Skurriler Sieg des Rechtsstaats

Österreichs Verfassungsgerichtshof hebt die Präsidentschaftswahl auf und gibt dem Rechts-Kandidaten Norbert Hofer damit eine neue Chance. – Spiegel-Online, 1. Juli 2016

Österreich ist mal wieder für Skurrilitäten gut: Da wird die Stichwahl für die Bundespräsidentschaft vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, obwohl sich bei der Urteilsfindung klar herausgestellt hat, dass es zu keinen Manipulationen gekommen war. Zugleich wird damit das Präsidentenamt in Österreich mit dem Ende der Amtsperiode des bisherigen Amtsinhabers vakant, bis die Wiederholungswahl über die Bühne ist. Provisorisch übernimmt solange das Nationalratspräsidium die Amtsgeschäfte. Bizarre Pointe: Damit wird der rechtsradikale Kandidat und Verlierer der aufgehobenen Stichwahl, Norbert Hofer, doch noch zumindest ein klein bisschen Präsident. Als dritter Nationalratspräsident ist er gewissermaßen Ersatz-Bundespräsident und Präsidentschaftskandidat zugleich.

Für unvereinbar hält er das, nebenbei gesagt, übrigens nicht. „Die Erfahrung, die ich mitbringe“, sei doch jetzt ein Vorteil, meinte Hofer in einer ersten Reaktion. Das muss man sich erst einmal ausdenken.

Es war dann doch ein Paukenschlag, als der Verfassungsgerichtshof sein Urteil Freitag Punkt 12 Uhr verkündete, auch wenn längst jeder damit gerechnet hatte. Denn der Verfassungsgerichtshof hatte kaum eine Möglichkeit anders zu entscheiden, wie die Österreicher schon in den Tagen davor staunend zur Kenntnis nahmen: In Österreich werden Wahlen nicht nur abgehoben, wenn Manipulation stattgefunden hat. Sondern die hohen Standards, die die Verfassungsrichter in früheren Judikaturen eingeführt haben, lauten: Wenn erstens Detailbestimmungen der Wahlordnung missachtet wurden und wenn zweitens auch nur hochtheoretisch dadurch wahlentscheidend manipuliert werden hätte können, dann reicht das für eine Aufhebung. Wenn also in einer Wahlbehörde die ehrenamtlichen Beisitzer aus Parteien den beamteten Leiter der Wahlbehörde ermächtigen, Montags Briefwahl-Stimmen in ihrer Abwesenheit auszuzählen, ist das schon illegal und reicht dann für eine Aufhebung, wenn das Ergebnis beeinflussbar gewesen wäre, und sei es bloß in der fiktiven Weise, indem der Beamte alle Stimmen zu 100 Prozent fälscht. Zwar gab es in keinen solchen Wahlkreis einen 100-Prozent-Wahlsieg des Grünen Kandidaten Alexander van der Bellen, sondern beinahe überall einen Sieg des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer, aber solche lebensnahe Fakten spielen bei Theorie-Entscheidungen natürlich keine Rolle.

„Ich werde mich selbstverständlich dieser Stichwahl stellen, und ich beabsichtige, sie ein zweites Mal zu gewinnen“, sagte der bis heute Mittag noch designierte Bundespräsident Alexander van der Bellen.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ist ein skurriler Triumph des Rechtsstaats: In Österreich werden Wahlen sogar dann wiederholt, wenn nachweislich nicht manipuliert wurde. Es reicht schon, wenn in ein paar abgelegenen Gemeinden die freiwilligen Helfer schlampen.

Und gerade deshalb ist die Aufhebung gut und richtig.

Denn die FPÖ sah die Wahlanfechtung vor allem als Gelegenheit, die Institutionen der Demokratie zu beschädigen und das Vertrauen in sie zu untergraben. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ist ein Schlag ins Gesicht dieser Bemühungen, weil sie klar macht, wie hoch die Richter die Standards anlegen – und dass man sogar dann eine Wahlaufhebung durchsetzen kann, wenn nur im formaljuridischen Detailbereich geschluddert wurde.

Darüber hinaus ist die Entscheidung halb gut, halb schlecht.

Schlecht ist natürlich, dass die Verfassungsrichter diese offenkundige Absicht der radikalen Rechten, das Vertrauen in die Demokratie zu untergraben, überhaupt nicht adressierten. Die Verfassungsrichter einer demokratischen Republik hätten aber schon auch die Aufgabe, nicht nur formaljuridsch zu argumentieren, sondern die ostentativen Diskreditierungsabsichten der autoritären Rechten zumindest zu erwähnen.

Zugleich ist aber auch klar, dass die FPÖ als schlechter Verlierer juridische Schlupflöcher wählte, um sich eine zweite Chance zu erschleichen. Das könnte noch ins Auge gehen und sich als wahrer Pyrrhus-Sieg erweisen.

Es waren ja übrigens auch und insbesondere die Wahlbeisitzer der FPÖ, die ihre Kontrollrechte (und -pflichten!) nicht wahrgenommen haben, dann in Protokollen die Korrektheit aller Abläufe unterschrieben, diese Unterschriften später widerriefen, und dann eine Manipulationsmöglichkeit unterstellten, die es nie gegeben hätte, wenn sie ihren Kontrollpflichten nachgekommen wären.

Das Skurrile ist, das die Entscheidung des Verfassungsgerichts höchste Standards anlegt, aber weitgehend lebensfremd und unpraktikabel ist. Die Wahlordnung ist praktisch nicht gesetzeskonform umzusetzen. Denn wir sprechen hier ja von kleinen Bezirken im ländlichen Bereich, in denen Beisitzer in ihrer Freizeit am Sonntag im Wahllokal sitzen – die aber am Montag oder Dienstag, wenn die Briefwahlkuverts ausgezählt werden, irgendwelchen Berufen nachgehen. Die können sich aber nicht einfach entschuldigen lassen, sie dürfen auch keinen Beschluss fällen, der dem Wahlleiter das Vertrauen ausspricht – sie müssen anwesend sein. Das Ergebnis eines solchen Urteils ist natürlich leicht absehbar: Niemand wird mehr so dumm sein, ehrenamtlich als Wahlbeisitzer zu wirken.

Ein Gedanke zu „Skurriler Sieg des Rechtsstaats“

  1. Sehr geehrter Herr Misik,

    ich lade Sie herzlich ein vorbeizukommen, und wir diskutieren das VfGH-Erkenntnis aus juristischer Sicht bei einem Kaffee. Mailen Sie mir einfach.

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