„Wir schaffen das“ – zur Bedeutung eines simplen Satzes

Der rote Faden, meine Kolumne aus der taz, September 2016

Manchmal ist es ja ganz lustig, die „Bild“-Zeitung zu lesen. Nachdem SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel bei ein paar Gelegenheiten zärtlich am Merkel-Satz „Wir schaffen das“ herummäkelte („einfach nur sagen ‚Wir schaffen das‘ reicht nicht“), erfahre ich aus der „Bild“, dass Merkel den Satz gar nicht erfunden hat – Gabriel hat ihn schon eine Woche vor der Kanzlerin ausgesprochen.

Nun ist „Wir schaffen das“ ja nicht gerade die poetischeste Formulierung, sondern eigentlich ein ziemlich banaler Alltagssatz, bei dem sich schwer ein Copyright anmelden lässt. Erst der Moment, der Kontext, die Person, die ihn aussprach und die pathetische Schlagseite der Botschaft machte den Satz zu einem „geflügelten Wort“, zu einer Wendung, von einem Allerweltssatz zu einem Schlüsselsatz.

Einen Satz, zu dem sich seither alle möglichen Leute zu positionieren versuchen.

Der SPD-Vizekanzler, der ihn natürlich nicht wirklich kritisieren will, sich aber irgendwie von der Kanzlerin absetzen muss, um nicht als ununterscheidbarer Juniorpartner dazustehen.

Die Rechtsradikalen, für die in dem Satz alles drinsteckt, was sie verabscheuen und die deshalb trommeln: „Wir schaffen das nicht und wir wollen das auch überhaupt nicht schaffen.“

Der österreichische Verteidigungsminister, der gerade mit zwei Interviews für Aufregung sorgte, in denen er meinte, „Wir schaffen das“ wäre ein Fehler gewesen, weil er in jedem Flüchtlingslager in Jordanien aufmerksam registriert worden wäre und die Elenden nur deshalb ihre Sachen gepackt hätten, weil Merkel sie gewissermaßen eingeladen…naja, sie können sich vorstellen, wie die gezielte Provokation weiter ging. Wofür sich der Verteidigungsminister auch gleich einen Rüffel von seinem Parteifreund, den Kanzler holte.

Wir schaffen das – das ist, als Allerweltssatz gesprochen, nichts als eine Sachaussage, von der Art: „Schaffst Du es heute um 9 bei mir zu ein? – Ja, das schaff ich.“

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Der Pathos der Nüchternheit des Merkel-Satzes liegt in seinem Optimismus. Er kontrastiert…

…mit Politikeraussagen, die natürlich so nie gesprochen werden, aber sehr oft als Subtexte transportiert werden: „Wir schaffen das nie“, oder, „ich schaff gar nichts“. Seien wir uns ehrlich: Eines der Grundprobleme unserer Politik ist, dass sie uns suggeriert, dass es aus diesen oder jenen Gründen völlig unmöglich ist, irgend etwas Substantielles weiter zu bringen, dass es völlig undenkbar ist, dass wir als Gemeinschaft irgendetwas leisten, worauf wir stolz sein können, dass wir mehr zuwege bringen können, als irgendein Herumgewurstle. Als Kontrast dazu hatte der Merkel-Satz beinahe etwas Befreiendes.

Das erinnert mich an den Slavoj-Zizek-Satz über den Exzess des Möglichen und des Unmöglichen in unserer zeitgenössischen kapitalistischen Gesellschaft. „Auf der einen Seite scheint das Unmögliche stets möglich. Was unsere persönlichen Freiheiten und die neuen Technologien betrifft, heißt es immer ’nichts ist unmöglich‘.“ Sex in allen denkbaren Varianten und Stellungen, Zugang zu allen Filmen und Musikstücken, Manipulation des Genoms, völlige Grenzenlosigkeit der Auswahl zwischen schier undenkbaren Alternativen. „Auf der anderen Seite heißt es, und zwar vor allem, wenn es unsere ökonomischen Verhältnisse angeht, dass man ‚die Realität‘ akzeptieren müsse“, und dass selbst kleinste Änderungen an der neoliberalen kapitalistischen Ordnung völlig undenkbar seien.

Wir leben also in einer Gesellschaft, die sich als radikale Multioptionengesellschaft sieht, in der es eine schier endlose Auswahl des Möglichen gibt, in der uns aber zugleich dauernd suggeriert wird, dass eigentlich gar nichts möglich ist.

Eine Art Kurzschluss des Wirklichkeits- und des Möglichkeitssinns. „Wenn man gut durch geöffnete Türen kommen will, muss man die Tatsache achten, dass sie einen festen Rahmen haben: dieser Grundsatz, nach dem der alte Professor immer gelebt hatte, ist einfach eine Forderung des Wirklichkeitssinns. Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, dass er seine Daseinsberechtigung hat, dann muss es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann“, heißt es in einer längst kanonischen Passage von Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“.

Wir haben gelegentlich zu viel Wirklichkeitssinn und zu wenig Möglichkeitssinn.

Merkels Satz schöpfte seine Wucht daraus, dass er auf der Klaviatur des Möglichkeitssinns spielte, oder, wenn man so will, diesen zum Klingen brachte.

Wir bräuchten mehr Möglichkeitssinn. Wir schaffen das.

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