Es ist ein Junge!

Bisher hat Sebastian Kurz seine Jugend zu einem Vorteil verwandelt. Doch jetzt stellen viele die Frage: Ist er zu jung und unerfahren für das Außenministerium? Falter, Dezember 2013
Seit der Nominierung Sebastian Kurz‘ zum Außenminister kursieren wieder diese Jugend-Witze: „It’s a Boy!“, jubelten die Gebrüder Moped in einer ihrer genialen Fotomontagen. Andere wiederum deuteten die Ministerernennung als Teil des koalitionären Sparkurses (Kurz kann billig per Interrail zu den EU-Ratstreffen fahren!), und sehr lustig war auch das gefakete Kurz-Zitat: „Meine Mama hat gesagt, ich darf nur ins Ausland fahren, wenn ich um 22 Uhr wieder zu Hause bin“. Ein Jungspund als Hohes Tier – Hohes Jungtier gewissermaßen. 
Aber, anders als die Humorlosen bemäkeln, altväterliche Arroganz der Jugend gegenüber ist das längst nicht mehr. Man kann ja tausend Witze über Kurz machen, aber für einen naiven Polit-Lehrling, der peinlich „Schwarz ist Geil“ sagt und feucht hinter den eindrucksvollen Ohren ist, kann man ihn nicht mehr halten. In Wirklichkeit ist Kurz einer der wenigen aus der ÖVP-Regierungsriege, den man respektieren kann und dass man über ihn Witze macht, ist eher noch eine Respektbezeugung. Über Spindelegger kann man dagegen ja eher nur weinen. 
Kurz scheint Überzeugungen zu haben, die wir behelfsmäßig mal als konservativ-liberal charakterisieren wollen, er ist in der Lage, auf normale Fragen normale Antworten zu geben und überdies auf eine Weise zu reden, die es ihm ermöglicht, andere Leute für sich zu gewinnen – ja, vielleicht, den einen oder die andere sogar zu begeistern. Er ist vife, talentiert und offenkundig nicht blöd – und das, seien wir uns ehrlich, unterscheidet ihn doch von den meisten seiner Parteikollegen. Leute, die mehr Einblick in die Machtmechanik haben als ich, berichten zudem, er könne auch richtig fies und auf fast schon brutale Weise machtbewusst sein. Das ist vielleicht kein schöner Charakterzug, aber leider auch bis zu einem gewissen Grad unabdingbar, wenn man als Spitzenpolitiker überleben will. 
Kurzum (haha!), es ist kaum mehr möglich, den jungen Mann zu unterschätzen (eher droht heute schon das andere Extrem, ihn zu überschätzen). Und jetzt zieht er also ins Außenministerium ein. 
Nun könnte man sagen: Er wird das schon nicht schlechter machen als seine Vorgänger. So zu formulieren, heißt, die Latte ziemlich bodennah zu platzieren. Doch der Job des Außenministers erfordert teilweise andere, teilweise mehr Kompetenzen als der eines anderen Ressortchefs. Ein normales Ministeramt ist im Grunde ein Managementposten, der Kompetenzen verlangt wie Durchsetzungsfähigkeit, die Fähigkeit, Bündnisse und Mehrheiten zu schmieden sowie schnelle Auffassungsgabe, um das, was die Fachexperten ausarbeiten, verstehen und beurteilen zu können. Ein normales Ministeramt verlangt aber kaum eigene Fachexpertise oder auch nur irgendeine Form von Spezialistentum. 
Ein guter Außenminister braucht all das auch, was ein anderer Minister braucht, aber er braucht noch mehr: Ein Interesse an seinem Gegenstand. Es ist kein Nachteil, wenn dieses Interesse an seinem Gegenstand schon vor seinem Amtsantritt in irgend einer Weise erkennbar gewesen ist. Aus diesem Interesse sollte dann auch so etwas wie internationale Vernetzung folgen: Wer reist, und sei es nur zu Kongressen der Europäischen Jung-Christdemokraten, wird ein paar Leute kennen lernen, wird Kontakte haben, die er im Notfall aktivieren kann. Hat Sebastian Kurz jemals irgendetwas in dieser Richtung getan? Die Annalen geben keine Auskunft darüber, was den Schluss nahe legt: Er hat nicht. 
Ein Minister und Staatssekretär hat im Inland Autorität qua Amt. Ist er jung, aber klug, kann er diese Autorität nützen, auch wenn ihm aufgrund seiner Bürscherlhaftigkeit instinktiver Respekt noch versagt bleibt. Im Kreis anderer Außenminister hat er diese Autorität nicht. Er muss sie, zumal aus Außenminister eines kleinen Landes, aus sich selbst entwickeln. Selbst Joschka Fischer hat sich im Grunde zehn Jahre zielstrebig auf das Amt vorbereitet, obwohl er als Deutscher das gar nicht so nötig gehabt hätte, wie man an seinem Nachfolger sah. Ein Herr Westerwelle hatte im Kreise seiner Außenminister Autorität, weil er der Außenminister des bedeutendsten europäischen Landes war. Sebastian Kurz hat diesen Vorteil nicht. In dem Fall ist sein Alter wirklich ein Problem. Die Kommentatoren, die jetzt ätzen, dass ihn Leute wie Russlands Außenminister Sergej Lawrow oder Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier doch nicht ernst nehmen werden, haben nicht ganz unrecht. Aber vielleicht haben sie auch nicht ganz recht. Europas politische Klasse ist integriert, die Kollegen und Kolleginnen wissen schon, was sich in anderen Ländern tut. Sebastian Kurz ist für seine Außenministerkollegen deshalb nicht nur das unbekannte Bubi, sondern natürlich auch der 27jährige, dem der Ruf vorauseilt, die letzte Hoffnung seiner Partei zu sein. Er ist ja auch der einzige österreichische Politiker, der – und zwar gerade deswegen – in der internationalen Presse für Schlagzeilen sorgt. Das macht gewiss etwas wett, sie werden ihn schon nicht wie einen Erstklässler behandeln, aber seine völlige Erfahrungslosigkeit lässt sich trotzdem nicht wegreden. 
Alles in allem kann man also sagen: Es ist schwierig für Kurz, aber er kann es stemmen. Viele Voraussetzungen, die ihm erlauben würden, im Amt zu glänzen, bringt er aber nicht mit. Die Frage ist nur: Hat er ein Projekt, das über die Routine hinaus geht, zu der das Amt des nationalen Chefdiplomaten im Rahmen der Europäischen Union geworden ist? Kann es ein solches Projekt überhaupt geben? Was könnte es denn sein? Die klassische Vermittlungstätigkeit aus der Zeit der Neutralität? Kulturdiplomatie, die heute sehr an Bedeutung gewonnen hat aber in den vergangenen Jahren finanziell ausgeblutet wurde? Es könnte nicht schaden, wenn Kurz an solchen Fragen Interesse gewänne. Wahrscheinlicher ist freilich, dass er das Amt nur als Trampolin für seinen Aufstieg an die ÖVP-Spitze sieht. 

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