Was ist „radikale Ökologie“, Herr Mackinger?

Wie weit darf man im Kampf für das Gute gehen? Christof Mackinger beschreibt, was effektive Aktionsformen der „radikalen Ökologie“ sind.

Es ist so ein Novembernachmittag wie immer im Cafe Rüdigerhof in Wien. Eines der letzten Boheme-Cafes mit hohen Grindfaktor und durchgesessenen Sitzbänken. Das Cafe ist noch fast leer, es steht noch der kalte Rauch vom Vorabend im Raum. Christof Mackinger lacht, denkt lange nach, bringt Argumente, und versucht auch Argumente gegen seine eigenen Argumente vorzubringen. Ein verbohrter Radikaler sieht wahrlich anders aus. Dabei hat ihn die Republik vor ein paar Jahren für mehrere Monate in U-Haft gesteckt und mit anderen Tierrechtsaktivisten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt – und ihn damit zu so etwas wie einen Ökoterroristen stilisiert. Jetzt hat der Politikwissenschaftler, Autor und Aktivist ein kleines Büchlein herausgebracht: Radikale Ökologie. Unrast 2015

Was ist denn radikale Ökologie?

Mackinger: Nun, zunächst muss man feststellen: Es gibt niemanden, der von sich sagt, er ist „radikaler Ökologe“ und auch keine Bewegung die sich als solche definieren würde. Ich würde radikale Ökologie dennoch folgendermaßen beschreiben wollen: Einerseits beschränkt sich radikale Ökologie nicht auf Aktionsformen, die staatlich erlaubt sind, sie geht darüber hinaus. Andererseits thematisiert radikale Ökologie nicht bloß konkrete umweltschädliche Praktiken, sondern kritisiert gesellschaftliche Bedingungen, von Ungleichheit über die kapitalistische Produktionsweise generell bis hin zu den zeitgenössischen konsumistischen Lebensformen.

Die meisten Beispiele, die Sie in ihrem Buch bringen, sind schon Exempel ziemlicher Militanz und Gewalt – es beginnt mit Brandstiftung, geht weiter mit Brandbomben und dem Sprengen von Strommasten. Wie weit darf Militanz gehen?

Mackinger: Ich würde Militanz nicht mit Gewalttätigkeit gleichsetzen. Wenn ein Bagger brennt, ist das für mich nicht unbedingt Gewalttätigkeit. Das muss man übrigens dennoch nicht richtig finden – ich halte viele der von mir im Buch beschriebenen Aktionsformen keineswegs für sinnvoll oder legitim, aber Gewalt in dem Sinn sind sie nicht. Es kommt sehr auf den Kontext an.

Inwiefern?

Mackinger: Es gibt ein aktuelles Beispiel aus Brasilien, wo von der Regierung beschlossen wurde, dass im Bundesstaat Maranhão beim Amazonas keine Bäume mehr gefällt werden dürfen – einige Abholzungsfirmen machen es aber dennoch illegal. Dort gibt es mittlerweile bewaffnete Verteidigungsmilizen, und deren Aktivitäten gehen sicher schon in Richtung Gewalt, ich halte das aber für viel nachvollziehbarer…

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Nachvollziehbarer als was?

Mackinger: Als wenn jemand in den USA zum bewaffneten Kampf zur Verteidigung der Umwelt aufruft, beispielsweise.

Welche Aktionen haben Sie gesetzt? Sie sind ja auch in der Tierrechtsbewegung aktiv und Angeklagter in einem spektakulären Prozess gewesen. Sie sind über drei Monate in Untersuchungshaft gesessen.

Mackinger: Ich habe klassische Aktionen des zivilen Ungehorsams gesetzt, das übliche: Bei Pelzgeschäften auf das Vordach geklettert, wir haben uns angekettet. Im Zuge des Verfahrens sind uns Sachbeschädigung und Tierbefreiungen vorgeworfen worden. Wir sind in allen Punkten freigesprochen worden, auch im zentralen Anklagepunkt, der Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Unabhängig davon: Tierbefreiungen, etwa in Nerzfarmen, halten Sie das für richtig?

Mackinger: Ja. Wenn man einen Gegenüber hat, der hilfsbedürftig ist, bei dem man das direkte Leid sieht, also bei Menschen, bei Tieren, da ist die Notwendigkeit der Befreiung ja sehr offensichtlich. Ein anderes Beispiel: Wenn ich Flüchtlinge sehe, die aus dem Elend und dem Nichts kommen, dann ist es selbstverständlich, dass man sie ins Auto packt und über die Grenze fährt, da ist einem wahrscheinlich das Gesetz egal. Genauso wenn ich in einer Mast oder Legebatterie bin und die Hühner sehe, und ich kenne einen Bauern, der Platz für Hühner hat und sie am Ende nicht schlachtet, da ist es total legitim, zehn Hühner mit zu nehmen.

Was ist denn eigentlich der implizite Sinn von militanten Aktionen dieser Art. Tatsächlich bestimmte Dinge zu verhindern oder ein PR-Fanal zu setzen?

Mackinger: Es schwankt. Bleiben wir beim Beispiel wie etwa in Brasilien, das ich erwähnt habe. Da geht es natürlich schon um die ganz konkrete Verhinderung der Abholzung. In vielen anderen Kontexten geht es natürlich um PR – dass man zeigt, es gibt Leute, die sind bereit, sehr weit zu gehen. Nehmen wir Aktionen wie die der Sea Shepherd Conservation Society, die sehr militante Aktionen macht, etwa indem die Aktivisten Walfangschiffe mit ihren eigenen Schiffen rammen und sie funktionsuntüchtig machen. Obwohl diese Aktionen natürlich die weitere Tötung von Walen durch dieses eine Schiff für ein paar Stunden verhindern, geht es natürlich primär um das mediale Echo. Zwischen der bloßen PR-Strategie und der Verhinderungsstrategie gibt aber noch eines, oder besser, diese beiden Strategien gehen ineinander in vielen Fällen über und zwar aus einem einfachen Grund: Man treibt die Kosten für die Firmen hoch, so dass sie Praktiken irgend wann bleiben lassen. Viele Firmen leben von ihrem Image, und wenn sie für umweltzerstörende Praktiken öffentlich angeklagt werden, kann das für sie sehr teuer werden.

Gibt es nicht eine heikle Sache bei solchen Strategien? Man nötigt Firmen und damit im Endeffekt auch Menschen. In Eurem Prozess wurde Euch ja auch Mobbing von Beschäftigten der Firma Kleider Bauer vorgeworfen.

Mackinger: Ja, wie gesagt, wir wurden ja auch freigesprochen. Ich bin überhaupt nicht dafür, dass man so etwas tut. Man soll den Beschäftigten solcher Unternehmen das Leben nicht noch schwerer machen, und generell bin ich nicht dafür, Menschen persönlich zu mobben oder unter Druck zu setzen. Natürlich ist aber auch eine knifflige Frage, wenn es die Firmeneigner oder die Geschäftsführer und nicht die kleinen Angestellten betrifft, denn da stellt sich die Frage, wie nah man Menschen gehen kann, die Dinge tun, die man für falsch hält, die andererseits für diese Praktiken verantwortlich sind. Sieht man sich z.B. die nach wie vor bestehende Ölkatastrophe im nigerianischen Niger-Delta an. Dort hat der Shell-Konzern Jahrzehnte lang Öl gefördert und massiv die Umwelt verschmutzt. Laut Amnesty International kam Shell nicht mal seiner Verpflichtung nach die Reinigungsarbeiten durchzuführen. Das sind konkrete Manager, die da Entscheidungen gegen den Umweltschutz treffen, dort wurde eine ganze Region verseucht. Wie mit denen umgehen?

Wo gehobelt wird, da fliegen Späne, hätte Lenin gesagt.

Mackinger: Da gibt es für mich schon eindeutige Grenzen. Ich finde, die Utopie, die wir anstreben, soll auch bei unseren Aktionen erkennbar sein. Man kann nicht, überspitzt formuliert, für eine menschliche Gesellschaft mit unmenschlichen Mitteln kämpfen. Ich meine, um das nur an einem Beispiel zu sagen: Geplante Gewalt gegen Menschen oder Tiere – das ist eine Grenze, die niemand überschreiten soll.

Bei der Frage, wie weit man gehen kann, kann man von der Frage, worum es eigentlich geht ja nicht völlig abstrahieren. Ist Umweltethik etwas anderes als Tierethik? Schließlich geht es um leidensfähige Geschöpfe, die Angst und Liebe und Panik empfinden.

Mackinger: Einerseits kann man das nicht völlig trennen, weil durch Umweltzerstörung ja Tiere direkt betroffen sind, und sei es bloß, weil sie den Plastikmüll essen und dann daran sterben. Andererseits ist natürlich klar, dass ein Baum keine Schmerzen empfindet.

Tiere zu essen ist nicht legitim?

Mackinger: Nein, natürlich nicht. Tiere schlachten, das ist tatsächliche Gewalt.

Sie in Unfreiheit zu halten ebenfalls?

Mackinger: Ja, die Unfreiheit ist niemals artgerecht.

Aber dann verdient es jede Kreatur, befreit zu werden, und zwar mit allen zur Verfügung stehenden vernünftigen Mitteln.

Mackinger: Ja, selbstverständlich. Die Realisierung ist jedoch eine andere Frage. Erstens darf man es nicht und es würde enorme organisatorische Fragen aufwerfen. Natürlich trifft man auch Abwägungsfragen. Es war nicht lustig im Gefängnis. Darüber hinaus haben wir es mit einer riesigen Wirtschaft zu tun, die von der Tierausbeutung profitiert. Die ist über kurz oder lang erstmal abzuschaffen.

Viele Leute würden aber gerne schnell etwas bewirken. Was sollen die tun?

blogwertMackinger: Man kann keine Form des Aktivismus finden, die für alle Leute passt. Ich finde viele Formen des zivilen Ungehorsams sehr effektiv, man kann das mit wenigen Leuten gemeinsam machen. Ich persönlich lebe schon seit Jahren vegan, versuche, ökologisch zu leben. Aber das allein, über den Konsum, kann es wohl nicht sein. Es gibt viele Dinge, die gar nicht radikal sind, die man mit anderen gemeinsam machen kann, die etwas bewirken, wo man auch kapitalistische Logiken unterläuft, indem man nicht immer in Konkurrenz mit anderen agiert sondern kooperativ.

(Beitrag erschienen im zeozwei-Magazin der taz)

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