Wir Gutmenschen

Die Bösen hassen uns und die Anderen rümpfen über uns auch gelegentlich die Nase. Warum eigentlich? Ein Beitrag für das Magazin „MO“ von SOS-Mitmensch, aus Anlass des 20. Geburtstags dieser unverzichtbaren Menschenrechtsorganisation. 
20 Jahre SOS-Mitmensch, das sind auch zwanzig Jahre der Polemik gegenüber den „Gutmenschen“. Nun, sofern diese Polemik von Leuten kommt, die sich etwas darauf einbilden, als Schlechtmenschen durch die Welt zu gehen, kann man die getrost abperlen lassen: Was immer man über die Gutmenschen Schlechtes zu sagen wüsste, immer noch besser Gutmensch als Bösmensch. 
Freilich, wenn die Sache nur so einfach wäre. Spotten über die Gutmenschen ist nicht allein das Privileg hartherziger Neokons, für die das Menschenverachten zum mileutypischen Ton gehört. Gutmenschen sind auch im Kreis derer, die durchaus ähnliche Anliegen vertreten, wie die Gutmenschen selbst, nicht sehr gut angesehen; sie sind ganz schlecht angesehen im Kreise derer, für die sich Gutmenschen gerne stark machen; ja, und Spott über Gutmenschen kann man natürlich auch im Kreis der Gutmenschen selbst häufig hören, vorausgesetzt, die Betreffenden verfügen über eine wichtige menschliche Tugend, die Fähigkeit zur Selbstironie nämlich. 
Womit wir schon bei einem Charakteristikum des Gutmenschen wären, nämlich dem Mangel an Selbstironie. Was viele am Gutmenschen nervt, ist der furchtbare Ernst, mit dem er bei der Sache zu sein pflegt. Wobei die Frage natürlich berechtigt ist, warum eigentlich der Ernst, ohnehin eine nicht sehr verbreitete Untugend, so nerven sollte, und warum der ironische Sound, der um Gegensatz dazu so allgegenwärtig ist, dass man ihn kaum mehr erträgt, also, warum dieser ironische Sound eigentlich weniger nerven sollte. Eigentlich nervt er doch viel mehr. Aber bitte, ist nur eine Abschweifung. 
Zu den ernsthafteren Vorwürfen gegen den Gutmenschen zählt einer, der mit Klassendifferenzen zu tun hat. Die Unterprivilegierten, für die sich die Gutmenschen einsetzen, halten oft nicht allzuviel von ihren Fürsprechern, und wenn man sie in Tiefeninterviews befragt, warum das denn so sei, dann antworten sie: „Gutmenschen sind die, die sich für die armen Leute einsetzen, aber mit ihnen nichts zu tun haben wollen.“
Die Gutmenschen wohnen eher in Neubau als in Simmering, und wenn sie einem echten Unterschichtsmenschen begegnen, dann fremdeln sie. Und wenn sie mal tatsächlich in unterprivilegierte Wohngegenden ziehen, dann gleich in so großen Rudeln, dass sich die Unterpriviegierten bald ihre Mieten nicht mehr leisten können. 
Von diesem Vorwurf ist es dann nicht mehr weit bis zum Nächsten: Dass sich die Gutmenschen eigentlich nur für bestimmte Unterprivilegierte einsetzen, oder besser, für eine Gruppe ausdrücklich nicht: weiße Männer. Die sind so ziemlich die einzige Gruppe von Unterprivilegierten, für die sich heute aus ihrer Sicht niemand mehr einsetzt. 
Und noch ein Vorwurf: Gutmenschen sind moralisch entrüstet, und bei so viel Entrüstung bleibt dann kein Platz für nüchternes Nachdenken, wie das beklagte Unrecht denn praktisch und realistisch aus der Welt geschafft werden soll. 
Sind all diese Vorwürfe unberechtigt? Gehen sie völlig an der Wirklichkeit vorbei? Ich fürchte, nein. Natürlich treffen sie gelegentlich zu, und im Allgemeinen treffen sie zumindest einen Teil der Wahrheit. Und davor sollten wir Gutmenschen besser nicht die Augen verschließen. 


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