Die Macht der Dummheit

Kommenden Sonntag, 19.11., spreche in Ö1 um 9:05 eine Stunde lang zum Thema „Die Macht der Dummheit“. Mehr zur Sendung gibt es hier.

Das ganze beruht auf meinem Großessay „Der Aufstand der Dummheit“, der in diesem Sommer erschienen ist. Vielleicht kann ich ja das Interesse an diesem Bändchen wecken. Daher hier ein paar Takte aus dem Buch:

… Die Tatsache, dass sich immer mehr Nachrichten über Geschehnisse in den Medien finden, die nicht geschehen wären, gäbe es keine Medien – wie der Terroranschlag vom 11. September, wie die Protestaktion meiner Aktivisten-Freundin –, haben zu einem seltsamen Verhältnis des Publikums zur medialen Wirklichkeit geführt. Man weiß, dass es keine so eindeutige Beziehung zwischen Ursache und medialer Wirkung gibt. Man weiß sogar, dass gar nicht so leicht zu definieren ist, was das eigentlich sein soll: Wirklichkeit.

Wahrheit und Erfindung oder Zwischending aus beiden: Alles geht ein in die große Soße der „medialen Wirklichkeit“. Man misstraut nicht nur der medialen Abbildung, sondern schon der Wirklichkeit, die abgebildet wird. Ein Politiker, der im Fernsehen spricht, sagt der nun, was er sagen will? Womöglich würde der doch viel lieber eine zwanzigminütige Erklärung zu makroökonomischen Aspekten der Arbeitsmarktpolitik abgeben, sitzt aber jetzt in einer Studiodiskussion, in der er in einer Minute und zwanzig Sekunden seine Meinung zur Flüchtlingspolitik vermitteln muss. Dieser Politiker weiß natürlich, dass man in 1:20 überhaupt nichts Substanzielles sagen kann, und er wird nur in vollendeter Jargonhaftigkeit ein paar Phrasen abgeben, in der Hoffnung, zumindest optisch und rhetorisch einen guten Eindruck zu machen – was ja im Fernsehen das Wichtigste ist.

Aber bildet das dann wirklich die politische Wirklichkeit ab? Oder schafft diese Art von medialer Apparatur sich die Wirklichkeit, die sie abbildet? Sehr oft ist es so: Der Politiker sagt das, was er sagt, nur deshalb, um ins Fernsehen zu kommen, und er sagt es auf die Weise, in der er es tut, nur deshalb, weil er im Fernsehen ist.

Das heißt aber: Selbst ein kluger Gedanke, so er denn zufällig noch irgendwo gefasst würde, kann oft nur mehr auf dumme Weise unter das Volk gebracht werden, wenn man das nicht wollen würde, könnte man ihn nämlich „gleich für sich behalten“ (Seeßlen). Aber das ist schon die klügere Version. In der Regel läuft es wohl eher so, dass Politiker und ihre Presseleute zusammen sitzen und sich überlegen, welche politische Position sie einnehmen könnten, um am nächsten Tag am Titelblatt der „Bild“-Zeitung oder anderer Medien zu landen. Es wird nicht der Gedanke gefasst, und dann wird überlegt, wie man ihn verbreitet, sondern umgekehrt – für den Verbreitungskanal wird die passende politische Meinung eingenommen.

All das findet, wohlgemerkt, im großen, ohrenbetäubenden Rauschen des medialen Overkills statt, in dem die verschiedensten Medien – Zeitungen, Fernsehen, Internetportale etc. – um das heute wohl knappste Gut überhaupt konkurrieren: Die Aufmerksamkeit des Publikums, das von tausenden Einflüssen abgelenkt wird, und das durch die mediale Wirklichkeit darauf getrimmt wird, alles als passiver Konsument zu konsumieren und das vor allem unterhalten werden möchte.

Information muss unterhalten, das nennt man dann Infotainment. Unterhalten kann alles, was nicht fad ist. Ein innerparteilicher Streit ist unterhaltsam, weil sich dann die Akteure zoffen und es im besten Falle auch im Fernsehstudio tun, wo es dann ordentlich Krach gibt und – wenn man Glück hat –, einer der Akteure wie in Gladiatorenkämpfen mit den Füßen voran aus dem Studio getragen wird. Wenn der Streit von, um bei dem Beispiel zu bleiben, den makroökonomischen Aspekten der Arbeitsmarktpolitik handelt, dann ist das natürlich langweilig, darüber will niemand etwas hören, aber das macht in dem Fall nichts, weil dann wird nur mehr über den Streit diskutiert, aber nicht mehr um dessen inhaltliche Ursache. Oder es wird mit sinnbefreiten Phrasen rumgeworfen, wie „unser Geld für unsere Leut“ oder „ich als Finanzminister werde auf das Geld der Steuerzahler aufpassen“.

Und wohlgemerkt: All das unter ökonomischen Bedingungen, in denen es sich kaum mehr finanzieren lässt, gut recherchierte Zeitungen zu produzieren, in denen sich Platz für lange Artikel findet, und die dann aber nur von 100.000 Menschen gelesen werden, unter ökonomischen Bedingungen also, unter denen es sehr viel lukrativer ist, Häppchenartikel mit knalligen Überschriften zu produzieren, die von vielen Leuten angeklickt werden.

Das ist die mediale Apparatur unserer Tage – und, wohlgemerkt, bisher haben wir erst über das kleine Segment der politischen Berichterstattung gesprochen. Wir sollten aber auch den stetigen Strom der Promi-Shows, der Casting-Show, die großen volksbildnerischen Figuren wie Richard Lugner oder Dieter Bohlen, die Quizshows, die von Menschen moderiert werden, denen man ansieht, dass sie eh auch nichts wissen, nicht vergessen – die allesamt ihren kleinen, aber in der Summe nicht unbedeutenden Beitrag zu dem Maßtab leisten, was in unserer Gesellschaft als bedeutend und was als unbedeutend angesehen wird. Natürlich kann man sagen, dass all das nun einmal dem Geschmack des Publikums entspricht, wie das in ihrer unschuldigen Aufgeblasenheit die Medienmanager tun, aber woher kommt eigentlich dieser Geschmack? Da es ja keineswegs so ist, dass irgendwann vor zigtausend Jahren ein Nachfahre des Neandertalers morgens in seiner Höhle aufgewacht ist und unbändige Lust auf Tittenshows im Fernsehen hatte, liegt das ja keineswegs in der menschlichen Natur, sondern ist, wie jeder Geschmack, kulturell modelliert oder, in diesem Fall, medial gemacht.

Oder andersherum: Diese Sendungen werden damit legitimiert, dass die Menschen sie eben sehen wollen – nachdem man sie dazu erzogen hatte, solchen Mist sehen zu wollen. Georg Seeßlen nennt die Blödheit daher nicht Naturzustand, sondern „industrielles Endprodukt“. Und fährt fort: „Eine kapitalistische Gesellschaft, die die Erzeugung von Bedeutung industrieller Produktion und marktwirtschaftlicher Verbreitung überlässt, handelt sich unabdingbar, und unabdingbar exponentiell gesteigert, die Produktion von Blödheit ein.“

Ein Gedanke zu „Die Macht der Dummheit“

  1. Seeßlen irrt, Blödheit plus mieser Charakter sind in der Tat Naturprodukte und nur bedingt von Erziehung generiert.
    Gleichzeitig hat er Recht, es ist das System, das einseitig auf den naturblöden Teil der Menschen setzt und „Inhalte“ vor allem für diese produziert, auch weil Müll eben am billigsten herzustellen ist.
    Daß es auch privat anders geht, hat z.B. SAT 1 (Deutschland) über lange Jahre bewiesen. Mittwochs gab es dort einen Sendeplatz mit intelligenten Unterhaltungskrimis, der konstant sehr gute Quoten erreichte, selbst bei Wiederholungen.
    Es ist immer eine Entscheidung, welchen Teil der Bevölkerung ich bedienen will, die gleichen Quoten sind mit grenzdebiler Menschenverachtung genauso zu machen wie mit Qualität.

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