Sado-Maso-Ökonomie

Soziale Katastrophen in Griechenland, Spanien & Co.: Erlösung durch Schmerzen funktioniert nur in der Phantasiewelt religiöser Frömmler. Aber nicht in der Ökonomie. Der Freitag, 4. Oktober 2012
In der Geschichte schwerer Finanzkrisen gibt es ein paar Standards, die wir als gültige Faustregeln ansehen dürfen: 
Finanzkrisen gehen praktisch immer in Staatsschuldenkrisen über, weil die Regierungen erstens den Finanzsektor retten müssen, weil zweitens Steuereinnahmen einbrechen, weil drittens mit Konjunkturprogrammen ein fataler Wirtschaftsabsturz verhindert werden muss und viertens die Sozialausgaben wachsen. 
Staatsschuldenkrisen, das ist die nächste Faustregel, lassen sich nur auf dreierlei Wegen entschärfen: Entweder durch Wachstum (simpel gesagt, die Schulden bleiben, aber die Wirtschaftsleistung wächst, so dass die Schulden irgendwann nicht mehr so drückend sind). Oder durch Enteignung der Gläubiger (Schuldenschnitt). Oder durch langfristige Enteignung aller (Inflation). 
Nur eines hat nie funktioniert, kann nicht funktionieren, wird nie funktionieren: Der Abbau von Schulden, indem man die Wirtschaft abwürgt – Paniksparen, in der Hoffnung, mit den dann erzielten Überschüssen könnten die Schulden zurückgezahlt werden. Denn wenn alle wie verrückt sparen, wird es diese Überschüsse nie geben. Denn wenn man die Wirtschaft abwürgt, dann wird die Wirtschaft abgewürgt, das sollte eigentlich jedes Kind verstehen. 

Genau das ist aber das Rezept, das man den südeuropäischen Ländern, Griechenland, Spanien und anderen verschreibt. Wobei noch hinzu kommt, dass, wenn man von Griechenland einmal absieht, die Frage ist, ob die betroffenen Länder überhaupt in einer „Staatsschuldenkrise“ sind, also, ob der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte überhaupt der Grund für die Krise ist. Oder besser, es ist eigentlich nicht fraglich, sondern ziemlich klar: Nicht der Schuldenstand Spaniens ist das Problem, sondern die Konstruktionsmängel der Eurozone. Dass die Europäische Zentralbank, anders als etwa die amerikanische FED oder die britische Zentralbank nicht als „Lender of Last Ressort“ agieret, wenn die Zinssätze von Staatsanleihen gefährlich ansteigen, dass die Hysterie der Investoren lange Zeit auch noch geschürt wurde, all das ist der Kern des Problems, worauf die Austeritätspolitik keine Antwort gibt, oder vielmehr: die grundverkehrte Antwort. 
Kurzum: Die Austeritätspolitik ist die falsche Antwort, und zudem auf ein Problem, das gar nicht das zentrale Problem ist. 
Und was handelt man sich mit dieser verqueren Antwort nun ein? Eine tiefe soziale Krise. Ganze Bevölkerungen werden in langandauernde ökonomische Verunsicherung geschickt. Rentner verarmen. Das Einkommen normaler Bürger fällt in den Keller. Ganze Generationen wachsen mit der Erfahrung heran, dass sie buchstäblich keine Chance haben. 
Ob die laufenden Budgets (also die Budget abzüglich des Schuldendienstes) Überschüsse von einem Prozent oder Null oder Defizite von einem Prozent aufweisen, das sind die Schlüsseldaten, auf die alle starren. Diese gewiss nicht unbedeutenden Daten werden in den Rang der wichtigsten Markierungspunkte erhoben. Ob die Jugendarbeitslosigkeit bei 40 Prozent, bei 50 Prozent oder gar noch mehr liegt, das ist aber nicht so wichtig. 
Diese verquere Optik allein ist ein moralischer Skandal, aber sie ist auch ökonomisch verrückt. Denn, wer jungen Leuten die Möglichkeit versagt, heute ein ordentliches Einkommen zu erzielen, der schrumpft heute die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, er schrumpft sie aber auch morgen und übermorgen. Der sorgt dafür, dass diese Volkswirtschaften noch in fünf, zehn und fünfzehn Jahren unter ihren Möglichkeiten bleiben werden. Der produziert heute eine Katastrophe, im falschen Glauben daran, dass sie morgen irgendwelche segensreichen Wirkungen entfalten wird. Aber diese segensreichen Wirkungen wird es nie geben. Wer daran glaubt, ist so vernünftig, wie jemand, der an Vodoo glaubt. 
Es lohnt sich, hier einmal an ein Dokument zu erinnern, dass Finanzminister Schäuble im Vorjahr in der Financial Times veröffentlichte. Dessen programmatischer Titel lautete: „Austerity ist die einzige Kur für die Euro-Zone“. Darin heißt es: „Es gibt die Sorge, dass fiskalische Konsolidierung, ein kleinerer öffentlicher Sektor und flexiblere Arbeitsmärkte die Nachfrage in diesen Ländern in kurzer Frist unterminieren würden. Ich bin nicht überzeugt davon, dass dies wirklich der Fall sein würde, aber sogar wenn es der Fall wäre, müsste man eine Abwägung treffen zwischen dem kurzfristigen Schmerz und dem langfristigen Nutzen. Dieser wird den kurzfristigen Einbruch der Nachfrage aufwiegen.“
Und welches Argument führte Schäuble an? Wir können suchen und suchen, aber er führte gar keines an. Er glaubt daran, dass es so sein wird. Er glaubt daran, so wie fromme Christen daran glauben, dass Schmerz Erlösung bringen wird. 
Aber Schmerz bringt nur in der Phantasiewelt masochistischer Frömmler Erlösung. In der wirklichen Welt der Makroökonomie bringt Schmerz – nichts anderes als Schmerz. 
Vielleicht sollten unsere Gläubigen der „Gesundung-durch-Schmerz“-Religion doch einfach einmal einen großen Unternehmer fragen oder einen Anleger, in welchem Land er denn eher produktive Investitionen vornehmen würde: In einem mit vier Prozent Defizit? Oder in einem mit 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit? 
Die Antwort würde wohl ziemlich eindeutig ausfallen. Und es würde ganz gewiss nicht das Land sein, in dem die „Gesundung-durch-Schmerz“-Religion exekutiert wird. 
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