Schuld, Scham, Sühne. #MeToo, eine Verwirrung

Bei den interessanten Debatten ist es oft so, dass man auch einander widersprechende Argumente für richtig und plausibel halten kann. Mit dem Hashtag #MeToo begann eine Debatte, die zu einer Kulturrevolution werden kann. Frauen lassen sich nicht nur die großen Übergriffe, sondern auch die kleinen, sogenannten Lappalien nicht mehr gefallen, die in ihrer Abfolge das Leben zum Spießrutenlauf machen. Gut so. Damit droht aber ein Exzess des Twitter-Gerichtshofs und ein moralischer Jakobinismus. Aber ohne eine Sprache des Radikalismus wird sich nie etwas ändern. Frauen haben es satt, sich als Freiwild behandeln zu lassen. Aber ist die Debatte nicht längst überspannt, wenn jede peinliche Anmache schon zur „Tat“ erklärt wird und die Frau zum „Opfer“? Ist das nicht eine völlig unpassende Selbstviktimisierung? Hier wird viel zu viel in einen Topf geworfen – lautet ein Argument. Aber genau das ist das, was Kulturbrüche auszeichnet – dass eben auch die Kleinigkeit nicht einfach mehr verniedlicht werden kann. Der Frau muss prinzipiell Glauben geschenkt werden, weil die stetige Unschuldsvermutung dazu führt, dass Frauen die Klappe halten und ihren Ärger runterschlucken, Verletzungen und Demütigungen akzeptieren. Stimmt. Aber die Unschuldsvermutung durch Gerüchtsbarkeit zu ersetzen und minimale rechtsstaatliche Prinzipien durch Moralurteile ist auch nicht der beste Weg zum Fortschritt, wird erwidert. Und auch das ist nicht gänzlich falsch.

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