Die Opposition ist besser als ihr Ruf

Ein Monat vor der Europawahl liegt die Regierung an der Schwelle zum Verlust ihrer Mehrheit. Die Koalitionsparteien haben sich das einerseits selbst eingebrockt, aber andererseits ist die gesamte Opposition im Land offenbar effektiver als es bisher schien.

Linke sind immer gut in Selbstkritik. Fangen Linke zum reden an, dann sind sie spätestens beim dritten Satz bei der sogenannten „Krise der Linken“. Kenn ich seit mindestens fünfdreißig Jahren. Linke sind darüber hinaus ganz besonders gut in der Kritik an den eigenen Leuten. Und ganz generell sind auch die progressiven, linksliberalen Milieus nie zufrieden mit der Performance jener im politischen Feld, die man so wenigsten halbwegs auf der eigenen Seite wähnt. Und nur damit man mich da nicht falsch versteht: Es ist ja nicht so, dass es für einen solchen selbstbezogenen Sound nicht gute Gründe gäbe. Oft gibt es dafür sogar sehr gute Gründe. Aber genauso oft redet man sich dann in einen depressiven Strudel hinein, weil man einfach übertreibt, wenn man schon einmal dabei ist, aufzuzählen, was gerade so schief läuft.

Seit einem Jahr lautet die gewohnheitsmäßige Standardklage, dass die Opposition nicht in die Gänge kommt. Was ist eigentlich mit den Sozis los? Wo ist Rendi-Wagner? Schläft sie? Und die „Grünen“, was für ein Trauerspiel..:! Und die Pilz-Partie, sowieso unterirdisch. Die Regierung führt das Land scharf nach rechts, und die Opposition will nicht auf die Beine kommen…

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Zugleich ist aber die Opposition ja eigentlich ziemlich erfolgreich. Die Regierung, die so lange fest im Sattel schien, geriet in den vergangenen Wochen ins Torkeln und ist jetzt dabei, ins Trudeln über zu gehen. Die Verstrickungen der FPÖ mit dem Rechtsextremismus haben Sebastian Kurz in schwere Nöte gebracht, er muss dauernd rote Linien ziehen, aber auf dieser roten Linie trudelt die FPÖ von „Einzelfall“ zu „Einzelfall“. Keiner schert sich um seine rote Linien, wenn er so weiter macht, steht er als Lachnummer da, der immer Machtworte spricht, um die sich niemand schert. In der ÖVP kippt die Stimmung. Zuletzt musste Kurz schon Spindelegger, Pröll, Molterer und die alten Haudegen Andreas Khol mobilisieren, damit sie ihm zu Hilfe eilen. Souveränität sieht anders aus.

Nun kann man sagen, die Regierung hat sich selbst in diese Lage gebracht – weil die FPÖ nun einmal überhaupt nicht regierungsfähig ist. Man kann aber auch sagen: die parlamentarische Opposition wird schon ihren Beitrag geleistet haben, dass die Regierung aus dem Eck nicht mehr herauskommt. Dass die Fehltritte der FPÖ nicht unter gehen. Dass die Message Control des Kanzlers nicht mehr so gut auf geht. Klar, auch die außerparlamentarische Opposition lässt nicht locker.

Und der kritische Journalismus, und die demokratisch orientierte Dissidenz in den Medien und Zivilgesellschaft. Ja, sogar Kommentatoren, die eher der rechten Mitte angehören und die monatelang die Lobpreisungen der Sebastian-Kurz-Gebetsliga runterbeteten, schlagen seit einigen Wochen merkbar andere Töne an. Botschaft: Es reicht, es geht zu weit, das ist es nicht wert. Sie ruinieren das Land.

Wenn das Meinungsklima gegen eine Regierung kippt, dann ist das immer das Ergebnis vieler Beiträge. Aber es ist absurd, anzunehmen, das wäre das Verdienst vieler, nur nicht der politischen Opposition. Auch sie hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben.

48 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher meinen mittlerweile, dass die Regierung das Land spalte. 33 Prozent, dass sie den Rechtsextremismus befördere. Das sind bemerkenswerte Daten.

Aber es geht noch weiter. Jüngste Umfragen haben, mit Hinblick auf die EU-Wahlen, die ÖVP bei 30 Prozent, die SPÖ bei 28 Prozent, die FPÖ bei 20 Prozent, auch Grüne und Neos liegen passabel. Das heißt: Ein Monat vor der ersten großen Testwahl liegen die Herrschenden der Koalitionparteien gerade nur mehr hauchdünn über einer regierungsfähigen Mehrheit. Ehrlich, ich hätte das vor einem Jahr nicht für möglich gehalten, dass es in so kurzer Zeit gelingen könnte, sie in diese Lage zu bringen. Ja, klar, ich weiß schon: Würden Daten für fiktive Nationalratswahlen abgefragt, wäre die Sache vielleicht ein wenig anders – aber auch nicht signifikant anders. Man dachte, sie wären auf einer Woge – und jetzt müssen sie sich schon dagegen stemmen, die Mehrheit im Land zu verlieren.

Klar, kann man weiter jammern, dass die Opposition sich noch besser anstellen könnte. Aber man kann natürlich stattdessen auch alle Energie mobilisieren, dass es in diesem Monat noch einen Swing von zwei, drei Prozent gibt. Also, noch zwei Prozentpunkte weniger für die Koalition. Man stelle sich vor: Die ÖVP verliert bei den EU-Parlamentswahlen den ersten Platz und die Koalitionsparteien zusammen fallen unter fünfzig Prozent. Dann wäre Feuer am Dach der herrschenden Kamarilla. Und es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass das möglich ist.

Man sollte mehr Gedanken darauf verausgaben, das möglich zu machen, als auf das Krankjammern der Opposition.

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