Koalieren mit Sebastian Kurz?

Wenn es nicht gelingt, die Mehrheit der Ibizia-Koalition zu brechen, werden natürlich sowohl SPÖ als auch Grüne bereit sein, mit der ÖVP zu koalieren. Daran ist auch gar nichts bemerkenswert oder verwerflich.

Wenn ein Politiker oder eine Politikerin der SPÖ oder der Grünen andeutet, es könnte nach den Wahlen auch eine Koalition mit Sebastian Kurz und der ÖVP geben, dann gibt es meist einen kleinen Aufruhr, manchmal sogar einen Shitstorm: „Wie kann die nur daran denken!“ – „Anbiederei“ und ähnliche Vokabel fallen dann schnell. Besonders skurril wird es, wenn dann mal Leute der SPÖ den Grünen vorwerfen, sie würden sich schon auf ein Techtelmechtel mit Kurz vorbereiten – und dann nächsten Tag die Grünen dasselbe der SPÖ. All das ist, liebe Leute, ziemlicher unnötiger Unsinn. Und zwar aus folgenden Gründen, die mit den möglichen Wahlergebnissen zusammen hängen.

Erstens: Nehmen wir an, die ÖVP und die FPÖ verlieren ihre Mandatsmehrheit, aber die ÖVP bleibt stärkste Partei. Daraus folgt ziemlich logisch, dass dann SPÖ, Grüne und Neos eine Mandatsmehrheit haben. Dann wird es nahezu fix zu einer Koalition zwischen diesen drei Parteien kommen. Die SPÖ würde nämlich, wenn es so ausgeht, nicht mit der ÖVP koalieren, weil sie dann nicht die Kanzlerin stellt. Die Grünen können dann nicht mit dem verhassten Sebastian Kurz koalieren, da es eine rechnerische Alternative zu ihm gibt und eine Koalition ÖVP/Grüne/Neos unter diesen Umständen nie durch einen grünen Bundeskongress käme. Die Neos alleine haben mit Kurz keine Mehrheit, werden aber alles tun um mitzuregieren, und das wäre in diesem Fall eben eine Koalition unter Pamela Rendi-Wagner mit den Grünen und den Neos. Wahrscheinlichkeit: aus heutiger Sicht unter 50 Prozent, aber durchaus realistisch.

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Variante zwei: Die ÖVP und die FPÖ haben zwar eine Mehrheit im Parlament, aber die SPÖ ist stärkste Partei. Unter diesen Umständen wäre die SPÖ wohl tatsächlich bereit, mit der ÖVP in eine Zweierkoalition zu gehen. Bloß: Unter diesen Umständen würde Kurz wohl in jedem Fall mit der FPÖ weiter regieren wollen (weil er nur so Kanzler bleiben kann). Die realistische Möglichkeit: äußerst gering.

Variante drei: Die SPÖ wird stärkste Partei und Rot-Grün-Neos hätten eine parlamentarische Mehrheit. Möglich, dass die SPÖ dann mit der ÖVP koalieren würde, wenn auch nicht äußerst wahrscheinlich. Den Praxistest wird es nie geben, denn: kaum denkbar, dass die Wahlen so ausgehen.

Variante vier: Sebastian Kurz wird erster, und SPÖ, Grüne und Neos haben keine gemeinsame Mehrheit. Die ÖVP will aber die Koalition mit der FPÖ nicht fortsetzen, weil die Einzelfall-Partei, bei der auch täglich die Korruptionsstaatsanwaltschaft mit Durchsuchungsbefehlen vor der Tür stehen kann, einfach ein zu riskanter Partner ist. SPÖ, Grüne und Neos sind zudem natürlich der Meinung, dass das Wichtigste ist, eine abermalige Regierungsbeteiligung der Rechtsextremisten zu verhindern. Unter diesen – aber eben auch nur unter diesen – Umständen werden natürlich alle diese Parteien mit er ÖVP koalieren. Und das ist dann ja auch okay so. Die Wähler sorgen für die Sitzverteilung im Parlament, über die kann man jammern, aber man muss sie zur Kenntnis nehmen. Und dann gibt es eben nur drei Regierungsmöglichkeiten: ÖVP-FPÖ, ÖVP-SPÖ und ÖVP-Grüne-Neos. Was immer da jetzt an Nebelgranaten gezündet wird: Natürlich würden sowohl SPÖ als auch Grüne in diesem Fall in diesen sauren Apfel beißen. Wahrscheinlichkeit aus heutiger Sicht: Auch unter 50 Prozent, aber durchaus realistisch.

Also: Es hat gar keinen Sinn, jetzt schon hochempört über politische Flexibilität der jeweils anderen nach dem 29. September zu sein. Gescheiter ist es, alle Energie darin zu stecken, dass die Ibizaparteien ihre Mehrheit im Parlament verlieren. Denn es wird von Tag zu Tag realistischer, dass das gelingen kann.

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