Fang den Wähler!

Wie die bisherigen Oppositionsparteien dem türkisblauen Block die Mehrheit abluchsen können.

Parteien haben im Wahlkampf eine Reihe von Zielen. Erstens: Die Wähler zu halten, die man beim letzten Mal schon hatte. Zweitens: Neue dazu gewinnen. Drittens: So stark werden, dass man am besten den Kanzler oder die Kanzlerin stellt. Königsdisziplin: dem ärgsten Gegner die Wähler abluchsen. Aus der Sicht der bisherigen Oppositionsparteien heißt das beispielsweise, den bisherigen Regierungsparteien Wähler weg zu nehmen.

Aber wie soll das gehen? Schaut man sich oberflächlich die Umfragen an drängt sich der Eindruck auf: die Türkisen gewinnen ein paar zigtausend Wähler und Wählerinnen, die die FPÖ verliert. Die Grünen gewinnen jene Leute zurück, die sie beim letzten Mal an die Pilz-Partei und die SPÖ verloren haben.

Wirkt auch schlüssig auf dem ersten Blick: Rechte Wähler haben gemeinsame Haltungen, und insbesondere die FPÖ-Wähler haben zu ein paar Themen klare Meinungen. Für den FPÖ-Wähler ist die Wahl von Sebastian Kurz, der auch kein anderes Thema als Migration kennt, natürlich naheliegender, als die Wahl von Kogler. Und bei den etwa 20 Prozent städtischen, linksliberalen Wählern weiß man, die wählen mal SPÖ, mal Grüne. Die Neos gewinnen mal ein wenig von den Grünen, mal ein wenig von der ÖVP. Deswegen glauben viele, die eigentlichen Wählerwanderungen finden vor allem innerhalb der „Lager“ statt.

Aber das ist viel zu einfach gedacht. Schon alleine, weil es ja auch Nichtwähler gibt. Ein frustrierter FPÖ-Wähler, der sich darüber ärgert, dass seine Partei die „einfachen Leute“ verraten und verkauft hat, bleibt vielleicht am Wahltag daheim. Dafür geht eine andere Wählerin zur Wahl, die das beim letzten Mal nicht tat und wählt Grüne oder SPÖ. ÖVP-Leute, die von Kurz angewidert sind, werden diesmal auch zu den Neos überlaufen – und dafür manche Neos-Wähler zu den Grünen, zum Beispiel weil die im Aufwind sind. Und schon gibt’s wieder eine kleine Domino-Verschiebung von Regierungslager zum Oppositionslager.

Nicht jeder ist weltanschaulich fix festgelegt. Und außerdem spielt ja auch eine Rolle, wer man ist, in welchem Umfeld man lebt. Ein SPÖ-Stammwähler Ende sechzig aus einer ländlichen Industrieregion wechselt schon aus Lebensstilgründen ganz selten zu den Grünen.

Ist Ihnen dieser Blog etwas wert? Robert Misik, IBAN AT 301200050386142129 / BIC= BKAUATWW

Genauso ist das natürlich auch mit der FP-Wählerschaft und der ÖVP. Viele FPÖ-Wähler sehen sich als „einfache Leute“, denen die Eliten nicht zuhören – und diese FPÖ-Wähler würden sich natürlich eher die Hand abhacken als ÖVP zu wählen, die traditionell die Partei der Geldleute ist (und jetzt der jungen Schnösel), die sich als etwas Besseres vorkommen. Deswegen glauben manche in der SPÖ ja immer noch, diese FPÖ-Wähler wären eigentlich „unsere Leute“, die man zurück holen müsste. Was natürlich Unfug ist, weil genügend dieser Leute haben nie etwas anderes als FPÖ gewählt und das auch schon seit 20 Jahren. Aber eines stimmt daran natürlich: von ihrer Alltagskultur her und „wie man die Welt sieht“, würden viele dieser Wähler eher zur SPÖ passen als zur ÖVP. Nur hassen viele dieser Wähler die SPÖ geradezu, weil sie sich von ihr hängen gelassen fühlen. Zugleich weiß man in diesen Bevölkerungsgruppen insgeheim aber natürlich auch: unter den Roten geht es den einfachen Leuten letztlich doch am besten. Aus diesem Gefühl könnte die SPÖ etwas machen, wenn sie klug ist und es schafft, die volksfreundliche Art von Rendi-Wagner auszuspielen.

Viele FPÖ-Wähler hassen die SPÖ geradezu, weil sie sich von ihr hängen gelassen fühlen. Zugleich wissen sie insgeheim aber natürlich auch: unter den Roten geht es den einfachen Leuten letztlich doch am besten.

Man muss da total realistisch sein: In einem Wahlkampf wird sich die SPÖ nicht einfach völlig neu positionieren können und Glaubwürdigkeitsprobleme, die sich seit Jahren aufbauen, kriegst du nicht in drei Monaten los. Die meisten Leute werden sie also nicht unbedingt mit viel Begeisterung wählen, aber einige zigtausend können schon gewonnen werden, die sie „als das Beste im Angebot“ ansehen.

Und letztendlich sind auch viele ÖVP-Wähler gewinnbar. Klar, Sebastian Kurz ist immer noch populär, aber bedenken wir einmal: Er hat beim letzten Mal die ÖVP-Wählerschaft von rund 25 auf 31 Prozent erweitert. Logischerweise hat er da auch unabhängige Wechselwähler aus der Mitte gewonnen, auch Leute, die davor SPÖ gewählt haben. Das sind also nicht gerade ideologisch gefestigte Türkis-Wähler. Die kann er genauso schnell verlieren, wie er sie gewonnen hat. Und in den Umfragen ging es schon in den letzten Monaten stetig für ihn bergab: Lag er im Juli noch bei rund 38 Prozent, liegt er jetzt nur mehr bei 35 Prozent. Das ist die signifikanteste Bewegung in den Umfragen überhaupt. Solche Dynamiken, einmal im Gang, können sich schnell beschleunigen. Gerade jetzt, wo die Ex-Koalitionäre im Skandalsumpf richtiggehend untergehen.

Ohnehin tun Wählerinnen und Wähler oft unerwartete Dinge – zum Beispiel von der FPÖ direkt zu den Grünen wechseln. Ja, ein paar tausende tun das immer wieder. Gründe kann es dafür viele geben: Etwa, dass ihnen plötzlich ein Thema wichtig geworden ist, das sie vorher noch nicht so am Radar hatten. Oder weil ein glaubwürdiger Kandidat überzeugt. Oder weil das Motiv „ich wähl gegen die da oben“ nicht mehr so stark verfängt, wenn die FPÖ gerade selbst in der Regierung war und dann plötzlich andere Gründe zu primären Wahlmotiven werden. Es gibt unzählige Gründe, warum Leute andere Parteien wählen als beim letzten Mal. In der Steiermark, berichten mir Bekannte, sagen recht viele ÖVP-Wähler, dass sie zu den Grünen übergehen werden. Weil der Werner Kogler glaubwürdig und so ein Kämpfer sei. Oder einfach, weil der ein Steirer ist. Die Grünen werden sowieso von allen Seiten zugewinnen.

(Eine leicht kürzere Version erschien als Kommentar in der Zeitung „Österreich)

2 Gedanken zu „Fang den Wähler!“

  1. Ja, Herr Misik, hauptsache eine Partei aus dem neoliberalen Einheitsbrei wird gewählt, das ist dem Liberalen (egal ob links, zentral oder rechts) wichtig. Auf das wir uns in Zukunft weiter auf die Identitätspolitik und eine heuchlerische Klimapoltik konzentrieren und die Reichen, Superreichen sowie deren Konzerne ungestört Profit machen können. Nur nicht über Alternativen außerhalb des Meinungskorridors nachdenken.

    1. Nach den Crash Ende der 1920 wurden die Liberalen, genauso wie den Schwarzen und den später sog. Kommis (ursprünglich russischstämmigen zumeist jüdische Anarchisten, die flohen aus gutem Grund aus Russland, aber nicht da es keinen Sozialismus/Kommunismus gab) für den Crash die Schuld zugewiesen. Institutionen wurden vermehrt auf den Weg gebracht. Die waren nach einer eher ’sozialistisch‘ anmutenden Phase zu Beginn eher keynesianisch geprägt. In den 1980er gewannen einige von ihnen den Wettlauf in die Institutionen.

      In Österreich lebt diese Tradition in Form des Postenschachers weiter und auch global läuft das Spiel.

      Die anderen genannten Symptome stimmen haben aber nicht unbedingt mit den Weltsichten allein zu tun.

      Ökonomen haben den Produkt Mix nicht auf dem Radar. Das führt dazu, dass in Institutionen immer mehr Leute sitzen die den vollen Durchblick im Tunnel haben, einerseits durch durch die Schuklappen die hilfreich waren bevor sie in diesen einritten und andererseits die sie umgebende Finsternis mit der zuvor keiner hat gerechnet.

      In Linz an der Donau wird seit gut 50 Jahren über die Lösung des Verkehrsproblems politisiert, das es zu Beginn noch nicht gab und seit 40 Jahren unlösbar ist. Die Unlösbarkeit ist dem Verkehrsaufkommen vor 40 Jahren geschuldet.

      Ich bin eher ein Kritiker des Spiel rund um die klassischen Industrielinen, weniger den Weg selbst. Mein Kritik beginnt erst beim Ausrollen des Modells über alles und jeden. Dabei wird bei sich zunehmender Annäherung an den Endzustand (zuviele ‚alte Produkte‘ werden von zuvielen alternden Linien bereitgestellt‘) aka. Kommunismus (industrielle), in den Zustand transformieren die Sozialdemokraten mittels Reformen und nicht per Revolution) übersehen, dass keine Spareinlage mehr aus dem Titel ‚Beitrag zur Reproduktion des Wirtschaftsraums auf höherem technologischem Niveau‘ liefert.

      Deswegen hatte der Hörmann Franzi auch recht, dass man am Sonntag auf das Schnitzerl nicht verzichten muss und man die Menschen am Ende besser für das liebe Geschau ein Einkommen zukommen lässt (bspw. Kurz, Strache oder wer auch immer watch?v=aMCT5CXhdGY).

      Simmel schrieb mal, ‚Jeder ist eine Insel‘, besser wäre er hätte geschrieben, ‚Jeder ist seine Industrielinie‘. Eingeführt wurde just obsolet gewordene klassische Industrielohn und den Menschen wurde erzählt, ‚Jeder kann reich werden‘.

      Das war nicht bös gemeint, aber heute steht auch wieder eine Neubewertung eines Substituts für ‚Mitwirkung an der Reproduktion der Bewirtschaftungsprozesse auf höherem technologischem Niveau‘ an.

      Ein freiheitlich orientierter Mensch an sich sowieso nicht und Liberale auch haben an sich mal kein Problem, wenn andere mehr ‚haben‘, wenn sie selbst im Kontext eines Substituts für oben genannten Beitrag noch immer die eigenen Ziele können umsetzen.

      Ich hörte schon Kommentare wäre ein troyanisches Pferd der Neoliberalen, da er nicht der Hoffnung Ausruck verlieh, dass Wohlstand im Rahmen eines BGEs herbeiverteilt werden könnte.

      Wenn die Linken die Konsumgesellschaft übernehmen (was sie bereits taten), dann ist der ökologische und ökonomische Kollaps unausweichlich. Das heißt nicht, dass in einer liberalen Postwirtschaftsordnung die Inhalte von ‚links‘ nicht ihren Platz finden. Je stärker sich die Marktwirtschaft zurückmeldet (sog. Krise der Konsumgesellschaft) desto notwendiger sind sie. Einerseits ist die Marktwirtschaft nicht krisenbehaftet, aber sie ignoriert salopp formuliert außerhalb des Marktplatzes. Die Marktplatzlogik ermittelt den Preis (optimal bestimmte Gütermenge) egal wer in der nächsten Periode sich am Marktplatz einfindet, allein wird danach getrachtet Einkommensabflüsse (der am Morgen gebildete Betrag über die mit den Menschen im Geldbeutel einlaufenden Münzen). Jene die zu schwach zum Einlaufen sind … fallen nicht auf bis die Geldmenge schrumpft.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.