Antidemokratie. Und woher sie kommt.

Der Rote Faden, meine Kolumne in der taz vom März 18

Forscher vom Berliner „Progressiven Zentrum“ haben unlängst eine Studie veröffentlich, die für einiges Aufsehen gesorgt hat. Sie haben an 5000 Wohnungstüren geklopft, und zwar vor allem in jenen Vierteln, in denen der Verdruss an der etablierten Politik besonders hoch und der Anteil von AfD-Wählern entsprechend ist. 500 Leute konnten sie in längere Gespräche verwickeln. Nicht wenige waren sogar froh, einmal so richtig reden zu können – denn so oft kommt es ja nicht vor, dass sich jemand für sie interessiert. Und die Ergebnisse der Studie sind beredt.

Das Resumee der Forscher, kurz zusammen gefasst: Auch wenn in den öffentlichen Metadiskursen Themen wie „Migration“, „Ausländer“, „der Islam“ überwiegen, sind diese Thematiken den Leuten letztendlich eher unwichtig. Was sie beklagen ist der Verlust an sozialen Netzwerken in ihrer Lebenswelt, dass sich die Politik aus den Vierteln zurück gezogen hat, dass sie das Gefühl haben, dass sich niemand mehr für sie interessiert. „Viele Befragte glauben, dass sozial und geographisch Gesellschaftsräume entstanden sind, aus denen sich die Politik zurückgezogen hat“, heißt es in der Studie: „Esn herrscht ein Gefühl des Verlassenseins.“

Die Metathematiken zahlen allenfalls in diese Deutung ein, etwa seit der Flüchtlingskrise vor drei Jahren, und zwar in Form folgender Assoziationskette: ‚Während sich für uns überhaupt niemand interessiert, wird Migrantinnen und Migranten sofort geholfen.‘ Aber sobald man ein wenig an der Oberfläche kratzt, wird klar: Nicht, dass Migranten geholfen wird, regt die Leute primär auf, sondern dass sie das Gefühl haben, dass ihnen nicht einmal jemand zuhört. Dass sich für sie niemand interessiert. Dass da niemand ist, der in der Nähe wäre, erreichbar wäre.

Das ist der Kern einer politisch-emotionalen Konstellation, die letztlich in aggressive Wut auf jede Form demokratischer oder sagen wir: gewohnter Politik umschlägt.

Etwas anderes kommt dann auch noch hinzu, das man erst einmal auch vollends verstehen muss: Das Gefühl, dass Politik doch überhaupt nichts mehr tun kann. Insofern führen die Debatten über Re-Nationalisierung von Politik oder Internationalisierung auch völlig in die Irre. Meine These ist: Viele Bürger und Bürgerinnen haben einerseits den Eindruck, dass die national verfasste Politik kaum mehr etwas ausrichten kann, weil die Politiker Spielball internationaler Kräfte sind, die sie nicht mehr beherrschen können – aber aus dem gleichen Grund halten sie linke Blütenträume von einer supranationalen Einhegung des Turbokapitalismus für mindestens genauso illusionär. Überspitzt gesagt: Auf nationaler Ebene wird das nicht mehr gelingen – wegen der Globalisierung. Und auf internationaler Ebene wird es auch nicht gelingen – wegen der Globalisierung. Man traut der Politik nichts mehr zu. Und ehrlich gesagt: Ja auch nicht völlig zu unrecht.

Es ist auch dieser Vertrauensverlust, der zu jenem „Zerfall der Demokratie“ führt, wie ihn der polnisch-deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk in seinem gleichnamigen Buch analysiert. Denn wenn der Politik in den liberalen Demokratien nichts mehr zugetraut wird, dann gebiert das Ungeheuer.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Studie der „Bertelsmann-Stiftung“, die vergangene Woche veröffentlicht wurde. Immer mehr Länder, von Polen bis in die Türkei, geraten ins autokratische Fahrwasser, während die Demokratien selbst unter Druck kommen.

Nicht, dass aus den Bürgern und Bürgerinnen über Nacht Antidemokraten würden. Im Gegenteil. Es sind ja gerade die rechten Populisten, die, statt wie ihre Nazi-Vorgänger, antidemokratische Parolen zu schwingen – eine wahre Demokratie versprechen, nämlich die, die dem „einfachen Volk“ endlich wieder eine Stimme zurück gibt. Aber zunächst wird dann einmal alles angegriffen, was diesem ominösen Mehrheitswillen entgegensteht, von Minderheitenrechten bis öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, die angeblich das Volk „umerziehen“ wollen. Danach kommt das institutionelle Netzwerk von Checks & Balances an die Reihe, das dem Durchregieren entsprechend des Volkeswillen entgegensteht, von den Verfassungsgerichten abwärts. All das wird dann auch noch flankiert durch eine Rhetorik, die die Verteidiger des liberalen Rechtsstaates zu Feinden des Volkes erklärt, was in Summe zu einer aggressiv-gereizten Aufheizung der öffentlichen Rede und Gegenrede führt. So wird Schritt für Schritt aus einer Konstellation, die noch innerhalb des Rahmens der liberal-demokratischen Ordnung heranwelkt, ein Setting, das genau diese Ordnung zerstört. Oder: Aus Menschen, die nicht unbedingt Antidemokraten sein müssen, werden dann Totengräber der Demokratie.

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