Schnell, schneller, Schnelligkeit

Der rote Faden, meine Kolumne in der „taz“.
Der „Welt“-Kolumnist Ulf Poschardt, der Bücher über Sportwagen schreibt, ein neoliberaler Wicht, darüber hinaus aber – ziemlich milieuuntypisch – auch ein geistreicher Kopf ist, hat im Zusammenhang mit Michael Schumachers Schiunfall einen schönen Satz geschrieben: Es ist „nicht unwahrscheinlich, dass er beim Schifahren eher zu langsam als zu schnell war“. Schumacher, meint Poschardt, habe womöglich einen Fehler gemacht, weil seine Risikosensoren nicht auf Alarm waren, weil die Konzentration und innere Spannung nicht da war, die einer wie er bei hohen Geschwindigkeiten hat. 
Wenn’s nicht stimmt, ist es immerhin eine schöne These. Geschwindigkeit, Beschleunigung und Langsamkeit sind heute Begriffe geworden, über die ein kulturtheoretischer Kampf tobt. Wobei, sehr grob gesprochen, die neokonservativen und neoliberalen Rechten eher für Beschleunigung sind, viele Linke eher für Entschleunigung, was wiederum ein Zeichen für die seltsame Mesalliance mancher „Progressiver“ mit dem Kulturpessimismus ist. 
Den Rechten kann im Turbokapitalismus Innovation und Wandel nicht schnell genug gehen, sie verwerfen das Neue für das Neueste, deswegen sind sie für Beschleunigung. Die Linken sorgen sich um die Überforderung der Individuen durch die Beschleunigung, deshalb sind sie für die Entschleunigung. „Beschleunigung und Entfremdung“, heißt schon im Titel das Buch des Sozialtheoretikers Hartmut Rosa. Der Autor ist ein brillanter Mann, und ich bin mir sicher, dass ich drei Viertel seiner Analysen unterschreiben könnte. Das Problem ist freilich, dass man bei solchen Theorien immer etwas mit-kauft. In dem Fall eine – und sei sie auch unausgesprochen – Verklärung der Idylle, der dörflichen Langsamkeit, die Utopie einer versunkenen Welt, in der die Menschen noch nicht hektisch von Ort zu Ort jetteten, sondern ihr Leben an ein und dem selben Platz verbrachten. Kant hat Königsberg nie verlassen, lebte aber doch ein recht gelungenes Leben. 
Es ist keineswegs eine Versimpelung, wenn man feststellt, dass hier oft einfach zwei Romantizismen gegeneinander sehen: 
Einerseits der Romantizismus der Langsamkeit, einer Zeit ohne Takt und Akkord, Muße, Flanieren, viel Raum, um in Gedanken zu versinken. 
Andererseits ein Romantizismus der Geschwindigkeit, des Lebens am Limit, von Risiko, sensorischer Reizung und permanenter Überreizung. Das schnelle Auto, das Leben am Gaspedal ist dafür eine Metapher. 
Ich persönlich würde sagen, dass ich nicht blind bin für die entfremdenden Effekte der Schnelligkeit und der Reizüberflutung, und flanieren tue ich auch gerne, aber wenn ich mich schon zwischen zwei Romantizismen entscheiden muss, dann nehme ich die „lebe schnell und intensiv“-Version. Aber vielleicht bin ich einfach schizo. 
Über uns bricht jetzt auch der Erste-Weltkrieg-Gedenktsunami ein, ein richtiger Overkill an Weltkriegsrückschauen, und da sollte nicht untergehen, dass auch diese Thematik von Geschwindigkeit, Beschleunigung, Intensität für die Kriegszugewandtheit der jungen Generation von 1914 eine wichtige Rolle spielte. 
„Wie die Herzen der Dichter sogleich in Flammen standen, als jetzt Krieg wurde“, jubelte Thomas Mann damals: „Krieg ist Romantik“. Arnolt Bronnen schrieb später über diese Tage: „Nie ist ein Krieg so herbei gesehnt worden von unzähligen jungen Menschen, von Bürgers-Söhnen, sie sich verwirrt hatten in ihrer Welt. Sie alle wollten, was ich auch wollte: ein Ende. Eine Lebens-Form hatte sich aufgebracht.“ Und Johannes R. Becher dichtete: „Auf, Granaten, zerplatzt“. In einem Brief notierte er: „Betrieb muss sein, damit man nicht in Langeweile erstickt“. 
Die Intellektuellen, die damals für den Krieg waren (und sie waren nur Seismographen einer allgemeinen Stimmung), waren das nicht nur, weil sie vom Nationalismus angesteckt waren, sondern primär, weil sie eine alte Welt untergehen sehen wollten. Man erstickt in Langeweile, und träumt von Intensität. Krieg stand für Intensität, aber auch die moderne Maschinerie mit ihren Potentialen zu Beschleunigung. Die Futuristen sangen ihre Lieder auf das Maschinengewehr und die Panzer. Krieg wurde als ästhetisches Erlebnis bejubelt. Thomas Mann und anderen war das schnell peinlich hinterher. Protofaschistische Autoren wie Ernst Jünger („In Stahlgewittern“) aber nicht, und sie prägten Teile des Geisteslebens. Moderne, Maschine und Krieg fielen in eins. Man war, kurz gesagt, bereit, eine Katastrophe in Kauf zu nehmen, nur damit sich irgendetwas tut. 
Gewiss, es ist bizarr und absurd, dass Leute, die sich nach intensiver Lebendigkeit sehnen, so oft die Nähe des Todes suchen. Aber auch das ist längst ein bekanntes Muster der Moderne, das man durch Kopfschütteln nicht gänzlich aus der Welt zu schaffen vermag. 


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