Syriza-Bashing: Ein Versuch, den deutschen Irrsinn zu verstehen

Glaubt Merkel eigentlich selbst, dass ihre Spardoktrin richtig ist? Wieso ist die deutsche Öffentlichkeit so Austerity-Geil? Und warum machen die deutschen Sozialdemokraten mit? Eine Erkundung.

Syr 2Was sich die deutschen Medien – und zwar so ziemlich durch die Bank und völlig unabhängig von der Achse Boulevard/Qualität oder Links/Rechts – in dieser Woche in der Griechenland-Berichterstattung geleistet haben, ist ein schon lange nicht mehr dagewesener Tiefpunkt der Publizistik. Es hat ja überhaupt keinen Sinn mehr, die Lügen und Unwahrheiten oder die bloße Uninformiertheit aufzuzählen, die da via „Welt“, „Süddeutsche“ oder auch „FAZ“ ventiliert wurden, oder auf die gehässige Voreingenommenheit zu verweisen, wie wir sie in öffentlich-rechtlichen Sendern wahrnahmen.

Der Höhepunkt des medialen Geifers war dann das „Spiegel“-Cover vom Wochenende „Der Geisterfahrer – Europas Albtraum Alexis Tsipras“, der eine Titelgeschichte umhüllte, wie ich sie jedenfalls noch nie in einem Qualitätsmagazin gelesen habe. Es ist so unglaublich, wie hier Unwahrheiten, Halbwahrheiten, Unrecherchiertes und bloßer Unsinn aneinandermontiert wurde. Man würde eine ganze Woche brauchen, um jede faktische Unwahrheit zu widerlegen.

Da wird von den „russlandfreundlichen Tönen“ der Tsipras-Regierung gesprochen. Welche sollten das gewesen sein? Fakt ist: Es wurde viel spekuliert, dass die Regierung eine Allianz mit Moskau suchen könnte, dafür gibt es auch Anhaltspunkte von der Art „X kennt Y und Y kennt Z und Z ist in Moskau eine große Nummer“, aber sehr viel mehr nicht. Es wurde hektisch berichtet, die Tsipras-Regierung spreche sich gegen neue Russlandsanktionen aus, dabei hat die Regierung nur dagegen protestiert, vor der Verkündigung neuer Sanktionen nicht konsultiert worden zu sein. Am Mittwoch war die Aufregung schon wieder vorbei – denn die EU-Außenminister haben die Russlandsanktionen vorzeitig verlängert, und zwar mit Zustimmung und ohne gröbere Änderungswünsche der neuen Athener Regierung. Finanzminister Yanis Varoufakis schrieb schon an diesem Tag auf seinem Blog über die „Story vom griechischen Veto, das es niemals gab“. Aber egal – der „Spiegel“ schwadroniert noch vier Tage später munter drauflos, als habe er die Fakten nicht mehr rechtzeitig erfahren.

blogwert

Ökonomische Zusammenhänge und das Für und Wider der finanzpolitischen Wünsche der Regierung werden nicht diskutiert (ist ja klar, ist ja zu kompliziert für den dummen Leser), und alles nur auf die Frage „deutscher Sparwille“ gegen „griechisches Hallodritum“ reduziert. Und dann werden immer wieder so Sätze eingeflochten wie, Tsipras würde die Schuld für die griechische Malaise „allein Merkel in die Schuhe … schieben“. Ist natürlich faktisch falsch. Jeder in der Syriza-Regierung geißelt die Verantwortungslosigkeit der griechischen Eliten. Tsipras sagt sogar, wir Griechen „haben Mist gebaut“. Er fügt allerdings manchmal hinzu: „Aber ihr Deutschen habt zwei Weltkriege und einen Holocaust angerichtet und hinterher trotzdem einen Marschallplan gekriegt.“ Finanzminister Varoufakis wünscht sich ausdrücklich ein „hegemoniales Deutschland“, das in Europa als Wirtschaftmotor funktioniert wie die USA nach 1945.

An manchen Stellen ist der „Spiegel“ wirklich ulkig: Wenn er beklagt, dass sich Griechen und Deutsche daran gewöhnt haben „den anderen als Karikatur zu zeichnen“ – und das selbst in haarsträubender Weise tut.

Die Absurditäten gehen bis in Kleinigkeiten. Die Wahl des rechtspopulistischen Koalitionspartners sei „ein Kulturbruch“ in Europa. Man kann den Koalitionspartner ja wirklich übel finden – was ich auch tue -, aber Kulturbruch in Europa? Hallo? In Ungarn regiert Viktor Orban als Ministerpräsident und seine rechtspopulistische Fidesz-Partei ist noch dazu Mitglied der Europäischen Volkspartei? ANEL ist in Griechenland nur Mini-Koalitionspartner mit einem Minister und ohne großes Gewicht, weil Syriza nur zwei Stimmen zur absoluten Mehrheit fehlen.

Nur gelegentlich schleicht sich sogar in den „Spiegel“-Artikel ein Hauch von Wahrheit, wenn etwa beschrieben wird, dass Deutschland mit seiner Austeritäts-Agenda mittlerweile sowohl in der internationalen Politik als auch in der Wirtschaftswissenschaft völlig isoliert ist. Umso amüsierter liest man dann Sätze über eine angebliche „Realitätsverweigerung, wie sie wohl nur in Griechenland möglich ist“.

Deutschland denkt also völlig anders über die ökonomischen Dinge als der gesamte Rest der Welt, aber auf die Idee, dass vielleicht die Deutschen „Realitätsverweigerung“ betreiben, auf die kommt der „Spiegel“ nicht. Es ist wie in dem Witz mit dem Geisterfahrer, der im Radio die Meldung hört, auf der Autobahn fahre ein Geisterfahrer und angesichts des dichten Gegenverkehrs sagt: „Was heißt einer? Unzählige!“

Aber lassen wir die Medienschau – eigentlich sollte der Blick in den aktuellen „Spiegel“ ja nur ein lachhafter anekdotischer Einstieg zu einem viel grundsätzlicheren Thema sein, zu dem ich in den letzten Tagen immer wieder befragt werde, da man glaubt, ich würde – da ich mit dem deutschen politischen und medialen Establishment ein wenig vertraut bin -, dazu Antworten haben. Ich will versuchen, sie zu geben, so weit ich das kann. Die Fragen lauten: Glaubt Merkel tatsächlich an die Erfolgsträchtigkeit des Austeritätskurses, obwohl alle Welt mit gutbegründeten Fachurteilen das Gegenteil vertritt? Warum ist die deutsche mediale Öffentlichkeit eigentlich soweit jenseits der Spur des globalen Mainstream? Und warum macht da um Gottes Willen die SPD mit?

Was Frau Merkel glaubt, weiß ich natürlich nicht. Aber Merkel hat ein gutes Sensorium für die Volksmeinung und weiß sie zu ihren Gunsten zu steuern. Also müssen wir mit den Meinungen der normalen Deutschen und der Ordnung des deutschen Diskurses beginnen. Das „Problem“ ist, dass Deutschland ökonomisch so gut da steht. Den Deutschen geht es – relativ – gut. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Stimmung gut, wer eine einigermaßen ordentliche Ausbildung hat, bekommt problemlos einen Job – das ist ganz etwas anderes als zur Zeit der Fünf Millionen Arbeitslosen zu Kohls Zeiten, mit denen dann noch Gerhard Schröder als Kanzler zu kämpfen hatte. Gleichzeitig geht es den Deutschen allerdings auch nicht so gut, wie es ihnen gehen könnte, da sich die deutschen Löhne und Gehälter in den vergangenen zehn Jahren nur sehr mäßig nach oben bewegt haben. Weite Teile der Beschäftigten haben Reallohnverluste erlitten. Aber dass es ihnen noch besser gehen könnte, wissen die Deutschen natürlich nicht. Man hat ja keinen realen Vergleich. Man weiß nur, es geht besser als vor zehn Jahren. Das weiß man dagegen sehr genau.

Der Grund dafür ist ein Mix der Wirtschaftspolitik der vergangenen zehn Jahre, der gute und schlechte Seiten hatte. Die guten: Natürlich ist die Produktivität in Deutschland sehr gestiegen, Deutschland profitierte nach der Finanzkrise auch von seiner ordentlichen industriellen Basis (Autoindustrie, Maschinenbau), hat also nicht so gelitten, wie jene Länder, die etwa die Finanzbranche forciert hatten. Also, das sind die echten Stärken der deutschen Wirtschaft.

Daneben gibt es dann auch noch falsche Stärken: Weil Deutschland eine Politik des Lohndumpings gefahren hat, kann es die Wirtschaftspartner nieder konkurrieren. Die normalen Bürger haben zwar Einkommen verloren, aber man redet ihnen ein, dass sie sich darüber freuen sollen, weil dadurch sei die deutsche Wirtschaft „wettbewerbsfähiger“ geworden. Die durchschnittlichen Deutschen konnten sich zwar die von ihnen produzierten Güter selbst nicht mehr leisten, man konnte sie aber – Wettbewerbfähigkeit! – zu den Nachbarn exportieren, denen der wohlhabendere Teil Deutschlands dann Kredite gab, damit sie sie bezahlen konnten. So etwas geht natürlich nur eine zeitlang gut.

Der Punkt ist nun, dass aus diesen beiden Gründen in Deutschland schon in weiten Teilen der Bevölkerung die Vorstellung verbreitet ist, dass Deutschland eben gut gewirtschaftet hat und die anderen nur jetzt auch den Gürtel enger schnallen müssen, damit es überall bergauf geht. Aber das ist natürlich Unfug, wie man leicht verstehen kann: Es kann in einer integrierten Wirtschaft natürlich einer die anderen niederkonkurrieren und sich dadurch Vorteile verschaffen, alle gleichzeitig können das natürlich unmöglich tun. Wenn das alle gleichzeitig tun, sind am Ende alle ärmer. Deswegen kann ja Austeritätspolitik ja funktionieren, wenn ein Land diese – etwa nach einer Bankenkrise – betreibt, aber niemals, wenn das alle Länder tun.

Aber diese falsche Vorstellung ist in Deutschland weitgehend hegemonial – so hegemonial, dass sich im Grunde niemand dagegen zu argumentieren traut. Merkel weiß, dass sie von den Bürgern als Verkörperung dieses „Kurses der Wettbewerbsfähigkeit“ angesehen wird, und praktisch unschlagbar ist, solange sich an zwei Dingen nichts ändert: Solange die öffentliche Meinung bleibt, wie sie ist, und solange sie – Merkel -, an ihrem Image nichts ändert. Da Merkel Machtpolitikerin ist, entscheidet sie sich selbstverständlich genau dafür, selbst wenn sie wissen sollte, dass es wider alle ökonomische Vernunft ist.

Der Rest ergibt sich quasi von selbst: Die öffentliche Meinung ist praktisch „gleichgeschaltet“, nicht, weil irgendjemand Befehle ausgeben oder Meinungsmacher bezahlen würde, sondern weil eine hegemoniale Deutung natürlich einen extremen Sog entfaltet: Wer nicht allzu viel nachdenkt, denkt wie alle anderen auch, und im Zweifel entscheidet man sich, mit der Meute zu grölen. Wer Zweifel hat, wird die vielleicht nicht laut äußern, weil er nicht als Abweichler dastehen will. Und wer zwar eine abweichende Meinung hat, wird die nicht radikal formulieren, sondern wird versuchen, sich nur so weit vom Mainstream zu entfernen, dass er für den Mainstream noch als diskursfähig gilt. Das Ergebnis: In Deutschland erscheint schon als linksradikal, was in der angloamerikanischen Wirtschaftspresse slighlty rechts der Mitte wäre.

Aus all dem ergibt sich natürlich auch das Agieren der deutschen Sozialdemokraten. Sigmar Gabriel und seine Leute (zu denen auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz gehört, schließlich liegt auch seine Wählerbasis in Deutschland) wissen, wenn sie eine Position ökonomischer Vernunft zu laut und vernehmbar einnehmen würden, würden sie sich in ihrem Land isolieren. Oder besser: Sie glauben das. Mit dem Ergebnis, dass im Spektrum der „ernstzunehmenden Politik“ eine Position ökonomischer Vernunft nicht mehr geäußert wird, was seinerseits zur Stabilisierung des Meinungsklimas beiträgt. Da die wirtschaftliche Vernunft, die überall in der Welt Mainstream wäre, in Deutschland im politischen Feld nicht mehr repräsentiert ist (außer am linken Rand der Grünen und am Realo-Rand der Linkspartei), hat das wiederum Auswirkungen auf das veröffentlichte Meinungsbild. Kurzum: Die Schlange beißt sich in den Schwanz. Weil vernünftige Positionen in der Politik marginal sind, sind sie in der Presse marginal und deshalb sind sie wiederum in der Politik marginal… ein endloses Spiel mit vielfachen Rückkopplungsschleifen. So kommt es, dass die SPD heute in ihren wirtschaftspolitischen Positionen rechts vom Internationalen Währungsfonds steht.

Das sind die Gründe für den deutschen Irrsinn dieser Tage.

22 Gedanken zu „Syriza-Bashing: Ein Versuch, den deutschen Irrsinn zu verstehen“

  1. Hallo Robert!
    Ich habe mich sehr gefreut das Syrizia gewonnen hat. Lebe nun in der Hoffnung, das Tsipras den Umschwung schafft.
    Dann freue ich mich auf die Gesichter unserer angeblichen Elitejournalisten und neoliberalen Politiker.

  2. Zugegeben, es ist eine Spinnerei. Erlaube mir trotzdem die Frage, wie wohl Nikos Kazantzakis die aktuelle Gemengelage „Tsipras“-Griechenland vs. Euronen-Universum in einem Essay kommentiert hätte?

  3. Schöne Analyse. Nur das mit dem „Realo-Rand der Linkspartei“ verstehe ich nicht ganz, weil es mehrere einander widersprechende „Realo“-Fraktionen in der Linkspartei gibt. Ich würde denken, dass die wirtschaftspolitischen Positionen von Lafontaine, Gysi und Wagenknecht in der Linkspartei Mainstream sind und große Affinität mit der Sichtweise der Syriza haben. Der Realoflügel der Linkspartei sind für mich aber vor allem die Landes- und Kommunalpolitiker im Osten, die bedenkenlos öffentliches Eigentum an Hedgefonds veräußern wie einst in Dresden, den Braunkohletagebau mitmachen wie in Brandenburg oder sich wie der außenpolitische Sprecher Liebich in transantlantischen Netzwerken tummeln. Deren Positionen sind im Grunde mit Gabriel und Schulz usw. gleichzusetzen.

    1. Genau über diese Stelle im Text von Robert war ich auch ins Stolpern geraten. Der Realo-Rand der Linkspartei ist in vielen Positionen mit der SPD identisch, besonders in der WiPo.
      Lafontaine, Wagenknecht etc. stehen für die im Text vermisste wirtschaftliche Vernunft im Sinne von Syriza.

  4. Eine sehr gute Analyse, die leider plausibel erklärt, warum es so wenige Journalisten wie Sie in Deutschland gibt.

    Da bleibt nur die Frage: Gibt es Hoffnung auf Besserung??

  5. Ich schließe mich meinem Vorkommentator an: „Schöne Analyse“, doch in Bezug auf den „Realo-Rand der Linkspartei“ greift sie daneben (was auch plausibel ist, da das „Realo“-Label von eben jener deutschen Mainstreampresse ausgeteilt wurde, die ökonomisch stockkonservativ ist, und sich somit das „geringste Übel“ der Linkspartei sucht, um es mit der Bezeichnung auf die eigene Seite zu ziehen.
    Die Konformitätsmechanismen im Artikel sind gelungen ausgeführt, ihr Treibstoff ist allerdings nicht allein mittelfristiger Natur (i.S. relativ geringe Arbeitslosigkeit), historisch lassen sich besondere ideologische Elemente (in der allgemeinen neoliberalen Ideologie) erkennen, dazu sei auf eine Analyse von Sebastian Dullien verwiesen: „The long shadow of ordoliberalism“ (womit ich keine Werbung für den ECFR machen will)

  6. Danke für diesen Artikel! Es ist wirklich unglaublich, auf welches Niveau die deutsche Presse gesunken ist – und das schon seit längerer Zeit. Im Spiegel oder der SZ lässt sich eigentlich nur noch halbwegs passabel über Fussball lesen…
    Die Taz ist manchmal eine Ausnahme, der Freitag ebenso, zumal letzterer mit seinem Onlinekonzept der „Beitragscommunity“ein m.E. zukunftsfähiges Modell vertritt.

    Dennoch tun sich Welten auf, wenn man die deutsche Presse etwa mit der fabelhaften Berichterstattung des Guardian o.ä. vergleicht.

  7. Sehr gut Herr Misik, die Deutschen Qualitätsmedien
    und die Deutsche Klugscheißer Politik genau getroffen.
    Die Raute-Kanzlerin und die Schwarze Null werden
    Europa an die Wand fahren,leider.
    Die Lernfähigkeit ist gleich Null.

  8. Gefreut hab ich mich über Syrizas Sieg erst nicht, war eher beunruhigt. Die Freude kam erst, als ich die Chancen gesehen habe, die (auch dem Rest der „Schuldenstaaten“ in der EU) entstünden, falls die gr. Regierung nun tatsächlich eine Alternative zum als alternativlos dargestellten Sparkurs entwickeln.
    Und dann war da noch der „Dijsselbloom“-Effekt: zu sehen, wie dieser arrogante EU-Bürokraten-Fatzke sich sprachlos vom Mikro abwendet, da dachte ich: hach, es wär so schön, wenn sie es wirklich schaffen würden, die Griechen.

  9. „die Arbeitslosigkeit ist niedrig“?
    Die offizielle Arbeitslosenstatistik in D ist seit mehreren Jahren nur noch eine einzige Fälschung, eine Karikatur dessen was man sich gemeinhin unter einer „Statistik“ vorstellt. Würde man die Arbeitslosenstatistik nach den gleichen Kriterien aufstellen wie zu Kohls Zeiten, dann kämen da auch ganz ähnliche Zahlen bei raus.

  10. Guten Tag Robert Misik,

    so sieht man den Spiegel-Titel in Griechenland:
    Protagon.gr 2.2.2015 von Dimitris Galon
    (Übersetzung aus dem Neugriechischen Céline Spieker)

    Hier Deutschland auf Geisterfahrt

    Das bekannte deutsche Magazin „Der Spiegel“ widmet in seiner aktuellen Ausgabe ganze zwölf Seiten der Wahl von AlexisTsipras, dem Phänomen SYRIZA, dem Treffen von Martin Schulz mit dem gerade mit deutlichem Wählerauftrag gewählten griechischen Ministerpräsidenten, der Mitwirkung von ANEL in der neuen Regierung, der europäischen Zukunft und ergänzt es um ein Interview mit dem neuen Minister Giorgos Stathakis. Das Eigenartige- für ein Qualitätsmedium wie den Spiegel, der ausdrücklich seine politische Unabhängigkeit betont- ergibt sich aus der Tatsache, dass nicht nur der Inhalt, aber auch der Titel der Ausgabe sich auf eine populistische polemische Ausdrucksweise konzentriert, die ihre Hauptargumente aus der Argumentation von Merkel-Schäuble bezieht und ihre Ästhetik von den Buchcovern von Peter Scholl-Latour.

    Das Titelblatt der neuen Ausgabe, geschmückt mit einem großen Foto des neuen griechischen Premierministers, trägt den Titel „Der Geisterfahrer“. Beschäftigen wir uns ein wenig mit diesem unbekannten Wort, das für denjenigen, der das deutsche Verkehrsnetz kennt, den Gipfel nicht nur seines Alptraums bedeutet, sondern auch dessen Tod selbst. Der Begriff „Geisterfahrer“ (er wird wie „Geisterfahrer“ ausgesprochen) wird für jemand verwendet, der in entgegengesetzter Richtung des Straßenverkehrs fährt und damit nicht nur sein eigenes Leben und das seiner Beifahrer aufs Spiel setzt, sondern auch das aller anderer Verkehrsteilnehmer, die sich regelkonform zur Straßenverkehrsordnung verhalten. Die Assoziation ist glasklar: Tsipras fährt entgegengesetzt zum Verkehrsfluss und gefährdet sich damit selbst, das griechische Volk, aber auch die übrigen europäischen Fahrer. So ist es offenbar im vorliegenden gemäß dem Spiegel Fall, so, dass die Straßenverkehrsordnung vom Zwillingspaar Schäuble-Merkel ausgegeben und auch, zumindest vorläufig, von allen europäischen Regierungen eingehalten wird. Die Assoziationen sind vielfältig, aber offensichtlich auch nur oberflächlich, während die Diktion des Titelthemas der sonst seriösen Zeitschrift mit der populistische Bild Zeitung konkurriert. Mit fortgesetzter und ständiger Bezugnahme auf die Solidarität, die Einheit, aber auch die institutionellen und ökonomischen Verpflichtungen, die die EU vorgibt, blumig und mit humorvollen Pinselstrich zum „Sexy Alex“ ausgeschmückt, wiederkäuen die Redakteure notdürftig die ganze Argumentation der letzten Monate, indem sie sich unter die Logik der deutschen Regierung und der Wirtschaftskreise unterordnen, die sie stützen, während sie dabei bewusst große Bereiche der harten griechischen Wirklichkeit verbergen und demonstrativ den klaren Auftrag des griechischen Volkes für notwendige politische und wirtschaftliche Änderungen ignorieren. Hier würde man von einer Zeitschrift vom Niveau des Spiegels eigentlich eine Analyse der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ursachen in Griechenland erwarten, die zum Sieg von SYRIZA bei den letzten Wahlen geführt haben, und das Aufspüren der asymmetrischen Möglichkeiten innerhalb der „europäischen Solidarität“, doch genau das Gegenteil ist der Fall. Es wird eine besonders aggressive Argumentationsweise verfolgt, die darauf abzielt die Feindseligkeit gegenüber den Problemen der griechischen Gesellschaft und ihrer offiziellen Vertreter zu intensivieren, also auch gegenüber der neuen griechischen Regierung.

    Nirgendwo im gesamten Titelthema wird auf die Existenz, den Umfang, und den Umgang mit den Problemen Bezug genommen, die die griechische Gesellschaft plagen. Fragen betreffend die Jugendarbeitslosigkeit von über 50%, die Umstände der Kinderarmut, den Anstieg der Säuglingssterblichkeit, den Anstieg der Selbstmordrate, die Schwäche des Gesundheitssystems bei der Versorgung der Kranken, den überproportionalen Anstieg der Verschuldung, trotz der enormen Anstrengung sie unter Kontrolle zu bringen, die Emigration der jungen Akademiker und, schließlich, die psychologische Last einer ungewissen Zukunft, all das wird nicht nur nicht beantwortet, sondern diese Fragen werden gar nicht erst gestellt, offensichtlich aufgrund von Unkenntnis oder gezieltem Verschweigen.

    In der Ära seines Herausgebers, Rudolf Augstein war Der Spiegel immer eines der Massenmedien zur Information der Bevölkerung, welches die gesellschaftlichen und politischen Phänomene analysierte, tief in ihren Ursächlichkeit eindrang und gleichzeitig ihren inneren aufnau vollständig und umfassend darstellte. Diese Strategie wurde auch nach dem Tod von Augstein 2002 von den Chefredakteuren Stefan Aust, Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron beibehalten. Seit 2013, und nachdem Wolfgang Büchner die Zeitschrift übernahm, nahmen die überholten und oberflächlichen journalistischen Annäherungen an Ereignisse, mit populistischen Artikeln und mit gefühlsduseliger konservativer politischer Polarisierung zu und es begann ein fast schon überholtes Regime in der mutmaßlichen „einzigen politischen unabhängigen Zeitschrift“. Vielleicht ist das Erreichen der Auflage der „Bild Zeitung“ das geheime und unausgesprochene Ziel der noch relativ neuen Leitung des Spiegels.

    Der Hauptartikel wird unterzeichnet von: Nikolaus Blome, Manfred Ertel, Julia Amalia Heyer, Horand Kanup, Walter Mayr, Peter Müller, René Pfister, Christian Reiermann, Mathieru von Rohr und helene Zuber. Der Kommentar über die Politik von Herrn Tsipras wird gezeichnet von Markus Deggerich.

  11. Die SPD war schon neoklassisch/neoliberal, als diese Position noch weltweit Konsens war. Ich erinnere an die Agenda2010 unter Rot/Grün. Desweiteren sind so ziemliche alle EU-Verträge, etwa der Maastricht-Vertrag, von dieser Denkweise geprägt. Auch die deutsche „Die Linke“ ist auf dem besten Weg sich dieser Ideologie anzunähern, Stichwort: Schuldenbremse… (usw.)

  12. Hm, also die Ansicht, dass Deutschland sich in den letzten Jahren Wettbewerbsvorteile durch ins Unterirdische getriebene Lohnstückkosten geschaffen hat, teile ich durchaus. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass den Grundstein für diese und viele weitere Maßnahmen, die Deutschland heute „Vorteile“ verschaffen, einst die Agenda 2010 gelegt hat, die bekanntlich auf die rot-grüne Regierung Gerhard Schröders zurückgeht. Ob visionär/weitsichtig oder unsozial, das steht auf einem anderen Blatt. Das ist und war aber nicht Merkels Werk und das (wie auch viele andere Fakten) sollte in diesem Zusammenhang auch richtig und vollständig dargestellt werden, wenn man schon auf den Deutschen rumhacken will.
    Fakt ist, dass ich als einfacher dummer deutscher Steuerzahler mir eine ganz grundsätzliche Frage stelle: Man wirft uns immer vor, die geforderte Austerität sei völlig daneben. Aber: Soll es denn ewig mit der Neuverschuldung weitergehen? Sollen wir für immer und ewig Länder, die aufgrund ihrer korrupten Eliten und Vetternwirtschaft in Schulden geraten sind, unser sauer verdientes Geld hinterherschmeißen?!Also ich als kleiner unbedeutender Bürger kann und will das nicht! Und es gibt gute Beispiele, dass ein Leben auf Pump schlichtweg auf Dauer nicht funktionieren kann (Schauen sie doch mal in die USA, Stichwort fiscal cliff; dieses Land kann ohne ständige neue Schulden schon gar nichts mehr bezahlen!Wie soll das weitergehen???Igrendwann muss diese Bombe platzen!) Schimpfen sie bitte auf die Politik, wenn es ihnen hilft,aber nicht auf mich, der es sich nun überlegen darf, überhaupt noch Kinder in die Welt zu setzen. DEUTSCHLAND HAT SICH FÜR GRIECHENLAND AUF GENERATIONEN VERSCHULDET!!!Ja, meine Kinder werden diesen Mist irgendwann bezahlen müssen!!!!Und meine Rente wird für diesen Irsinn des Geldrausschmeißens irgendwann vielleicht auch gekappt.Wofür reiße ich mir dann wöchentlich 60-90 Stunden den *** in der Arbeit auf? Übrigens: Im Gegensatz zu Österreich bekommt man in Deutschland als Beamter/Staatsbediensteter kein 13./14. Monatsgehalt. Hier wird also auf der Arbeitnehmerseite deutlichst auf Extraleistungen verzichtet. Das tut mir finanziell auch weh, aber ich jammer nicht ständig rum!Ich ertrage es einfach, weil ich weiß, dass es sein muss.Jeder muss seinen Teil beitragen und dazu haben wir uns in Europa gegenseitig verpflichtet.
    Hört endlich auf, euch als die Opfer darzustellen!Wer auf Pump lebt, muss auch mit den Konsequenzen leben, wenn es schief läuft. Das gilt für den kleinen dummen Privatinsolventen genauso wie für einen Staat!Den Griechen hätte sich lange darüber bewusst sein müssen, dass es so, wie es gelaufen ist (Belege?Was ist das?, elektronische Kassen?Hm, nie gehört?!), nicht mehr lange gut gehen kann.Dann hättet ihr dem eben einen Riegel vorschieben müssen, als das Kind noch nicht im Brunnen lag.Wir Deutschen verzichten auch auf viel, um euren Wahnsinn finanzieren zu können. Und wir tragen das mit, weil wir hinter der Idee eines vereinigten Europas stehen. Das geht aber nur, wenn man aufeinander Rücksicht nimmt! Und wenn der Horizont nicht ausreicht, um zu erkennen, dass die griechische Misere halt auch in Deutschland den kleinen Mann trifft, dann beschäftigt euch erstmal mit unserem Land, statt einfach darauf los zu wüten.Das entspricht auch nicht gerade dem europäischen Gedanken!Übrigens empfinde ich als kleiner Mensch in diesem Zusammenhang die Argumentationslinien der europäischen Linken als zutiefst unsozial!
    Und noch etwas: Ob Austerität oder Keynesianismus, die Wahrheit liegt -wie meistens im Leben- wohl irgendwo in der Mitte. Wie in so vielen Dingen, helfen hier einseitig radikale Ansätze, wie sie bei den Verhandlungen im Moment aufeinanderprallen, nicht weiter (man hat zumindest den Eindruck, dass dabei nicht viel rauskommt)!Hass schüren, wie ich es als Deutscher im Moment erlebe, ist aber etwas so Uneuropäisches, dass jeder, der auf dieses Pferd aufspringt, sich fragen sollte, ob er selbst noch hinter einem geeinten Europa steht!Und da spreche ich alle Parteien, alle Medien und alle Publizisten an, die sich an diesem Deutschen-Bashing beteiligen!Ihr schürt Ressentiments und führt die europäische Integration ad absurdum!Hört auf damit!

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