Der Krieg gegen die Armen

Der Krieg gegen die Armen wird mit einer Sprache vorbereitet, die die weniger Erfolgreichen als schlechtere Menschen hinstellt. Als disziplinlos, als Durchschummler, als gescheiterte Existenzen, die sich ihres Scheitern wegens schämen und deswegen die Klappe halten sollen. So werden sie mundtot gemacht, zu Subjekten, über die geredet wird, aber die nicht mitreden sollen.

Der Kampf gegen die Armen, statt gegen die Armut, wie sie in unserer Zeit geführt wird und nicht nur im Koalitionsvertrag der österreichischen Regierung zum Programm geworden ist, der kommt nicht so einfach und so plötzlich in die Welt. Er muss vorbereitet werden und vorbereitet wird er mit Rhetoriken. Mit Rhetoriken der Diffamierung, mit einer Sprache der Verrohung.

„Durchschnummler“, so ein Wort, gesprochen von der Regierungsspitze herab – Parasiten, Sozialschmarotzer – die Unterstellung, dass die, die wenig haben, immer noch zu viel haben, nämlich etwas, was ihnen nicht zusteht. Entsolidarisierung wird mit Sprache vorbereitet, und sie ist zum Zeitgeist geworden, weil schon global seit Jahrzehnten so gesprochen wird. Es ist eine Einheitssprache, die hier durchgesetzt wurde. Eine Sprache von Leistung, von Erfolg, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist, eine Sprache auch von Minderleistung, von durchschummeln eben, von Losertum. I am a Loser baby, so why dont you kill me. Die Sprache der Individualisierung und des Propaganda des individuellen Erfolges.

Wo der Sozialstaat zurückgebaut wird und seine Institutionen delegitimiert, wo das Kollektive in schlechten Ruf gesetzt und der Erfolg nie dem Gemeinsamen und stets der Anstrengung des Einzelnen zugeschrieben wird, da wird auch der Angsthemmer Sozialstaat durch den Angsttreiber „individuelles Risikomanagement“ ersetzt. Stets hängt alles vom Einzelnen ab, dass der keine Fehler macht, Gefahren frühzeitig erkennt, vorausblickend in sich selbst investiert, seine Kompetenzen aktiv sichert und ja nicht ausschert. Der weiß, wenn es nicht rund läuft, ist niemand anderer schuld als er selbst. Das neoliberale Selbst weiß stets, dass der Boden wankend ist, auf dem sein Hamsterrad steht. Es ist ein Ich, das von der Angst gebeutelt ist.

Es ist eine Sprache des Unmoralischen, aber zugleich eine extrem moralische Sprache. Es ist ja nicht so, dass der Erfolg eben Erfolg ist und der geringere Erfolg eben geringerer Erfolg und das Scheitern eben ein Pech. Es werden hier sofort moralische Beurteilungen nachgeschoben. Der Erfolgreiche ist nicht nur erfolgreich, er ist gewissermaßen ein besserer Mensch. Der Loser hat nicht nur Pech, er ist auch noch ein schlechterer Mensch.

Ein Gescheiterter, auf allen Ebenen. Auch als Individuum gescheitert, der es scheinbar verdient, dass man auf ihn hinabsieht. So wird in dieser diskursiven Ordnung der Verrohung ein Kampf aller gegen alle etabliert und wer nur halb unten ist der tritt nach ganz unten, der strampelt gegen den Abstieg. Muss sich abgrenzen nach unten. Nach unten, wo die Schamzone ist.

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Ja, scham. Wer arm ist, schämt sich ihrer. Wer nicht so erfolgreich ist, dem wird antrainiert, es sich selbst zuzuschreiben, und damit zu schweigen über die Quelle seiner Scham. Arm sein, oder nur einkommensarm sein, heißt daher nicht nur, materiell Mangel zu leiden, wer davon heimgesucht wird – ja es ist eine Heimsuchung – kommt in eine Spirale deprimierender Hoffnungslosigkeit hinein, wie das die deutsche Autorin Kathrin Hartmann formuliert. Es saugt dir die Energie aus dem Leib wie ein Dementor. Und wirft dich in einen Zustand der Sprachlosigkeit.

So dass wir fast von einer Art ökonomischer Säuberung sprechen können, durchaus in Assoziation zum Begriff der ethnischen Säuberung. Menschen werden unsichtbar gemacht. Die Realität von einer ganzen Bevölkerungsgruppe wird in die Sprachlosigkeit verbannt, sie kommt nicht vor, sie sind getilgt aus der in der öffentlichen Rede die unsere Wirklichkeit konstituiert. Über sie wird nur mehr geredet, von oben herab. Aber ihre Wahrheit kommt nicht vor.
Sie kommen nicht vor.

Es ist eine ökonomische Säuberung, in deren Zuge die Wirklichkeit der Unterprivilegierten unsichtbar gemacht wird, zur Karikatur gemacht wird und damit aus unserer öffentlich verhandelten Wirklichkeit getilgt wird. 

Und das betrifft ja nicht nur die existentiell Ärmsten, die von Mindestsicherung leben, die sich auf den Ämtern demütigen lassen müssen, sondern auch kleine Rentner, Leute mit niedrigem Einkommen, Leute, die 40 Stunden arbeiten und dann trotzdem nur 1200 Euro oder so heim bringen. In einer Konkurrenzgesellschaft, in der disponibles Einkommen nicht nur zum Kauf von Gütern wichtig ist, sondern auch um den Spielstand zu messen, die Statusdifferenz, da sind ja auch die niedrigen Einkommenssegmente dieser Verachtung preis gegeben. Es ist diese Ordnung der Diskurse, die es erst ermöglicht, das Anlegen von Daumenschrauben für die Schwächsten als vernünftige Politik auszugeben.

Ein Gedanke zu „Der Krieg gegen die Armen“

  1. Beschämend ist auch, dass viele vermeintlich „Linke“ und „Alternative“ leider meistens nur über Arme und Erwerbsarbeitslose reden aber nicht mit diesen auf gleicher Augenhöhe, geschweige denn mit kritischen Betroffenenselbstorganisationen …

    Die depremierende Hoffnungslosigkeit gibt es wohl nur bei jenen Menschen, die immer noch die Ideologie des herrschenden Systems, den Unterdrücker im Unterdrückten (Paulo Freire „Pädagogik der Unterdrückten“) verinnerlicht haben und von falschen Hoffnungen nicht los lassen können.

    Erwerbsarbeitslose können sich aber auch als Elite sehen, weil sie nicht so viel Teil haben an den Verbrechen des globalen Neoliberalismus / Kapitalismus und Zeit haben, selbst nachzudenken, was für sie wichtig im Leben ist. Wirklich arm sind jene, die im Hamsterrad von Arbeitszwang und eskalierenden Konsum gefangen sind und immer mehr laufen müssen um scheinbar mithalten zu können.

    Übel ist auch die sozialdemokratische Befürsorgungsindustrie vulgo AMS-Sumpf, die unbedingt alle wieder in die Zwänge des kapitalistischen System „integrieren“ wollen, weil Lohnarbeit die einzige identitätsstiftende Tätigkeit bleiben soll. Insofern bleibt der Sozialdemokrat Robert Misik leider wieder nur auf halber Strecke stehen mit seiner Kritik.

    Siehe auch Ivan Illich „Schöpferische Arbeitslosigkeit“. Von Krisis „Kritik der Arbeit“ oder Lafargue „Recht auf Faulheit“ (müsste heute schon „Pflicht zur Faulheit“ heißen um den einzig uns bekannten bewohnbaren Planeten vor der weiteren Zerstörung durch Arbeit und Konsum zu retten) zu schweigen.

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