„Wer seine Straße nicht verändern kann, kann auch die Welt nicht verändern.“

Labour-Politiker Andy Hull erklärt im Kreisky Forum, wie man verstaubte Parteien wieder flott bekommt.

Am vergangenen Mittwoch hatte ich einen ganz besonderen Gast in meiner Reihe im Wiener Kreisky-Forum – den Londoner Labour-Politiker Andy Hull. Andy ist Labour Councillor im Stadtteil Islington, Executive Member for Finance, Performance and Community Safety. Er hat zuvor für einen linken Think-Tank gearbeitet, zehn Jahre bei der Londoner Polizei und ist nun einer der tollsten Lokalpolitiker von Labour. Für uns war das schon deshalb äußerst interessant, ihn hier her zu holen, weil Islington jener Stadtteil ist, in dem auch Labour-Leader Jeremy Corbyn seine Basis hat.

Der Stadtteil Islington in London ist ein alter Arbeiterklassen-Wohnbezirk, eine Labour-Party Hochburg, Heimatbezirk von Jeremy Corbyn aber auch eine der ärmsten und sozial gespaltesten Regionen von ganz England. Zwischen 60 und 75 Prozent der Stimmen erreichte Labour bei den vergangenen Wahlen in den verschiedenen Distrikten des Bezirkes. Labour hat in den vergangenen Jahren einige Aufsehen erregende Aktivitäten gesetzt, um den Stadtbezirk vorwärts zu bringen.

Jeremy Corbyn und die neue Labour-Führung repräsentiert auf nationaler Ebene eine Politik „radikaler Hoffnung“, so Andy, eine neue Authentizität, die sich nicht mit den ökonomisch Mächtigen arrangiert. Auf der Londoner Ebene repräsentiert der neue Bürgermeister Sadiq Khan eine Generation moderner Metropolenbewohner, der glaubwürdig drei Dinge verkörpern konnte, die Botschaft nämlich: „Ich bin im Sozialbau aufgewachsen und kenne die Probleme da. Ich bin der Sohn eines Busfahrers, der es zu etwas gebracht hat, aber nicht vergessen hat, woher er kommt. Und ich bin Muslim, und will nicht, dass unsere Gesellschaft zerrissen wird.“ Beide Figuren stehen gewissermaßen für die Modernisierung von Labour auf nationaler und metropolitaner Ebene, aber die Neuerfindung von Labour, das Zurückgewinnen von Glaubwürdigkeit steht und fällt mit den Aktivitäten auf lokaler Ebene – in den Bezirken, mit der Erneuerung der lokalen Parteistrukturen.

„Wer seine Straße nicht verändern kann, der kann auch die Welt nicht verändern“, formulierte Andy Hull. Mit Konzepten des Community Organizing wird die Bevölkerung involviert und aktiviert, sie wird ermutigt, ihre Bedürfnisse zu formulieren und sie werden vom lokalen Stadtrat aufgenommen. Eine der spektakulärsten Aktivitäten war die Einrichtung einer Islington Fairness Commission, der Andy Hull und der Gleichheitsforscher und Gesundheitssoziologe Richard Wilkinson vorstanden. Diese Kommission erarbeitete, was das Leben in Islington ungleich und unfair macht und setzte Aktivitäten für mehr Gleichheit im Bezirk, vom Gesundheitssystem bis zum Schulwesen. Dabei geht es auch um Mikromaßnahmen, die den Zusammenhalt im Bezirk wieder stärken. Aber auch weitreichende Maßnahmen hat die Fairness Commission durchgesetzt. So wurde beschlossen, dass alle Beschäftigten des Stadtrats mindestens einen „Living Wage“ (einen Lohn, von dem man leben kann) von 10,20 Pfund pro Stunde erhalten, und dass auch jene privaten Unternehmen, die öffentliche Aufträge erhalten wollen, ihren Beschäftigten einen solchen „Living Wage“ bezahlen müssen.

All das war natürlich nicht von Beginn an eine Erfolgsstory. Die Fairness-Kommission erarbeitete die Vorschläge in großen Town-Hall-Meetings. Anfangs ging es auch da zu, wie es immer zugeht, wenn man sich einem großen Kreis der Bevölkerung stellt: Die Bürger und Bürgerinnen ließen erst einmal ihren Frust heraus, auch ihre Enttäuschung darüber, was aus Labour geworden ist, denn auch die Labour-Party wurde lange als Establishment-Partei angesehen, Vertrauen auf lokaler Ebene musste erst zurück gewonnen werden. Aber sehr schnell gingen die Beratungen der Fairnesskommission in ein positives Klima über. „Die Menschen erzählten in ihren eigenen Worten über ihre Situation, die Probleme im Bezirk, in den Vierteln, über ihre Probleme am Wohnungsmarkt, am Arbeitsmarkt, wie es ist, wenn man mit dem Geld nicht zurande kommt, wenn man zwar ein Arbeitseinkommen hat, aber das nicht einmal zu Leben reicht. Das in den Worten der normalen Leute präsentiert zu bekommen ist aufschlussreicher als jedes Expertenreferat“, sagt Hull.

Am Ende erarbeitete die Kommission 19 sehr klare, einfache Vorschläge, vom „Living Wage“ (Prinzip: „Der Lohn muss für gutes Leben reichen, nicht bloß fürs Überleben“), es ging aber auch um das Reziprozitätsprinzip, also, wen was eigentlich zusteht, es ging um ordentliche Kinderbetreuung, um Schulessen für die Kinder, und auch ein „Good Neighbour Projekt“ wurde aufgesetzt, dass sich Menschen aus ihren Straßenzügen mit ihren Nachbarn vernetzten, dass man sich kennen lernt, dass man einen Ort hat, sich zu treffen und lebendige Nachbarschaften zu entwickeln.

„Aber am Ende geht es nicht nur um die richtigen Maßnahmen, sondern um Politik – um Politics, not Policy.“ Soll heißen: Um eine klare Botschaft, eine politische Identität, nicht nur um einzelne Maßnahmen. Und die einzelnen Maßnahmen summieren sich nicht automatisch zu einer politischen Identität. Eine klare Kommunikation, „dass es das Ziel ist, unseren Bezirk zu einem besseren Ort zu machen“

2 Gedanken zu „„Wer seine Straße nicht verändern kann, kann auch die Welt nicht verändern.““

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.