundigste an der Empörung ist, dass sie „Nein“ sagt, ohne sich um positive Vorschläge scheren zu müssen. Sie beschränkt sich auf die simple Anklage beklagenswerter Zustände, ohne sich um die gerne geäußerte Forderung zu bekümmern, dass der, der Schlechtes kritisiert, die Lösung gefälligst mit zu liefern habe.

Aus dem strengen Konstruktivitätsgebot wird den Empörten gerne ein Strick gedreht. Aber nicht alleine deshalb hatte die Empörung einen schlechten Stand in den vergangenen Jahren. Die bloße, die nackte Empörung – in unseren Breiten ist sie ja ein wenig aus der Mode gekommen. Ihr Rigorismus, der gerne auch mit Moralismus und Simplifizierung einher geht, hat natürlich auch etwas Verstaubtes, und nicht selten schlägt sie in Dauerempörung um – über die Politiker, die Spritpreise, das Fernsehprogramm. Hinzu kommt: Heute wissen alle irgendwie, und sei es auch nur instinktiv, dass die Welt komplex und die Dinge kompliziert sind. Auch wenn man seine Ansichten darüber hat, was schlecht läuft – von der Kleinmütigkeit der Politik bis zu den Bankerboni -, so wissen die meisten Bürger doch, dass das verdammt schwierig ist mit dem Bessermachen. Die kräftigste Quelle der Empörung war zudem immer eine Macht, mit ihren starren Hierarchien und ungerechtfertigten Privilegien, diese knechtende Macht, unter die man sich in normalen Zeiten zu fügen hatte, und gegen die gelegentlich eruptiv rebelliert wurde. In einer Zeit, in der nicht ein Einzelner, kein Präsident, aber auch kein CEO über „Macht“ in diesem Sinne verfügt, in der die Macht eher in Machtknoten und Netzwerken diffundiert ist und sich in ein subjektloses System verflüchtigt hat, fehlt das klare Gegenüber – oder, kurzum und simpel gesagt: der Feind. Einer solchen, komplizierten Welt, begegnet man eher mit Ironie.

Aber diese abgeklärte zeitgenössische Klugheit, dieses Bescheidwissen über die Kompliziertheit der Welt, ist kein Wissen jener Art, von dem man früher gesagt hat: Wissen ist Macht. Es ist ein Wissen, das lähmt. Dieses Wissen ist Ohnmacht. Womöglich deshalb gehen Verdruss und subkutane Empörtheit in komplexen Gesellschaften so problemlos mit Passivität einher, mit diesem eigentümlichen Hintergrundrauschen an folgenloser Nörgelei.

Dennoch ist mit Empörung, diesem „psychopolitischen Primäreffekt“ (Peter Sloterdijk) immer zu rechnen. Der Hype um Hessel und die Phänomene, die mit dem Begriff „Wutbürger“ eher umschrieben als klar gekennzeichnet werden, sie sind so etwas wie Symptomatiken. Zumindest ist die Zeit vorbei, in der die Erregt-Uneinverstandenen nichts als Spott auf sich gezogen haben. Freilich, Dagegensein allein ist in modernen Gesellschaften kein ausreichendes Programm – für einen Bestseller mag es hinreichend sein. Zorn ist eine politische Energiequelle, aber sie wird doch verpuffen, wenn es nur dabei bleibt. Denn in der Brust des Bürgers schlagen schon auch zwei Herzen. Im einen Moment will er sich erregen und anschreien gegen das, was ihm missfällt, aber im nächsten würde er schon gerne wissen, wie genau denn das gehen soll mit der Weltverbesserung. 

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