Dumm gelaufen

Der Rote Faden, meine Kolumne aus der „taz“, April 2014

Thilo Sarrazin ist ja bekanntlich der Meinung, dass Deutschland immer dümmer wird und dass da, irgendwie, die Tatsache daran schuld ist, dass die Unterschicht die meisten Kinder bekommt (und besonders die Einwanderer-Unterschicht). Nun gibt es für die These zumindest zwei Evidenzen: Erstens, Thilo Sarrazin schafft es, in stetiger Abfolge neue Bücher zu schreiben, von denen das jeweils Aktuellste noch einmal dümmer ist als das vorhergegangene (somit: stetige Zunahme von Dummheit); und zweitens hat ein Einwanderer jetzt so ein Sarrazin-Buch geschrieben, das noch einmal dümmer ist, als die „echten“ Sarrazin-Bücher. Der rechte Hassprediger und Hetzschreiber Akif Pirincci, der so doof ist, dass es schon körperlich schmerzt. 
Der hat es mit seiner Hassfibel gegen Frauen, Schwule und Zuwanderer jetzt sogar in eine ZDF-Mittagssendung gebracht, bei der ihm eine trostlos dauerlächelnde Moderatorin Hölzchen geworfen hat für die Verbreitung seiner kruden Meinungen, die sie zu „interessanten Thesen“ adelte. Dabei handelt es sich immerhin um ein Buch, von dem der Rezensent der „Zeit“ schrieb, es erinnere „an Adolf Hitlers Mein Kampf“, und zwar, nicht ohne hinzuzufügen: „Ich schwöre, ich habe noch nie einen Hitler-Vergleich gezogen in meinem Berufsleben.“
Dass jemand wie dieser Pirincci überhaupt eine Bühne im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bekommt, ist, weit über den Einzelfall hinausweisend, ein schönes Exempel, wie die Verblödung tatsächlich vor sich geht. Denn nehmen wir einmal an, dass weder die Redaktion der ZDF-Sendung noch die jämmerliche, mit der Moderation betraute Journalisten-Darstellerin, die Thesen des Herrn Pirincci wirklich teilt, oder sich über deren Stichhaltigkeit überhaupt einen Gedanken gemacht hat. Wenn diese Annahme richtig ist, dann hat sich die Redaktion wohl Folgendes gedacht: „Schräge, provokante Thesen, sicherlich das, was man einen ‚Aufreger‘ nennt, nun, das wäre doch ein spannender Gast.“
Was aber nichts anderes heißt, als: Jeder Depp darf heute schon dahinschwadronieren und erhält eine Bühne, wenn nur die Aussicht besteht, dass er nur ausreichend „spannend“ (also ausreichend deppert ist), und dass es für dessen Einlassungen irgendeine Art von „Markt“ gibt, also ein Publikum, das wenigstens nicht wegzappt. Ich habe den leisen Verdacht, dass an dieser unschönen Entwicklung das Internet und die mit ihm verbundene Utopie der „Demokratisierung“ der Medienwelt nicht ganz unschuldig ist. 
Mit dieser Idee ging ja die Vorstellung einher, dass jetzt jeder ein „Sender“ sein kann, dass die undemokratischen „Gate-Keeper“ in den „Mainstream-Medien“ endlich ausgedient haben, und wie die hohlen Phrasen alle lauten. Die Dummheit des uninformierten Gebrabbel rüstet sich sogar mit einem gehörigen Schuss Arroganz gegenüber jenen angeblich vorgestrigen Zeitgenossen, die noch immer glauben, das öffentliche Worterheben sollte mit so etwas wie bedächtigem Abwägen, sammeln und überprüfen von Informationen und sonstigem altmodischen Zeug einher gehen. Aber vielleicht würde uns ein bisschen rigideres Gate-Keeping und das Hochhalten von Standards gut tun. Womöglich sollte man die verstaubte Tugend ein bisschen höher halten, die etwa davon ausging, dass man Meinungen schon äußern, aber sie irgendwie begründen können sollte, dass nicht jede Meinung gleich viel wert ist wie die andere und sich eine „starke“ Meinung nicht notwendigerweise im Stakkato der Injurien erweist.
Wir werden sehen, ob die Menschheit das Internet wird überleben können. Als grundsätzlich optimistischer Geist, der bei ambivalenten Phänomenen durchaus geneigt ist, eher das Positive als das Negative zu sehen, und der auch keineswegs den Fortschritt ignoriert und überall nur Verfall ausmacht, fällt es mir schwer, so zu formulieren. An sich ist an mir ja kein Oswald Spengler verloren gegangen. Aber sagen wir so: Es gibt Fortschritt in der Geschichte, aber der blinde Fortschrittsglaube, der annimmt, dass alles in der Geschichte notwendig dem Fortschritt zustrebt („Die Enkel fechtens besser aus“), steht auch auf dünner empirischer Grundlage. 
„Geschichtsoptimisten haben es schwer, heutzutage. Ein bisschen viel Backlash auf einmal“, schrieb unlängst mein Freund Georg Hoffmann-Ostenhof im Wiener „profil“, der normalerweise dem heiligen Glauben anhängt, dass alles gut wird. Aber diese Tage haben es auch weltpolitisch in sich: Russland am, wenn auch steinigen, Weg zur Demokratie – na, das stellt sich grad nicht so dar. Die arabische Revolution – in Ägypten endet sie eben in einem Militärregime von Dunkelmännern, die andere Dunkelmänner (die Islamisten) in Garnisonsstärke aufs Schafott schicken. Und in der Türkei gewinnt ein vollends ins Reaktionäre und Autoritäre gewendeter Erdogan die Wahlen. 
Aber vielleicht gibt es nächste Woche ja bessere Nachrichten. 

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