Orwell-Europa: Wenn Solidarität verweigert wird, heißt das „Fiskal-Union“

Dass die Europäische Union mit ihrem letzten Gipfel in die „Fiskal-Union“ eingestiegen ist, ist eine Behauptung, die einer orwellschen Vergewaltigung der Sprache gleichkommt. „Fiskal-Union“, da würden wir uns doch gemeinsame Anstrengungen vorstellen, auch ein solidarisches Teilen vielleicht, irgendeine Form von Vergemeinschaftungen zumindest. Aber der Notgipfel hat ja das genaue Gegenteil davon beschlossen. Sehr schön bringt das der Wirtschaftshistoriker Kevin O’Rourke auf den Punkt, der schon vom „Todes-Gipfel“ spricht. 

With this in mind, the most obvious point about the recent summit is that the „fiscal stability union“ that it proposed is nothing of the sort. Rather than creating an inter-regional insurance mechanism involving counter-cyclical transfers, the version on offer would constitutionalize pro-cyclical adjustment in recession-hit countries, with no countervailing measures to boost demand elsewhere in the eurozone. Describing this as a „fiscal union,“ as some have done, constitutes a near-Orwellian abuse of language.
Es wurde eben beschlossen, dass Nicht gemeinschaftlich reagiert wird – weder durch eine neue Strategie für die EZB, noch mit Euro-Bonds und auch nicht in Form von irgendwelchen keynesianischen Strategien durch die Europäischen Institutionen, etwa dass Sparanstrengungen in der Peripherie durch ökonomische Stimuli durch die starken Staaten oder die Institutionen der Union begleitet werden. Dafür spart jeder dummer für sich, ohne gemeinschaftliche Strategie. Und das nennt man dann „Fiskal-Union“. Wie dumm sind die eigentlich, dass die glauben, wir seien so dumm und lassen uns durch Orwell-Sprache in die Irre führen? 
Die berühmten Märkte, um deren Gefühlslagen man sich ja derart sorgt, lassen sich jedenfalls durch so einen Quatsch nicht beeindrucken: Die Zinsen für Staatsanleihen stiegen sogar an, statt dass sie fielen. Mehr hier
Vor diesem Hintergrund ist die Debatte durchaus bezeichnend, die gerade bei den österreichischen Grünen geführt wird: Nämlich, ob jetzt doch einer Schuldenbremse in der Verfassung zugestimmt werden soll. Die Regierungsparteien brauchen ja wie bekannt die Stimmen einer Oppositionspartei für die Verfassungsmehrheit. Peter Pilz hat nun, abweichend von der Parteimeinung, folgende Position formuliert: 
Ich weiß, dass einige Grüne die Schuldenbremse kategorisch ablehnen. Mit vielen ihrer Argumente haben sie recht. Trotzdem bin ich für die Zustimmung, aus drei Gründen:
Erstens muss endlich intelligent gespart werden: bei der Hacklerregelung, bei der Verwaltung, beim Agrardiesel, bei den Bundesländern… Damit muss sofort begonnen werden.
Zweitens haben sich jetzt 26 EU-Staaten auf die Schuldenbremse festgelegt. Da können wir nicht einfach „Nein“ sagen.
Und drittens spielen Symbole manchmal eine übermächtige Rolle. Europa hat sich jetzt geeinigt. Da kann man erklären, dass gerade diese Einigung unsinnig ist. Oder man kann sie als Brückenkopf betrachten und versuchen, sie zu einer gemeinsamen. spekulantenfesten Fiskalpolitik auszubauen. Dafür bin ich.
Nun kann ich dem durchaus etwas abgewinnen. Natürlich ist das nicht ganz blöd gedacht: Wenn der EU-Ratsgipfel einen Beschluss fasst, gibt es nur die Möglichkeit „ja“ oder „nein“ zu sagen. Nichtmitmachen ist keine so gute Lösung. Und gegen eine „europäische Einigung“ zu revoltieren, wäre ein symbolischer Akt, der blöd ausgelegt werden könnte. Mit beidem hat Peter Pilz recht. Aber gleichzeitig wurde ein Beschluss gefasst, der dumm ist und an den Problemen der Euro-Zone nichts ändert und es wurden alle Lösungen vom Tisch gewischt, die sehr wohl die Probleme lösen könnten. Also sind wir de fakto in einer Erpressungsposition: Erst werden dumme Beschlüsse gefasst und dann wird noch gefordert, dass man ihnen zustimmt – ansonsten ist man ja ein Anti-Europäer. Warum aber sollte man sich eigentlich immer erpressen lassen? Man könnte doch genauso die Erpressungslogik umdrehen: Ihr kriegt keine Zustimmung für Euren Blödsinn, also macht, was wir für richtig halten, wenn ihr eine Mehrheit haben wollt. 
Elegant ist gewiss beides nicht. Aber es ist langsam etwas mühsam, von irgendwelchen Idioten dauernd in Situationen manövriert zu werden, in denen man dann nur zwischen zwei grottenschlechten Alternativen wählen kann. In diesem Fall: Zwischen einer Lösung, die keine ist, weil sie nur aus einer Schuldenbremse besteht, die nichts bringt und darüber hinaus nur schadet. Und der Ablehnung einer Schuldenbremse, also dem Statement, dass man für’s erste keine Lösung dieser falschen Lösung vorzieht – mit allen Folgen, die das auch hat. 
Man kann auch manchmal nachgeben. Klar. Aber warum soll eigentlich immer nur eine Seite nachgeben? 
Wenn man nur mehr zwischen Pest und Cholera wählen kann, dann müssen andere Alternativen auf den Tisch. 
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