Wie der Wahlkampf aus dem Ruder geriet

Kern vs. Kurz vs. Strache. Mein taz-Report, drei Tage vor den österreichischen Nationalratswahlen.

Die jungen Fans in den türkisen Jacken mit den türkisen Luftballons jubeln und klatschen. „Es ist Zeit“, steht in großen schwarzen Lettern auf dem türkisen Autobus, der sich langsam mit eingeschalteter Alarmblinkanlage heranschiebt. Das sieht ein bisschen so aus, als würde der Bus den Leuten zuzwinkern. Dann hält das Monstrum an. Die Tür geht auf. Und Sebastian Kurz springt heraus. Mit dieser einstudierten Energetik, wie sie erfolgreichen Wahlkämpfern eigen ist. Mit diesem Lächeln. Mit diesem Blick, der jedem den Eindruck geben soll, dass ihm in diesem Moment die volle Aufmerksamkeit gehört. Mit dieser Professionalität, die zugleich die totale Glätte ist. Der Kandidat schiebt sich über den roten Teppich, den der TV-Sender Puls 4 extra ausgerollt hat. Menschengewusle. Stolpernde Kameramänner. Fotografen, die ihre Fotoapparate hochhalten. Aber natürlich ist die gesamte Szenerie eine einzige, große Bildproduktion. Hier kommt der Neue. Hier kommt der Junge. Hier kommt der Winner. Das ist die Botschaft, die diese Bilder schicken sollen.

Es ist Sonntag dieser Woche und es ist einer der Höhepunkte des österreichischen Nationalratswahlkampfes. Sebastian Kurz, der neue Obmann der ÖVP, trifft im TV-Duell auf den Kanzler und Amtsinhaber Christian Kern, den Sozialdemokraten. Und danach auf Heinz-Christian Strache von der Rechtsaußenpartei FPÖ. Der Startschuss zur letzten Wahlkampfwoche.

Nichts Unübliches also. Die Inszenierungen, das Schlagabtauschen im Fernsehen vor laufenden Kameras. Wahlkampfroutine.

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Aber doch ist nichts normal in diesem irren Wahlkampf, der sich dieser Tage in Österreich entfaltet.

Rückblende, Ende August. Illmitz im Südburgenland. Wohin immer Christian Kern kommt, erwarten ihn Menschentrauben. In der Pusztascheune stapeln sich 500 Gäste, die zum örtlichen Wahlkampfevent der „Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter“ gekommen sind. Hier ist nicht die Großstadtsozialdemokratie zu Hause, sondern die Sozis aus der Provinz, da, wo jeder jeden kennt und es noch ein wenig wie von gestern wirkt. Der Kanzler kommt nur schrittweise weiter. Fast jeder will ein Selfie mit dem SPÖ-Vorsitzenden. Kern erzählt vom „österreichischen Traum“, dem Traum, dass es jeder schaffen kann, in welche Umstände oder Familien er hinein geboren ist. Dem Traum vom sozialen Aufstieg, an den die Menschen den Glauben verloren haben in der neoliberalen Wettbewerbsgesellschaft, die nur dazu führt, dass die Reichen reicher werden. Kern erzählt seine Geschichte, die Geschichte vom Arbeiterbuben aus dem Proletarierbezirk Simmering, der es bis aufs Gymnasium, zum Abitur, auf die Universität geschafft hat und der später dann CEO der Bundesbahn geworden ist. Er erzählt das mit einfachen Worten, und die Gewerkschafter hören ihm lange und aufmerksam zu. Es ist eher eine stille Rede, unterbrochen von ein paar Punchlines. Kern hat die Leute auf seiner Seite.

15 Monate ist es jetzt her, dass Kern aus seiner Vorstandsetage ins Bundeskanzleramt gewechselt ist. Es war eine Art Putsch in der Sozialdemokratie, der ihn an die Regierungsspitze brachte und er startete als charismatischer Erneuerer, der sagte, dass die alte graue Tante SPÖ wieder zu einer „Veränderungspartei“ werden müsse. Er kombinierte die juvenile Weltläufigkeit eines Justin Trudeau mit der Klassenkampfrhetorik eines Bernie Sanders und dem Gestus des jungen Wilden eines Alexis Tsipras. Kern war ein Hoffnungsträger, aber mehr noch, einer, dem die Herzen zuflogen. Endlich einer, der so spricht, dass man sich nicht intellektuell und moralisch unterfordert vorkommen muss. Nicht wenige Leute hatten fast Tränen in den Augen bei seiner Antrittsrede. Gänsehautmomente waren das.

Doch jetzt, eineinhalb Jahre später, ist Kerns Kampagne entgleist.

Bis vor einigen Wochen schleppte sich der Wahlkampf dahin. Nachdem Kern die Sozialdemokratie übernommen hatte, beschleunigte Sebastian Kurz, der 31jährige Außenminister und ÖVP-Jungstar, seine innerparteiliche Netzwerkerei, um den bisherigen Vizekanzler Reinhold Mitterlehner von der Parteispitze zu verdrängen. Im Mai dann warf Mitterlehner entnervt und verärgert hin. Kurz musste jetzt an die Spitze, positionierte sich als Erneuerer und als „der Junge, der für Veränderung steht“. Dem Zufall war nichts überlassen. Mittlerweile ist die gesamte Kampagnenkonzeption der ÖVP über Leaks an die Medien gespielt worden, dicke Planungspapiere mit Titeln wie „Projekt BPO“ (Projekt Übernahme der Parteiobmannschaft) und „Projekt Ballhausplatz“ (also Projekt Wahlsieg und Kanzlerschaft), inklusive genau festgelegtem Fahrplan „(„Einteilung ‚Das erste Monat‘) und der Grundbotschaft „so geht’s nicht weiter, das System ist am Ende“.

Ein Kanzlerduell bahnte sich an: Kurz gegen Kern, und Heinz-Christian Strache, der Anführer der Rechtspopulisten, schien das Nachsehen zu haben. Er, der den schwarz-roten Filz und die Große Koalition immer anprangerte, hatte plötzlich mit zwei Spitzenfiguren aus SPÖ und ÖVP zu tun, die frischer und energetischer aussahen als er selbst und auch noch im besonderen mit einem Rivalen Kurz, der sich zum Fürsprecher der Anti-Ausländer-Ressentiments und Anti-Flüchtlingsstimmung machte. Jedes denkbare Problem wurde von Kurz mit Migration verbunden, von Pensionen, über Steuern bis zur Einkommensverteilung. Die FPÖ hatte plötzlich keine Botschaft mehr – denn ihre Botschaft hatte ihr die ÖVP einfach geklaut.

Doch dann geriet der gesamte Wahlkampf aus dem Ruder, alles außer Kontrolle.

Die SPÖ hatte schon im Oktober den israelischen Spin-Doctor-Guru Tal Silberstein engagiert, der mehr und mehr die Kontrolle über die Botschaften der Partei übernahm. Das brachte allein Kern schon ein wenig außer Tritt, weil er, der so authentisch begonnen hatte, plötzlich immer wieder anders sprach, als man das von ihm erwartet hatte, aber ganz generell seine Lockerheit verlor. Schon damit hat Silberstein den eigenen Kandidaten unterminiert.

Aber dann zerstörte er ihm die Kampagne.

Mitte August wurde Silberstein in Israel verhaftet. Der Consulter ist an vielen Firmennetzwerken beteiligt, Fäden verbinden ihn auch mit dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und mit verschiedenen global agierenden Tycoons. Mal geht es um Immobilien, dann um Glückspiel, oder auch um Schürfrechte für Eisen und Gold in Afrika oder Rumänien. Die Inhaftierung brachte ihn ein undurchsichtiges Geschäft mit seinem Buddie, dem Milliardär Beny Steinmetz in Guinea ein. Es gibt den Verdacht von Schmiergeldzahlungen, im konkreten Fall der Bestechung des Präsidenten durch Steinmetz, wobei die genauen Vorwürfe der israelischen Behörden noch unklar sind.

Als die Bilder vom unrasierten, übernachtigen Silberstein im Polizeigewahrsam über die Agenturen liefen, trennte sich die SPÖ überstürzt von ihren Kampagnenguru.

Kerns Führungsteam, ohnehin schon vorher nicht straff geführt, wankte. Ein Wahlkampf from Hell, schien es. Aber dabei war all das nur die Vorhölle.

Bald nach Silbersteins Verhaftung begannen Daten, E-Mails, wichtige Teile der Kommunikation von Parteiführung und Kanzleramt tröpfenweise in den Medien zu kursieren. Peinliche E-Mails, verstörende Zeilen, das gesamte Wahlkampfkonzept, das Silberstein entworfen hat, dazu Videos, die produziert wurden, oder nur Drehbücher für nie produzierte Videos (die derart peinlich sind, dass sie mit vollem Recht nie produziert wurden). Dazu Dossiers, die Stärke und Schwächen von Kanzler und Sozialdemokratie analysieren und kein gutes Haar an den eigenen Leuten lassen („Nicht kampagnenfähig“, Kanzler „eitel“, „eine Prinzessin“, „Glaskinn“).

Der allgemeine Eindruck, der sich entfaltete: Rund um Kern sind nur Gehirnamputierte am Werken.

Und dann die Bombe: Silberstein hatte nicht nur offiziell ein eigenes Team aufgebaut, das wesentlich aus Politsöldnern bestand, die bizarrerweise auch schon für die Konservativen und die liberalen Neos gearbeitet haben, sondern auch noch eine kleine Schattenarmee für Dirty Campaigning. Dieses Team hatte zwar – nach bisherigem Informationsstand – nicht viel mehr gemacht als zwei schmutzige, dilettantische Facebook-Seiten zu betreiben, die Sebastian Kurz schlecht machen sollten und kaum jemanden wirklich aufgefallen waren, aber der Schaden für die sozialdemokratische Kampagne war grandios. Zumal die Betreiber der Seiten auch nicht vor antisemitischen Postings gegen George Soros als angeblichem Kurz-Verbündeten und ausländerfeindlichen Sujets zurückschreckten.

Der Bundesgeschäftsführer der Partei trat binnen Stunden zurück, weil zumindest ein Mitglied seines Teams von den Schmutzkampagnen wusste.

Täglich gingen neue Informationen und geheime Informationen an die Presse.

Der Skandal erschütterte zwar die Sozialdemokraten, brachte aber auch die konservative Kampagne ins Trudeln. Es ist mittlerweile ziemlich eindeutig, dass eine oder mehrere Personen aus Silbersteins Team spätestens nach der Verhaftung ihres Chefs die Daten weiter gegeben haben und es ist naheliegend, dass das nicht aus reinem Altruismus geschah. Und noch naheliegender ist, dass es jetzt nicht eine junge Übersetzerin ist, die die Konvolute in schöne Häppchen geteilt an die Medien spielt.

Naheliegender ist schon, dass das zumindest ein wenig mit Zutun der Konkurrenz geschieht, die sich daraus jetzt Vorteile erhofft. In den Wiener Politikinsiderzirkeln sprießen die Gerüchte: Geld könnte geflossen sein. Es ist nicht einmal undenkbar, dass die ÖVP direkt die sozialdemokratische Kampagne infiltriert hat – schon vor Silbersteins Verhaftung.

Dafür gibt es freilich nicht die Spur eines Beweises. Aber dass ein hoher ÖVP-Funktionär die Kanzler-Familie ausspähte und sogar einen ehemaligen Berufssoldaten engagierte, der die Kanzlergattin beschattete, ist mittlerweile aufgeflogen.

Das Wählerpublikum ist spätestens an dieser Stelle vollends irritiert und neigt der Auffassung zu, dass hier beide Seiten mit schmutzigen Tricks arbeiten. In jedem Fall ist die Wahlkampagne für beide Seiten entgleist und es wird nur mehr mit Dreck geworfen – respektive mit dem Finger auf den jeweils anderen gezeigt.

Und beide Parteien fühlen sich irgendwie als Opfer – und meinen das sogar ernst. Der junge ÖPV-Chef sieht sich als Opfer eines von der SPÖ betriebenen Dirty Campaigning – was er gewiss ist, nur ist er eben in Sachen Kaltblütigkeit auch kein Kind von Traurigkeit. Die SPÖ wiederum findet, dass sie zwar schäbige Facebookseiten zu verantworten, aber doch am Ende den größten Schaden hat – vor allem aber sei die skrupellose Verteilung der Mailkommunikation der Partei doch die eigentliche kriminelle Machenschaft in diesem Wahlkampf.

Sonntag Abend, im Puls 4 Studio. Kern und Kurz, Kanzler und Herausforderer, stehen sich gegenüber und giften sich an. Die wechselseitige Abneigung kann keiner von beiden verbergen. Im Grunde scheint nur mehr eines die beiden bisherigen Regierungspartner zu verbinden: blanker Hass. Fünf Stockwerke über den zwei Kontrahenten steht Heinz-Christian Strache auf dem Flur und bereitet sich auf seinen Auftritt vor. Seine FPÖ hat ein kleines Raucherkammerl unter dem Dach zugewiesen bekommen. Strache ist aufgeräumt und zufrieden und lässt sich von den Technikern willig verkabeln. „Ja, kommens, bei uns können Sie rauchen“, lacht Strache und verschwindet im Aufzug.

Plötzlich ist der Frontmann der Freiheitlichen wieder zurück im Spiel. Er positioniert sich in dem ganzen Irrsinn als „Mann mit Erfahrung“, als „ruhige Kraft“, verbietet sich alle Poltereien. Der junge Wilde, der aufräumt – diese Maskerade lässt Strache in diesem Wahlkampf in der Garderobe. „Die Masche, dass der Faschismus ausbricht, wenn wir regieren, die funktioniert nicht mehr“, sagt Ursula Stenzel, eine ehemalige TV-Kommentatorin, die lange für die ÖVP Politik machte und dann als bürgerliches Aushängeschild zur FPÖ wechselte. Natürlich ist das Show. Straches Partei ist immer noch die Partei, die Hass schürt und mit Lügen und Fake-News arbeitet, und auch Strache selbst lässt es bei Wahlkundgebungen noch immer krachen. Aber im Lichtkegeln, in den TV-Studios, da versucht er den Staatmann zu geben.

„Kurz ist sehr intelligent. Er positioniert sich ähnlich wie Jörg Haider, nur ohne Hetze. Aber er hat auch aus den Fehlern früherer ÖVP-Politiker gelernt. Er versucht die Fehler zu vermeiden, er will nicht als hartherziger Neoliberaler erscheinen“, erzählt Daniel Kapp, PR-Berater und Sprecher von Kurz‘ Vor-Vorgänger. Kapp gilt allgemein als gerissener Medienmann im Umfeld von Kurz.

Kern wiederum muss sich in diesen letzten Wahlkampftagen als derjenige darstellen, der trotz des katastrophalen Wahlkampfes seiner Partei einfach am besten zum Kanzler taugt, mit seiner Wirtschaftskompetenz punkten und mit Seriosität. Und irgendwie als der letzte Redliche in einem Dreckswahlkampf dastehen.

Vier Tage vor der Wahl hängt über der Szenerie in Wien Nervosität, ja Hysterie. Es ist eine Atmosphäre des Kontrollverlustes. Keiner weiß, wie die Wahlen ausgehen werden. Kurz liegt seit Monaten stabil in Führung, gefolgt von Kern und Strache, aber keiner weiß wirklich, wie verlässlich diese Umfragen sind und wie die Wähler auf die Schlammschlachten der vergangenen Wochen reagieren werden. Im Grunde kann jede der drei großen Parteien – ÖVP, SPÖ und FPÖ – noch den ersten Platz erringen, genauso gut aber kann die SPÖ nach ihrem Desasterwahlkampf völlig abstürzen.

Jeder hat irgendetwas im Gespür. „Ich spüre, irgendetwas ist groß in Bewegung“, sagt Stefan Petzner, der einst die rechte Hand von Jörg Haider war und sich jetzt vom Rechtspopulismus losgesagt hat. „Aber was, weiß ich auch nicht genau.“

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