Unter Opfern. Eine Theaterrevue.

Den vergangenen Juni verbrachte ich in Linz, um mit Theaterstudierenden und dem Regisseur Peter Wittenberg gemeinsam eine Diskurstheater-Revue zum Mitreden zu inszenieren. Dazu verfertigte ich eine Textgirlande, Wort- und Satzfetzen, die in den Bühnenraum geschrieen, gefetzt, geflüstert wurden – und durch Szenen unterbrochen wurden. Hier gibts den Text zum Nachlesen. 

Als ich am nächsten Tag erwachte, wusste ich, dass ich viel geträumt hatte. Ich wusste nur nicht mehr, was.

Durch die Stadt marschierten Gruppen von Mädchen

und Gruppen von Jungen,

und die Eltern, die die Lügen glauben, die ihnen vorgebetet werden.

Und die sie nicht glauben, marschieren ebenfalls mit.

Divisionen von Charakterlosen unter dem Kommando von Idioten. Im gleichen Schritt und Tritt.

Und ich mache auch mit. Wenn kein Charakter mehr geduldet wird, sondern nur mehr Gehorsam, geht die Wahrheit, und die Lüge kommt.

Ich spreche die Sätze, die alle um mich herum sprechen. Ich spreche sie unbedacht, wer denkt denn schon beim Sprechen? Also, natürlich, denke ich beim Sprechen, jeder denkt beim Sprechen, aber ich denke auch nicht beim Sprechen, jeder denkt beim Sprechen auch nicht.

Die Sprache ist ja eine Gewohnheit,
wohnt im Unbewussten,
so wie das Radfahren,
wenn du es einmal erlernt hast,
ist es eine Motorik,
ohne dass man darüber nachdenken muss.

So ähnlich ist es mit dem Sprechen ja auch.

Ich habe Vorstellungen von DENEN, wie die sind. Es sind MEINE Vorstellungen, aber natürlich nicht MEINE ALLEINE, es sind die Vorstellungen von UNS, unsere Vorstellungen, die wir über DIE haben.

Wer WIR sind, wer dieses UNS ist fragen sie?

Na nicht die. Nicht die da.

Die hier sind
die da
und alles was nicht
die da ist
ist UNS.

NICHT WIR

DIE DA

Eine Welt aus WIRs

und NICHT WIRs

Wobei das Wir die

NICHT WIRs

braucht. OHNE

DIE NICHT WIRs

wüsste das WIR ja gar nicht, wer es ist.

Wer nirgends dazu gehört hat einen Gehörschaden, einen Dazugehörschaden. Nur dass man keine Dazugehörgeräte im Elektroshop kaufen kann.

Ich weiß wie die sind. Die gehören nicht zu uns.

Wenn du sagst, dass ich nicht hier her gehöre, dass ich nicht dazu gehöre, brauchst du dich nicht wundern, wenn ich zu euch gar nicht gehören will.

Niemand will wo dazu gehören, wo man ihm sagt, dass er nicht dazu gehört. Dann gehöre ich eben zu uns – und nicht zu euch – und du gehörst nicht zu mir.

uns

euch

Dazugehören

Wer Gehör finden will, der gehört jemandem. Wer nirgends dazu gehört hat einen Gehörschaden, einen Dazugehörschaden.

Nur dass man keine Dazugehörgeräte im Elektroshop kaufen kann.

Gehört gehört.

Und wem gehörst Du?

In wessen Besitz bist du?

Wem gehöre ich?

Ich hör auf die wo ich dazu gehöre ich gehöre denen doch nicht, ich gehöre ja mir, also wenn man davon absieht dass ich natürlich nicht weiß wer das sein soll, mir, wer das sein soll, ich.

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Jemandem gehören ist doch nicht das gleiche wie dazu gehören, aber irgendwie auch doch, denn wenn ich wo dazu gehöre, dann gehöre ich auch jemandem, und das bin nicht ich,

weil:

dann ergreift doch etwas Besitz von mir und das bin nicht ich.

Wer will denn da dazu gehören?!
Da will ich doch nicht dazu gehören,
da will ich doch extra anders sein,
ich lehne diese Zugehörigkeit ab
und suche mir eine andere Zugehörigkeit,
denn ohne Zugehörigkeit kann man bei uns nicht überleben. M: Ohne Zugehörigkeit müsste ich doch ich Selbst sein,
aber was ist denn schon ein Selbst?

Jede Gruppe ist eine Selbsthilfegruppe einsamer Seelen

Die ja dann nicht mehr einsam sind

Aggressiver einsamer Seelen

Zugehörigkeit ist ohne Hörigkeit nicht zu haben, das steckt im Wort schon drin.

Aber das ist doch alles Brainfuck.

Ihr schaut runter auf mich. Ich weiß es genau. Ihr achtet meinen Lebensstil nicht. Ihr achtet mich nicht.

Ihr haltet Euch für etwas Besseres mit Eurer Kunstsinnigkeit, Eurem Biogetue,

Eurer politischen Korrektheit.

Kommt Euch besonders wohlmeinend vor, aber auf mich schaut ihr runter.

Da ist dann ein Ende mit eurer selbstgerechten Gutmenschlichkeit. Ihr seid die Wohlhabenden und Wohlmeinenden, aber es ist nicht weit her mit Eurem Wohlmeinen.

Respekt predigt ihr und respektiert mich nicht, schaut runter auf mich.

Und kommt Euch auch noch besonders guten Gewissens vor. Ihr wollt mich erziehen! Aber ich lass mich von Euch nicht erziehen!

Könnt Ihr Euch sonst wo hin stecken Euren Respekt, ihr meint ja nur, ich muss andere respektieren, während mich niemand respektiert. Das meint ihr mit Respekt.

Unsere Welt zerfällt in Gemeinschaften, die sich gegenseitig abwerten. Was heißt abwerten. Verachten!

Ich sage Neger! Ätsch. Extra sag ich HEY.

Hey, denkt eigentlich wer drüber nach, was wir hier tun? Hier HEY sagen, als billige Provokation, nicht bedenkend, welche Verwundungen das aufreißt bei Menschen, die täglich damit aufwachsen, rassistisch beleidigt zu werden.

Denkt hier irgendjemand an die Traumata der ANDEREN?

Selbstverständlich weiß ich, dass man HEY nicht sagen soll, selbstverständlich weiß ich, dass man Menschen nicht beleidigen und nicht verletzen soll, natürlich, in bin ja nicht dumm.

Ihr glaubt, ich wäre dumm. Nur, weil ihr mir vorschreiben wollt, dass ich nicht HEY sage, nur deswegen sage ich HEY. Ich lasse mir von Euch doch nicht sagen, was ich tun soll, auch wenn ich weiß, dass es das Richtige ist, das weiß ich, aber wenn ihr mir vorschreiben wollt, wie ich zu reden habe, dann rede ich extra so, dass Euch das zur Weißglut bringt.

Und dann erfreue ich mich und ergötze mich an Eurer Erregtheit, dass Euch der Atem richtig weg bleibt, dann seh ich Euch zu, und sehe Euch an, ihr erstickt beinahe an Eurer Empörung.

Und dieses Ersticken ist die Quelle meiner Lust, meines Lustgewinns. Des kleinen Lustgewinns, der für mich im Angebot ist.

Eure Empörung ist die Quelle meiner Freude, ja nennt es meiner perversen kleinen Freude, hab ja sonst nichts im Leben.

Bin ja Opfer.

Die Worte fliegen herum wie die Interkontinentalraketen

Und sind eigentlich viel zerstörerischer

Ja, so bist du: Sitzt vorm Fernseher, im Jogger, Bier in der linken, Chips in der rechten, lebst vom Geld anderer Leute. Loser. Verlierer bist du. Opfer.

Und schimpfst noch auf die anderen.

Selber Opfer. Alles Opfer.

Opfer Opfer Opfer.

Opfer Schlampe Alman Kanacke Nazi

Gutmensch.

Überall Gefühle.

Aber halt nur miese.

Meine kleine Welt wird beherrscht von miesen Gefühlen.

Sind Sie auch von Gefühlen gesteuert?

Ja, von miesen. Ich habe meine Beweggründe, aber meist nur niedrige.

Ah, ja, kenne ich. Wenn ich jemanden totschlage, ist das Totschlag, schlag ich jemanden mit niedrigen Beweggründen tot, dann ist das Mord.

Die Beweggründe sind ganz wichtig in unserem Rechtssystem.

Opfer
Schlampe
Alman
Kanacke
Nazi
Gutmensch

Überall diese Selbstgerechtigkeit. Gerechtigkeit ist ja eine gute Sache, aber wenn man zuviel Selbst dazu mengt, dann ist die Gerechtigkeit nicht auszuhalten. Dann wird sie ihr Gegenteil. Selbstgerechtigkeit ist ja das Gegenteil von Gerechtigkeit.

Mit der eigenen Unvernunft ist man immer nachsichtiger als mit der der Anderen.

Opfer Schlampe Alman Kanacke Nazi Gutmensch

(BREAK)

NK: Ein jeder rede von der Schande der eigenen Leute

Ich zeige, wo ich dazu gehöre, und zeige, wo ich nicht dazu gehöre. Diese Turnschuhe, diese Jacke, dieses Smartphone, sie dokumentieren, wer ich sein will. Natürlich drücken sie einen Status aus, dass ich die bin, die sich diese schicken Teile leisten kann, aber auch noch mehr als das, einen Lebensstil

LIFESTYLE

Meine Lebensphilosophie steckt in den Dingen drin und ich kann sie mir zusammen kaufen.

Der, der du sein willst, den kann man heute kaufen.

Die, die ich sein will, die kann man heute kaufen, bitte schön, ich will auch in der Sprache vorkommen, wenn du mich tilgst aus der Sprache bin ich Opfer.

Tschuldige

Die Dinge sind Accecoires meiner Persönlichkeit

Was aber, wenn Deine Persönlichkeit ein Accesoire der Dinge ist?

Wer ich bin, das hat die Industrie für mich schon produziert und das Marketing hat die Bilder dazu in Umlauf gebracht.

Ich lebe entlang von Bildern, die die Werbung für mich entworfen hat.

Mein Selbstbild hab ich aus der Werbung.

Mein Leben hat sich ein anderer für mich ausgedacht und ich lebe es nur nach?

„Wer bin ich?“ – „Wer will ich sein?“

Und zu diesem Selbst werd ich mich dann entwickeln, wobei ein Selbst, das sich entwickelt, also verändert, ist das dann überhaupt ein Selbst? Vielleicht gibts Selbst gar nicht.

Dich gibts gar nicht

Mich gibts gar nicht.

Das Maximum an Selbst
was man so hinkriegt,
sind ein paar Persönlichkeitsbruchstücke,
die wir ausprobieren
um sie dann wieder zu verwerfen.
Ich bin ein Provisorium,
das ich regelmäßig verwerfen.
Oder behalte,
wenn es mir gefällt.
Nein: Behalte,
wenn es den anderen gefällt.
Und verwerfe,
wenn es den anderen missfällt.

Wer man ist, bestimmen immer die anderen.

An einem Selbstbild festhalten, das alle Welt zurück weist, wer will denn sowas?

Wer tut denn sowas?

Das wahre Selbst. Da lach ich doch nur.

Das wahre Selbst ist das, was übrig bleibt vom regelmäßig verworfenen Provisorium und mit jeder Verletzung und Verwundung wird es ein immer beschädigteres Selbst.

Du wertest mich ab

Nein, du wertest mich ab

Du mich

Nein du

Wer abgewertet wird, wird beschämt. Fühlt sich beschämt. Es ist ein Kreislauf der Beschämung, ein Reigen der Abwertung,

an dessen Ende alle beschämt sind.

Warum ist der Mann der Chef? Warum sagst du Schlampe zu mir? Warum sagst du mir, dass ich so nicht reden soll? Warum sagst du mir, dass mein Leben nicht das richtige ist? Wie kommst du dazu, festzustellen, was das Richtige ist? Was moralisch unrichtig ist? Wie kommst du dazu, zu sagen, wer hier dazu gehört?

Vielleicht gehörst ja du hier nicht dazu!

Du Opfer.

Ah nur Deine Meinung als Betroffener zählt. Das heißt, ich darf schweigen, ich darf nicht mitreden. Weil ich so privilegiert bin. Ja aber wo sind denn die, meine Privilegien. Schade, dass sich die noch nie bei mir vorgestellt haben.

Meine Meinung ist mehr wert als deine

Wenn du mit mir redest, besteht ja vielleicht auch die Möglichkeit, dass ich recht habe. Aber diese Möglichkeit hältst du natürlich nicht für möglich. Was ist das aber dann für ein Gespräch, wenn du schon vor dem Gespräch davon ausgehst, fix ausgehst, dass ich nicht recht habe. Ein Gespräch ist nur dann ein Gespräch, wenn beide Seiten recht haben können.

Ich red mit jedem. Sogar mit Nazis.

(BREAK)

Wie kommt nur die Rohheit in die Welt? Und diese Gereiztheit? Hart musst du sein in unserer Welt. Hier herrscht, wie in der Sprache, eine Grammatik der Härte,

und über die Sprache kommt die Härte noch einmal mit Wucht in die Welt.

Und die Schwächeren machen da dann auch noch mit, besonders engagiert machen sie mit. Wer in der Schulklasse nicht zu den ganz Coolen zählt, und Angst hat, gemobbt zu werden, der mobbt dann den Allerschwächsten, damit es ihn selbst nicht erwischt.

Wenn ich nicht selber ein Arschloch werde, dann werde ich selber zum Opfer.

So einfach ist das.

Arschloch

oder

Opfer.

STELLA: Kannst wählen.

Fällt mir die Entscheidung nicht schwer bei dieser Auswahl.

Weil die Schwächsten nicht rebellieren, machen sie die Allerschwächsten fertig.

Gib dir keine Blöße!
Zeige keine Schwäche!
Zeige niemals Schwäche!

Diese Kampfesstimmung, die sich überall reinfrisst

Eine Welt von Außenseitern

Von Randgruppenerscheinungen

Aussätzigen

Eine Welt der Verwundeten und Beschädigten, die mit der Verarbeitung ihres Leids beschäftigt sind.

Wir sind die wahren Elenden, die Elenden unserer Tage

Ein Elend, dem man das Elend nicht ansieht.

Wenn man unter Elend nur Zerlumpte und abgemagerte Slum-Bewohner versteht, könnte man denken, allen anderen gehe es gut. Blind geht man durch die Welt.

Taub und Blind für die die Leiden, die unsichtbar sind.

CHOR: Absolute Leere.

Selbst der Einzelgänger wird dann zum resignierten Einzelgänger.

Resigniert und enttäuscht sagt dieses Individuum.

Das Individuum spricht:

„Ich kümmere mich nur um mich selbst.“

In dieser Welt gedeihen Menschen, die sich den Gesetzen des Dschungels am besten anpassen können.

Denn dieser Kampf ist keine Schule der Empathie.

Die, denen die Freundlichkeit nie begegnet,

können selbst nicht freundlich sein.

Vor die Alternative gestellt:

Arschloch

oder

Opfer.

Entscheiden sie sich — wofür?

Arschloch.

Nur von einer Regel geleitet:

Keiner wird uns mehr verletzen.

Keiner wird uns mehr verletzen.

Keiner wird uns mehr verletzen.

Keiner wird uns mehr verletzen.

Keiner wird uns mehr verletzen.

Keiner wird uns mehr verletzen.

Keiner wird uns mehr verletzen.

Keiner wird uns mehr verletzen.

Keiner wird uns mehr verletzen.

—- ENDE —-

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