Rückkehr der Religionen? Abgesagt!

Benedikt XVI. glaubte, er könne den Bedeutungsverlust seiner Kirche zurückdrehen. Wer immer sein Nachfolger wird: Dieser Illusion wird er sich nicht hingeben. Falter, 13. Februar 2013
Acht Jahre können manchmal wie eine Ewigkeit erscheinen, selbst bei einer Institution, die eine berufsmäßige Kompetenz für das Ewige hat. Als Papst Benedikt der XVI. im Jahr 2005 antrat, war allerorts von der „Rückkehr der Religionen“ die Rede. In den USA bestimmte ein zunehmend fundamentalistischer Protestantismus die Politik. Ein militanter Islam sorgte für globale Konflikte. Die großen weltpolitischen Kontroversen waren plötzlich religiös codiert. Im „Kampf der Kulturen“ schien die Rückbesinnung auf religiöse Identitäten der Trend der Stunde zu sein. Aber diese „großen Konflikte“ begannen auch die „kleinen Konflikte“ einzufärben. Vor allem in Europa sorgte Immigration nicht nur für neue multiethnische Realitäten, die Spannungen, die damit einher gingen, wurden mit einemmal auch „religiösisiert“ – da war plötzlich wieder die Rede von der christlichen Identität Europas, und davon, dass „die Muslime“ nicht zu „uns“ passen. 

Religion war plötzlich das Thema schlechthin in den öffentlichen Diskursen, und das prägte Politik ebenso wie gepflegte Feuilletons oder die Krawallblätter des Boulevards. 
Ein wenig segelten auch die katholische Kirche und ihr Pontifex Maximus auf dieser Welle. Man sah eine neue Chance, den Bedeutungsverlust umzukehren, den die organisierte Religiosität in den vergangenen Jahrzehnten hinnehmen musste. Ratzinger war in seiner tapsigen Schrägheit zeitweise sogar cool, und spielte damit auch. Man hoffte, das (katholische) Christentum könne als Quelle der kollektiven Identität wieder wichtiger werden, und Teile des Klerus und des Kirchenvolkes liebäugelten sogar mit dem antimuslimischen Ressentiment. Denn „Wir gegen die Anderen“ ist ja nicht nur eine Strategie zur Abwertung der Anderen, sondern vor allem zur Stärkung des Wir. 
Von all dem ist nicht sehr viel übrig geblieben. Gewiss, auch heute noch tritt die Xenophobie als Kampf gegen „Islamisierung“ auf, aber das ist es dann auch schon. Wahrscheinlich würde heute nicht einmal mehr HC Strache mit einem Holzkruzifix auf einer Moslemhasser-Demonstration aufkreuzen. Die weltpolitische Situation ist vergleichsweise entspannt. Kampf der Kulturen – kein so großes Thema mehr. Al Qaida – besiegt. George W. Bush und seine Evangelikalen – abgewählt. „Rückkehr der Religionen“ – die Bücher, die sie vorhersagten, verstauben in den Bibliotheken. Die Sache ist erledigt. 
Man muss all das Revue passieren lassen, um einschätzen zu können, was auf den nächsten Papst zukommt. Josef Ratzinger konnte sich noch einbilden, dass die allgemeine Tendenz zum Säkularismus im Westen zu Ende sei und neue Trends auch seiner Kirche günstig wären, wozu beispielsweise auch eine gelegentlich diagnostizierte, schwammige „neue Sehnsucht nach dem Spirituellen“ gehört. Der nächste Papst wird wissen, dass er auf solches nicht wird hoffen können. In den katholischen Kernländern Europas nimmt die Bindung an die Kirche weiter ab. Fällt das Wort „Pfarrer“, denkt man spontan an sexuellen Missbrauch. Wo sich Religiosität behauptet (oder sogar wieder zunimmt), profitieren eher Protestanten (wie in den USA) oder Muslime (wie in den arabischen Ländern). Selbst in Lateinamerika wachsen vor allem die evangelikalen Frei-Gemeinden.  
Der vorletzte Papst, Karel Woityla, hatte sein persönliches Thema, das ihm auch Charisma verlieh: die Freiheit von der kommunistischen Diktatur im Osten. Ratzingers Pontifikat stand unter dem eingebildeten Zeichen der Rückkehr der Religionen. Es ist schlechterdings im Augenblick kein Thema vorstellbar, das sich der nächste Papst an die Soutane heften kann. Ein schwarzer Papst aus Afrika? Wär‘ voll okay und drei Tage lang eine Sensation. Aber an den Problemen der Kirche würde das auch nichts ändern. Die Buchmacher haben derzeit übrigens tatsächlich den nigerianischen Bischof Francis Arinze vorn, dicht gefolgt vom ghanesischen Peter Turkson, wohingegen „unserem“ Christoph Schönborn gerade einmal Außenseiterchancen eingeräumt werden (wer gerne etwas bei Wetten riskiert: die Quote für Schönborn steht 1:26). Höchstwahrscheinlich wird es ohnehin wieder einmal ein Italiener.
Die Probleme, mit denen die Kirche nun schon seit bald 50 Jahren zunehmend zu kämpfen hat, werden sich eher noch verstärken. Als mächtige autoritäre Institution ist sie heute zahnlos. Die Kirchgänger sind eine schrumpfende Minderheit. In der ausdifferenzierten Spaßgesellschaft sind den meisten Leuten hunderte Dinge wichtiger als Kirche, Bischof oder Gott. Wer auf’s Spirituelle steht, ist mit einer Mischung aus Dalai Lama und Yoga genauso gut bedient. Die Amtskirche hat auch keine spezielle Autorität mehr, mit der sie zu bestimmen Dingen sprechen kann. Nicht einmal die „Nächstenliebe“ ist mehr eine Unique Selling Proposition. Denn den Armen hilft auch, beispielsweise, die Volkshilfe, ohne dass sie dazu religiös sein muss, „solidarisch“ sind SOS-Mitmensch und der ÖGB ebenso, und gegen den Hunger in der Welt kämpfen Jean Ziegler oder Bono mit mehr Elan als zehn Päpste zusammen. Die Kirche ist hier höchstens eine Stimme unter vielen. Findet sie sich damit ab, kann sie sich aber auch Respekt erwerben, indem ihre Repräsentanten zur richtigen Zeit das richtige sagen oder tun. So wie das, beispielsweise, Kardinal Schönborn und die Caritas in den vergangenen Wochen in der Refugees-Causa getan haben. 
Wer demnächst in die Papst-Klamotten schlüpft ist angesichts dessen ziemlich egal.  

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