Handbuch der Euro-Rettung

Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman liest den politischen Eliten die Leviten. Ihre Rezepte haben die Wirtschaftskrise verschärft. Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau / Der Falter, 12. Mai 2012
Tag um Tag trägt er in seinem Blog in der „New York Times“ seine Argumente vor, Woche für Woche erklärt er in seiner Kolumne, warum die Krisenlösungsstrategien der amerikanischen Regierung, vor allem aber der europäischen Eliten ins Desaster führen müssen: Paul Krugman, Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 2008. Verallgemeinertes Sparen mitten in einer Wirtschaftskrise führt nur weiter ins Loch einer langandauernden Depression, ist mit millionenfachen menschlichem Leid verbunden, und wird auch noch an dem selbstgesteckten Ziel, nämlich der Haushaltskonsolidierung scheitern, weil die Schrumpfung der Wirtschaftsleistung keine sehr kluge Konsolidierungsstrategie ist. Das Desaster in Griechenland, aber auch in Spanien, in Irland und Portugal, liefert mittlerweile auch den empirischen Beweis: Austerität funktioniert nicht. Und seit vergangenem Sonntag wissen wir zudem, dass uns Europas Trümmer bald um die Ohren fliegen, wenn wir so weiter machen: die „Merkozy“-Suizidstrategie wurde von den Franzosen abgewählt, die Griechen haben gleich ihre gesamte alte politische Kaste abgeräumt. 


Aber Angela Merkel sagt weiter unverdrossen, an Schrumpfungskurs und Fiskalpakt könne unmöglich gerüttelt werden. 
„Einen fast schon religiösen Fanatismus“, nennt das Paul Krugman in seinem neuen Buch – wenn auch nicht auf Merkel, sondern auf die radikalliberalen Ökonomen gemünzt, die auch der Bundeskanzlerin einflüstern. 
Paul Krugman ist nicht nur einer der besten und renommiertesten Wirtschaftswissenschaftler unserer Zeit, er ist auch ein begnadeter Autor, der es versteht, komplexe Zusammenhänge so zu beschreiben, dass sie auch der interessierte Laie ohne Probleme versteht. Und er hat eine Mission: die neoklassischen Scharlatane seiner Zunft, die in den vergangenen dreißig Jahren den Ton angegeben haben, zurückzudrängen und einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel anzuschieben. Das gibt seinem neuen Buch auch die Verve, den kämpferischen Ton. „End This Depression Now“, heißt es im Original, und in den Sternen steht, warum der Campus-Verlag der deutschen Version den Titel „Vergesst die Krise!“ gegeben hat. Die Krise? Vergessen? Das ist so ziemlich das letzte, was Krugman will. 
Nicht allzu lange hält sich Krugman in seinem neuen Buch mit den Ursachen auf, die in die Finanzkollaps der Jahre 2008 ff. führten: die Deregulierung des Finanzsektors, die endemische Korruption in dieser Branche, das dramatische Wachstum der Ungleichheit in den vergangenen dreißig Jahren. Schon im ersten Absatz seines Buches stellt er klar, diesmal ginge es ihm nicht so sehr um die „Frage: ‚Wie konnte das passieren?‘ Meine Frage lautet dagegen: ‚Was können wir jetzt tun?'“
Die Regierungen haben die Mittel in der Hand, die Wirtschaft anzukurbeln. Für die USA hieße das: Das Bankensystem in Ordnung bringen und wieder jene Regularien ins Recht zu setzen, die in den vergangenen Jahrzehnten geschliffen wurden; die Steuergeschenke an die Reichen und Superreichen zurückzunehmen, die dazu führten, dass von jedem zusätzlich verdienten Dollar achtzig Cent in die Taschen des reichsten einen Prozent geflossen sind. Das wäre nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern würde auch die Wirtschaft in Schwung bringen (weil eine gleichere Verteilung mehr Nachfrage generiert), aber auch die Schuldenkrise bekämpfen: denn neben der Verschuldung des Bankensektors gibt es auch die Überschuldung der privaten Haushalte, und die ist eine direkte Folge der Einkommenseinbußen, die diese hinnehmen mussten. 
In Europa liegen die Dinge ähnlich, aber doch signifikant anders. Europas Volkswirtschaften sind in der Europäischen Union miteinander verbunden, die Euroländer haben eine gemeinsame Währung – den Euro -, aber die Fiskalpolitik blieb in den Händen der Nationalstaaten. Die Regierungen haben keinen Einfluss mehr auf die Geldpolitik. Die Nationen sind deshalb Spielball der Finanzmärkte geworden. Die Regierungen haben damit auch ein wichtiges Instrument verloren, auf wirtschaftliche Ungleichgewichte zu reagieren – sie können, beispielsweise, ihre Währung nicht mehr abwerten, wenn sie Wettbewerbseinbußen hinnehmen müssen. Erst diese beiden Umstände zusammen haben die Euro-Krise ermöglicht und dazu geführt, dass Länder wie Griechenland, Spanien oder Portugal Staatsbankrotts-Kandidaten wurden. Länder der Eurozone haben, wie Krugman zeigt, heute „einen Euro-Malus, viele Eurostaaten zahlen höhere Zinsen als andere Länder mit einer ähnlichen Wirtschafts- und Haushaltslage“. Das ist der eigentliche Grund für die Euro-Krise. 
Es sind vor allem falsche Bilder im Kopf, die eine Lösung der Krise verhindern: dass wir das Wirtschaftsleben als Moralfabel ansehen, und somit die Griechen heute eben mit Recht bestraft würden für unmoralisches Verhalten. Und weil die Griechen sich so „unmoralisch“ verhalten haben, erwürgen wir sie jetzt und schießen uns zudem auch noch selbst ins Knie. Keine vernünftige Strategie, so Krugman. 
Die reichen Euroländer müssen den angeschlagenen einen Teil der Anpassungsleistung abnehmen. Etwa, indem hier die Löhne endlich wieder in vernünftigem Maß steigen, sodass sich die Konkurrenzsituation für die anderen Länder verbessert und die Nachfrage steigt. Nur die starken Euroländer können zum Wachstumsmotor werden. Und die Europäische Zentralbank muss aufhören, bloßer Exekutor deutscher Forderungen zu sein. Was es braucht ist, so Krugman, eine „Rooseveltsche Entschlossenheit, alle nötigen Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft zu ergreifen“. 
Paul Krugman: Vergessst die Krise! Warum wir jetzt Geld ausgeben müssen. Campus-Verlag, Frankfurt, 2012, 272 Seiten, 25,70.- Euro
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