#yaniswien

18 Stunden mit Yanis Varoufakis. Der Popstar der linken Kritik über die neue Graswurzelbewegung, die er gründen will, über seinen Freund Alexis Tsipras und seine eigenen Fehler.

Foto: Daniel Novotny
Foto: Daniel Novotny

„Das Lustigste an meinem neuen Leben ist“, sagt Yanis, „dass ich jetzt Leute kennen lerne, die immer meine Heroes waren. Einmal rief Brian Eno an und sagte, er will mich kennen lernen. Als wir uns dann trafen sagte er, ‚Hey, Bono ist auch in der Stadt‘.“ Yanis Varoufakis lacht. Wir stehen in einem Dachkammerl über dem Audimax der Wirtschaftsuniversität und schauen durch ein Fenster mit verdunkeltem Glas, durch das wir das Audimax beobachten können, während man von uns höchstens Konturen sieht. Knapp 800 Leute schieben sich in den Saal. 2.500 hatten sich für das Event angemeldet, und zwar innerhalb von wenigen Stunden, nachdem wir es Online gestellt hatten.

„It’s Yanis-Festival“, lache ich, und erzähle meinem Gast, dass die jungen Studierenden, mit denen das Kreisky Forum Varoufakis eingeladen hat (Basisgruppen wie der Rote Börsenkrach oder die Gesellschaft für plurale Ökonomik), sogar solche Armbänder produziert haben, wie man sie von Musikfestivals kennt – und zwar um die Besucherregistrierung schnell abwickeln zu können. „#yaniswien“, haben sie drauf gedruckt. Von baulichen Maßnahmen, wie die Innenministerin das nennen würde, haben wir abgesehen.

Und natürlich ist all das auch ein wenig zu Schmunzeln.

Der griechische Ex-Finanzminister ist ein Pop-Star der – ja was eigentlich? Der Ökonomie? Der Politik? Die Faszination, die von ihm ausgeht, hat durch die konzertierten Diskreditierungsaktionen der Spin-Doctoren seiner Eurozonen-Kollegen („der redet nur groß“ – „der macht ja keine konkreten Vorschläge“) nicht gelitten. Vielleicht sogar im Gegenteil: dass die Leute nicht ganz sicher sind, was von Varoufakis zu halten ist, er vielleicht sogar irgendwie sinister oder gefährlich sei, in jedem Fall aber ein eigener Charakter, macht ihn noch interessanter für die Leute.

Der Hotelmanager bittet um einen Selfie. Der Taxichauffeur ist ganz ergriffen, dass er „den griechischen Finanzminister“ fahren darf. Im Cafe Engländer, wo wir den Abend ausklingen lassen, schmeißen sich die Gäste an unserem Tisch, wollen auch einen Selfie, später dann beim Heimweg springt eine Person aus einem dunklen Hauseingang. Der Selfie ist gewissermaßen die zeitgenössische Autogrammkarte, aber auch so etwas wie ein Beweismittel: Weißt Du wem ich heute begegnet bin? Das glaubst Du nie…

Nächsten Tag, beim Frühstück im Cafe Korb, fragt ein Journalistenkollege Varoufakis, wann er denn wieder einen echten Job ausüben wolle. „Hey, das IST ein Job“, sagt Yanis.

Berufsbezeichnung? Am ehesten globaler Großkritiker, Vortragsreisender im Kampf gegen die Austeritätspolitik im allgemeinen und die Politik der Eurozone im besonderen. Eine Allianz will Varoufakis jetzt gründen, aus Bürgern, Graswurzelbewegungen, aber auch aufgeschlossenen Geistern aller Parteifamilien. Nicht nur Linksradikale, auch Sozialdemokraten und sogar Konservative sollen mittun. Bürgermeister sollen auch dabei sein, wie etwa die charismatische Ada Colau, die neue linke Stadtobere in Barcelona. Frankreichs Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg ist fix mit von der Partie. „Jede Erfolgsgeschichte wirkt unrealistisch bevor sie Wirklichkeit wird“, sagt Yanis.

Robert Misik: Was Linke denken. Ideen von Marx über Gramsci zu Adorno, Habermas und Foucault. Picus Verlag, 14.90 €
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Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass es Yanis mehr um seine Rolle im Rampenlicht als um die Sache gehen könnte. Bin ich schon angesteckt vom Dirty Campaigning, das Schäubles Embedded Journalists perfektioniert haben? Ich halte es für möglich und fühle mich nicht gut bei dem Gedanken.

Yanis liefert in diesen 18 Stunden jedenfalls kaum Munition für das „selbstverliebter Showman“-Narrativ. Klar, er spuckt ein paar große Töne. Aber was kann denn er für die Horden junger Leute, die ihn belagern, als wäre er Mick Jagger? Soll er sie wegrempeln? Über Wolfgang Schäuble spricht er in freundlichen Tönen. Auch über seinen Buddy und langjährigen Freund Alexis Tsipras, der ihn zum Finanzminister machte, bis die Partnerschaft an Meinungsverschiedenheiten zerbracht, redet er offiziell nur in den freundlichsten Worten. Und wenn’s inoffiziell wird, redet er auch nicht böse, sondern eher traurig. „Diese Verhandlungsmonate mit den Gläubigerstaaten waren eine dramatische Periode“, sagt er im offiziellen Teil. „Alexis und ich waren uns sehr nahe. Es war ein kameradschaftlicher Spirit. Ich werde nie ein negatives Wort über ihn sagen. Ich möchte jedenfalls nicht in die übliche Falle der Linken tappen, dass wir uns gegenseitig denunzieren.“

Aber natürlich arbeitet all das in Varoufakis: Dass er als Gescheiterter dasteht. Vielleicht auch, dass er nicht mehr in der ersten Reihe der Politik steht, dass er wieder auf die Rolle zurückgeworfen ist, für die Intellektuelle üblicherweise vorgesehen sind – für die des Kepplers von der Seitenoutlinie. Und der Bruch der Freundschaft mit Tsipras.

Natürlich lässt er keinen Zweifel daran, dass er recht und Tsipras unrecht hatte. Dass er der harte Hund ist, der nicht in die Knie gegangen wäre – wohingegen Tsipras eingeknickt ist. Er kann das sehr plausibel erklären. Und doch denke ich mir: Sowas sagt sich leicht. Yanis ist mein Freund. Aber deswegen halte ich Tsipras noch lange nicht für einen schwächlichen Kapitulanten.

Voranzeige: Im Januar 2016 erscheint mein Buch "Kaputtalismus - Wird der Kapitalismus sterben, und wenn ja, würde uns das glücklich machen?" im Aufbau-Verlag.
Voranzeige: Im Januar 2016 erscheint mein Buch „Kaputtalismus – Wird der Kapitalismus sterben, und wenn ja, würde uns das glücklich machen?“ im Aufbau-Verlag.

„Du redest von Kapitulation“, sage ich. „Aber ist das denn wirklich eine Kapitulation, wenn eine linke Regierung nicht in fünf Monaten den Kampf in Europa gewinnt? Anzunehmen, das ginge ohne Rückschläge, ist doch kindisch!“ – „Klar“, antwortet er. „Aber wir sollten auch keinen Quatsch daherreden. Wir hätten es besser machen können. Die Welt ist nicht nur binär: ‚Ganz scheitern oder ganz gewinnen‘ – Es gibt Abstufungen dazuwischen.“

Und Du? Warst Du nicht zumindest mitverantwortlich, dass Syriza isoliert blieb! – Varoufakis: „Jeder der sagt, dass er keine Fehler gemacht hat, ist ein gefährlicher Idiot.“

blogwert

2 Gedanken zu „#yaniswien“

  1. Vor längerem hatte ich ein dickes Buch von André Heller in der Hand. Die Legenden unter den ganz vielen Fotos darin begannen – wenn ich richtig erinnere – immer mit „Andy Warhol [o. a.] und ich …“.
    Ich kenne, zum Beispiel, einige Warhol-Biografien. In keiner sah ich einen Text mit „André Heller und ich …“.
    Vor kurzem las ich im Falter einen Artikel mit der Überschrift „Ein Tag mit Yanis. Mein Freund, der ehemalige griechische Finanzminister, war zu Besuch in Wien und ich reiste mit ihm durch die Stadt.“
    Mit freundlichem Gruß
    Walter Stach

    1. hahaha, ja. der ironische sound des artikels dürfte ihnen verborgen geblieben sein. aber egal.
      lesen sie dafür den klappentext meines im januar erscheinenden buches. da steht dann – umgekehrt – drauf, was yanis v. so über mich zu sagen hat.

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