Wie wütend sind die „einfachen Leute“?

Man strudelt nur mehr gegen den Abstieg an, wird dauernd respektlos behandelt und für die Politik ist man gar nicht existent. Das macht wütend. Dann wählen die Leute manchmal sogar Parteien, von denen sie insgeheim eh wissen, dass es ihnen unter denen noch schlechter geht.

In diesen Wahlkampfwochen schreib ich gelegentlich Stücke dieser Art für die Zeitung „Österreich“ – nicht zuletzt weil man da ja eine Leserschaft erreicht, die sonst schwer erreicht wird. Diese Kolumne erschien am 8. August. 

Die einfachen Leute fühlen sich von „den Politikern“ nicht mehr vertreten, ja nicht einmal wahrgenommen, und deshalb sind sie wütend – darüber herrscht heute weitgehende Einigkeit. Da drängen sich aber sofort zwei Fragen auf. Erstens: Wer das denn überhaupt sein soll, die „einfachen Leute“? Zweitens: Und warum sind sie eigentlich so wütend?

„Einfache Leute“, das sind einmal grob gesagt, jene, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind – also eher Kleinverdiener, aber nicht nur. Arbeiter und Arbeiterinnen, bis hin zur Mittelschicht im Einfamilienhaus mit zwei Autos vor der Tür. Leute, die sich als „die Normalen“ ansehen und vielleicht nicht jeden modischen Trend mitmachen wollen würden. Irgendwie ist es eine sehr verschwommene Vorstellung, die da gängigerweise kursiert, wenn von „einfachen Leuten“ die Rede ist. Letztlich sind wir doch alle einfache Leute, wenn wir nicht gerade zum Jet-Set der Superreichen gehören. Oft ist es auch eine stolze Selbstzeichnung. „Da wo ich lebe bedeutet ‚einfacher Mensch‘ ‚anständiger Mensch‘, weil bescheidenes (oder weniger bescheidenes) Auskommen mit ehrlicher Arbeit (meist körperlich) erschaffen“, so beschreibt das eine Frau. Und komischerweise sind, beim Begriff „einfache Leute“, eher selten der türkische Berufsschüler, der serbische Installateur oder die syrische Mitarbeiterin beim Post-Shop gemeint – obwohl die ja alle Charaktermerkmale haben, die oben aufgezählt sind, obwohl die „gute Leute“ sind, nicht auf die Butterseite gefallen, hart arbeitend, sehr oft geringes Einkommen.

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Wer viel herum kommt und mit vielen Leuten redet, der weiß außerdem: Manche sind wütend, manche aber auch nicht. Zwischen „eh zufrieden“, „bisschen unzufrieden“ und „richtig zornig“ findet man in der wirklichen Welt natürlich alle möglichen Graustufen.

Natürlich haben „die einfachen Leute“ Grund genug, wirklich wütend zu sein. Normale Arbeiter und Angestellte waren früher – „das Volk“ genannt – jene Schicht, die das Land getragen haben. Arrogant kommen durfte denen niemand. Sie konnten sich anerkannt fühlen und hatten auch Sicherheit im Leben. Aber mit dem gesellschaftlichen Wandel und in einer Wirtschaft, wo Konkurrenz alles ist, hat sich das geändert. Die Menschen fühlen sich als Instrumente behandelt, als Kostenstellen auf zwei Beinen, die man einfach austauscht und weg wirft, wenn man sie nicht mehr braucht. Und das spüren viele, nicht nur die, die wirklich gefeuert werden oder deren Firmen unter gehen. Fast jeder arbeitet in Firmen die dauernd rationalisieren, die Löhne steigen nicht mehr, die Kosten schon, und fast jeder weiß, dass es ihn morgen auch erwischen kann. Das zerstört in vielen Betrieben sogar das Betriebsklima. Die Leute sagen resignierend: „Ich kümmere mich nur mehr um mich selbst.“

Die Menschen fühlen sich als Instrumente behandelt, als Kostenstellen auf zwei Beinen, die man einfach austauscht und weg wirft, wenn man sie nicht mehr braucht.

Viele Menschen haben aber zusätzlich das Gefühl, dass sie gar nicht vorkommen. Erst das führt zu Wut. Und zu einem Konkurrenzgefühl, das erst das Migrationsthema so groß macht: Weil ja dann jeder Ankommende ein zusätzlicher Konkurrent ist – um Wohnungen, Jobs, Bildung für die eigenen Kinder. Wo doch eh schon alles schwierig genug ist.

„Man muss die Leute gern haben“, war das Lebensmotto von Bruno Kreisky. Damit hat er genau diese Leute gemeint, die meist das Herz am rechten Fleck haben, die aber auch erbost sein können, wenn sie den Eindruck haben, dass es nicht gerecht zugeht und wenn sie nur mehr dauernd gegen den Abstieg ankämpfen. Und die dann manchmal aus Wut Parteien wählen, von denen sie insgeheim eh wissen, dass es ihnen unter denen noch schlechter gehen wird.

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