Wir haben uns einen Zaun gebaut

…und jetzt sind wir eingezäunt, Gefangene der eigenen Angstdiskurse

Beim Grazer Galerierundgang habe ich im „Rotor“ diese Rede gehalten: 

Weihnachten steht vor der Tür und das ist ja die erbauliche Zeit und überall werden er-bauliche Maßnahmen gesetzt, er-bauliche Maßnahmen. Überall werden Zäune hochgezogen. Und ganz unweihnachtlich ohne 24 Türln in den Zäunen. Reale Zäune wie der zwischen Ungarn und Serbien etwa, metaphorische Zäune. Länder schotten sich ab, zäunen sich ein, damit niemand rein kommt. Damit die Welt draußen bleibt aus der Idylle, der umzäunten. Der Restidylle, des umzäunten Territoriums.

Es müssen, in solch einer diskursiven Ordnung, natürlich gar keine realen Zäune gebaut werden, es wird ein Grenzregime etabliert, das kommunikativ ist und real zugleich, eine Wagenburgmentalität, die gar keine Wagenburg mehr braucht. Auch das Gerede über die Zäune schafft Realitätseffekte. Wirklichkeit ist Kommunikation, weshalb die Kommunikation eben umgekehrt auch Wirklichkeitseffekte hat.

Er —- ER – Sie wissen von wem ich rede. Der mit dem gewissen NICHTS. ER hat uns den Weg ins draußen geschlossen.

Die Zaunmentalität ist die Mentalität der Ängstlichen, die vor allem Angst haben, vor der Welt da draußen, vor Veränderung, vor den Menschen, vor den Nachbarn, vor allem. Der Zaun ist ja seit jeher die Metapher gewissermaßen dafür, für Enge, an deren Beginn immer die geistige Enge steht. Kein Wunder ist es, dass die Gartenzwerge in der Regel innerhalb von Zäunen rumstehen, so lieb, so schrecklich, so schrecklich lieb, so lieb schrecklich.

Der Zaun hat ja diesen schönen Doppeleffekt, der darin besteht, dass der, der einen Zaun baut, um andere draußen zu halten, als primären Effekt ja einmal sich selbst einzäunt. Der Zaun ist gegen andere gerichtet, aber seine eigentliche Folge richtet sich gegen den, der den Zaun baut, da dieser sich zunächst einmal und primär einzäunt.

Die Geschichte des Zaunes ist keine Freiheitsgeschichte, sie ist quasi ihr Gegenteil. Beginnend damit, dass, was einst für die Allgemeinheit zugänglich war, indem es eingezäunt wird, privater Besitznahme anheimfällt. Landnahme. Raumverdrängung.

Das ist der Beginn des Zauns in der Geschichte, die Gier und die Privatisierung, die Markierung als Privatbesitz, was vorher kein Privatbesitz war. Raumverdrängung, Anhäufung, der Erwerb der Zehntwohnung in der Innenstadt, die dann eingezäunt werden muss. Gated Community.
Bis hin dann zur immer kleineren Parzellierung, der Selbstparzellierung des Schrebergärtners, der sich einzäunt und einmauert. Der, der Zäune baut, beschädigt sich immer zunächst und vor allem selbst.

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Die Feinde der Freiheit sind immer die Freunde der Zäune, und Freiheitsrevolten sind immer auch Revolten gegen Zäune. Die Bilder fallender Zäune sind immer die Bilder vom Sieg der Freiheit.

Und umgekehrt: Die Bilder vom Sieg der Freiheit sind immer die Bilder vom Fall der Zäune.

Die Grenze als Zaun gedacht, als Markierung geschlossener Systeme. Völlig offene Systeme wären nicht lebensfähig, ganz geschlossene sind es auch nicht. Geschlossene Systeme etablieren Ausschließungen nach außen, aber auch Einschließungen, Herrschaftssysteme nach Innen. Man denke nicht nur an den Staat mit seinen Grenzen, sondern die Disziplinarregime, um das mit Monsieur Foucault zu sagen, das Gefängnis, die Psychiatrie, die Schule, die Fabrik, die umzäunte Fabrik etwa, mit dem Fabriktor, das erst aufging, wenn die Werksirene trötete. Und in der Spätmoderne, wo wir keine Befehle und keine Zäune mehr brauchen, die uns daran hindern, etwa den Arbeitsplatz zu verlassen, weil wir ohnehin immer arbeiten, in der die Disziplin in uns eingewandert ist, da sind es auch die Zäune, die Mauern. Also so irgendwie. Irgendetwas hindert uns, anders zu sein, als von uns erwartet wird, und dieses irgendetwas ist längst in uns drin. Wir streichen die Zäune mit Freude bunt an wie Tom Sawyer. Das Kapital ist in uns drin, wir kriegen das Kapital nicht raus.

Auch eine Art von „stählernes Gehäuse der Hörigkeit“, um ein berühmtes Wort zu paraphrasieren.

Außen und Innen. Ausschließung und Einschließung. Auch die Familie ist ein Innen, das Eigene ist ein Innen. George Lakoff, der amerikanische Linguist, hat ja in seinen Studien über „moralische Politik“ versucht zu zeigen, warum etwa konservative Praktiken, die einem Progressiven als „unmoralisch“ erscheinen, einfach einer anderen Art von moralischem Weltbild entspringen und das, eben konservativ gedacht, dann sehr wohl moralisch ist. Eine andere Moral, die sich wie ein Kippbild dann entschlüsseln lässt.

Konservative Moral sieht die Welt als gefährlichen Platz. Letztlich ist an so einem gefährlichen Platz keine Sicherheit zu erlangen, jedenfalls ist auf sie kein Verlass, denn Sicherheit ist stets bedrohte Sicherheit. Vielleicht nicht der Nächste, aber die Übernächste ist ein potentieller Feind. Solidarität und Gemeinsinn, das sind leere Worte, weil man sich nie darauf verlassen kann. Verlassen kann man sich nur auf den Nahbereich der Familie. Sie ist das Innere, die Wagenburg. Gerade auch die konservativen Familienwerte, also das Autoritäre nach Innen, die patriarchalische Macht des Vaters etwa, des Mannes, die Strenge, ja die Gewalt sogar, ist aus solcher Sicht nicht unmoralisch oder altmodisch, sondern nachgerade nötig, um die Familie kampffähig, widerstandsfähig gegen die Gefahren des Außen zu halten, also, in der Logik konservativer Moral gedacht, „moralisch“. Erbschaftssteuern sind aus solcher Sicht schon deshalb unmoralisch, weil sie das Ziel untergraben, die Widerstandsfähigkeit dieses Innenraumes des Eigenen an die nächste Generation weiter zu geben.

Man muss denken mit diesem Kopf. Um zu verstehen. Ist es eine solche Moral?, die sagt: Wir können nicht jedem helfen. Wir können nicht das Sozialamt der Welt sein. Wir müssen uns einmauern. Ein Element davon spielt hier hinein, sicherlich.

Es ist ein Denken der Angst: die Welt als gefährlichen Ort zu imaginieren.
Der Zaun als Metapher, wir sind zunehmend Eingezäunte. Eingesperrte. Eingesperrte auch in Diskursen. Die Diskurse des Generalverdachtes, beispielsweise. Die Schlagzeilen der Hassindustrie haben uns doch selbst schon zugerichtet. Wenn jede Straftat ausgewalzt wird, wenn Sexualdelikte etwa von ausländischen Straftätern immer berichtet werden, während solche von inländischen nur im Ausnahmefall, wenn jedes Gerücht und jede Fake News zur Schlagzeile, die Berichtigung der Falschinformation nur zum Kurz-Notiert wird.
Dann verbindet man mit junge Männern aus Afghanistan, aus Syrien, nur mehr: Straftäter. Gefährlich. Messerstecher. Vergewaltiger. Bis wir alle so mit einem Blick auf Gruppen von jungen Flüchtlingen schauen: diesem, „die könnten gefährlich sein“-Blick. Könnten sie natürlich. Aber die meisten natürlich nicht. So wie bei allen Leuten mehr oder weniger. Generalverdacht nennt man das.
Der Generalverdacht, er frisst sich aber auch in uns hinein, kriecht in uns hinein.

Wer ist denn schon immun gegen dieses Gewaber, dieses Gewaber von Stimmungen, gegen Stimmungen, die von Gemeinwesen Besitz ergreifen, innerhalb des Zauns, innerhalb dessen alle irre werden. Zäune rundherum und drinnen werden alle irre. Die Anstalt, in der alle irre werden, eine Irrenanstalt besonderer Art.

Wir blicken auf den jungen Flüchtling wie auf einen Verdächtigen, so wie wir Verdächtige mustern, und merken gar nicht, dass eigentlich wir die Verdächtigen sind, die, auf die der Verdacht fallen sollte.

Der Verdacht nämlich, dass diese Blicke, die wir werfen, die böse Tat sind.

Eingemauerte sind wir. Eingemauert in die Diskurse, die den Mauern voraus gehen und ihnen folgen zugleich.

Guerilla der Aufklärung ist ein Begriff hier, habe ich mir sagen lassen.
Was ist Aufklärung? Aufklärung ist so vielleicht Ausgang aus selbstverschuldeter Eingezäuntheit.

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