„Bedrohte Meinungsfreiheit“ – Wenn rechte Märchen in die Mitte sickern.

Rechtsextreme Mimöschen heulen schon, wenn man ihnen widerspricht. Demokraten in Zustand der Selbstaufgabe besorgen auch noch ihr Geschäft.

Allein in dieser Woche haben drei führende deutschsprachige Medien mit der Frage aufgemacht, „was man denn noch sagen dürfe?“ und ob denn die „Meinungsfreiheit“ bedroht sei. Nun kann man natürlich jeden Unfug in den Titel heben, und man kann ja auch einen Unfug, sofern ausreichend viele Menschen daran glauben, thematisieren. Fressen uns bald die Marsmenschen? Nein. Keine Sorge. Die gibt’s gar nicht. Außerdem sind sie Vegetarier.

Aber ganz so einfach ist das natürlich nicht. Die reißerischen Titelgeschichten werden ja mit der Behauptung legitimiert, dass die Sorge, man dürfe immer weniger sagen, ausreichend viele Menschen bewegt. Da werden allerdings auch sehr viele Leute darunter sein, die diese Frage deshalb bewegt, weil es ihnen von Schlagzeilen, Titelblättern, Talkshows herab so lange vorgebetet wird, bis es sie es glauben. Diese Medien thematisieren damit aber nicht nur die Propaganda der Rechtsextremen und ihr Getrommle, dass man sich vor lauter Politischer Korrektheit kaum mehr etwas sagen traue. Sie besorgen ihr Geschäft.

Dabei ist die Sache an sich ja sehr einfach. Erstens: Man darf bei uns exakt alles sagen, was nicht gegen Gesetze verstößt, also etwa Gaskammern verherrlicht oder zum Mord an Ausländer anstachelt oder zivilrechtlich relevant ist (ich darf natürlich auch nicht jemanden als „Betrüger“ und „Mörder“ verleumden). Aber sonst kann man alles sagen. Fakt ist ja: Es wird auch von immer mehr Leuten immer mehr und immer krasseres Zeug gesagt – das ist allein eine Folge der sozialen Medien. Die Meinungsfreiheit ist also nicht und nirgends bedroht. Eher laufen die krassen Meinungen aus dem Ruder, so dass die öffentliche Debatte nur mehr einem Geschrei gleicht. Wenn wir also schon ein Problem haben, dann das gegenteilige.

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Nun gibt es natürlich Leute, die einwenden: Ja, aber wenn ich meine Meinung sage, dann wird meine Meinung als nicht erwünscht hingestellt, als rechtsextrem verurteilt, ich werde persönlich als jemand diffamiert, der eine „schlechte“ Meinung vertritt. Nun, das gehört freilich zur Meinungsfreiheit aller anderen, eine abschätzige Meinung über bestimmte Meinungen zu haben. Wer da gleich zu heulen beginnt, sollte eben tatsächlich vielleicht seine Meinung nicht so laut äußern. Ist ja auch nichts dabei, wir kennen das ja alle. Und so ist eben die Welt: Es gibt Gruppen von Menschen, die meine Meinung abschätzig beurteilen, und dann gibt’s Menschen, die deine Meinung abschätzig beurteilen.

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Ah, wird da jetzt bestimmt gerufen: Dann ist es ja doch so, dass man „darauf achten muss, was man sagt“. Nun, wenn einem die Reaktionen nicht egal sind, dann muss man das. Und das ist ja nicht nur richtig, sondern die natürlichste Sache der Welt. Wenn ich in einer Kneipe voller betrunkener FPÖ-Wähler bin, werde ich „darauf achten“, vielleicht nichts gegen Nazis zu sagen, wenn ich keine auf die Schnauze haben will. Oder ich werde, nach reiflicher Abwägung, doch etwas gegen Nazis sagen. Je nachdem, wonach mir gerade ist. Viele kennen das weniger dramatisch von Familienfeiern, bei denen Menschen zusammen kommen, die sehr unterschiedlicher Auffassung sind. Wir „achten“ da dann auch drauf, was wir sagen, weil wir für uns abwägen, ob wir diesen Konflikt jetzt wollen, oder ihn diesmal lieber vermeiden. Manchmal wollen wir diese Debatte, manchmal wollen wir vielleicht auch unsere Ruhe haben. Deswegen wird jeder von uns überlegen, „was er sagt“.

Das ist auch gar nicht schlimm, und schränkt unsere Meinungsfreiheit nicht ein. Wie es ja generell gar nicht schadet, wenn man darüber nachdenkt, was man sagt, bevor man es sagt. Bisschen denken vor dem Reden ist ja auch nicht so eine fürchterliche Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Jemand wie der steirische FPÖ-Abgeordnete Wolfang Zanger darf natürlich seine schwülstigen Burschenschafter-Lieder singen, er darf auch Betriebsräte „Beidln“ nennen und er darf auch sagen, dass es einige gute Seiten am Nazi-Regime gab. Aber er muss halt dann auch aushalten, dass anständige und vernünftige Menschen mit ihm nichts zu tun haben wollen. Das ist nämlich dann deren gutes Recht.

Jemand, der in einer feministischen Gruppe sitzt und rechtsradikales Zeug von sich gibt, wird bestimmt“ „keinen Spaß“ haben (er wird dann nämlich Widerspruch ernten), jemand der in einer FPÖ-Ortsgruppe sitzt und für die multikulturelle Gesellschaft eintritt, wird auch „keinen Spaß“ haben (er kann dann nämlich froh sein, wenn er nur Widerspruch erntet). Aber wo steht geschrieben, dass die Wahrnehmung meiner Meinungsfreiheit, nämlich das Vertreten von Meinungen im Kreis von Andersdenkenden auch noch Spaß machen muss?

Wer groß von Meinungsfreiheit faselt und damit meint, dass er von Widerrede verschont zu werden habe, der hat eben von Meinungsfreiheit nichts verstanden. Ganz persönlich empfinde ich es übrigens ja gerade dann als Ausweis der Meinungsfreiheit, wenn ich meine Meinung gegen Gegenwind vertrete. Mit der Meute blöken und die Klappe nur aufreißen, wenn der Applaus der Umstehenden gesichert ist, das kann jeder. Da gehört jedenfalls nicht viel Mut dazu.

Allein, dass sich führende Medien dieses Propagandamärchens „Meinungsfreiheit in Gefahr“ annehmen, das von rechtsextremen Parteien natürlich aus leicht verständlichen Gründen dauernd getrommelt wird, ist schon Unfug. Gänzlich absurd wird es, wenn dann eher linksliberale Medien – sofern man „Die Zeit“ oder den „Spiegel“ noch irgendwie in diesen Bogen einordnen will –, auch noch mit Verständnishuberei daher kommen. Das ist dann fast schon so etwas wie Selbsthass der Demokraten. Wenn es Leute gibt, die diesen Unsinn glauben, dann müsse doch auch etwas dran sein, vielleicht sind wir ja wirklich zu schnell dabei, einen „Meinungskorridor“ erwünschter Meinungen zu errichten, wird da dann selbstkritisch gefragt. Vielleicht sollte man „Kanacken verrecke“ oder „stirb du Schlampe“ nicht voreilig ausgrenzen?

Als hätte man rechtsradikalen Unfug in den letzten Jahren zu viel ausgegrenzt. Als wäre nicht das Gegenteil der Fall: verständnishubernde Demokraten haben den Verhetzern Bühne um Bühne geboten und viele ihrer Auffassungen stillschweigend in den öffentlichen Diskurs einer ganzen Gesellschaft sickern lassen. Das ist nicht passiert, weil man zu viel Widerstand gegen den autoritär-rabiaten Ungeist geleistet hat, sondern natürlich, weil man zu wenig geleistet hat.

In den Redaktionen sitzen viel zu wenige Leute, die noch den Mumm haben, demokratische Auffassungen gegen die Feinde der offenen Gesellschaft zu verteidigen. Das ist unser Problem.

Das sind Demokraten und Liberale im Zustand der Selbstaufgabe. Schon Meinungsumfragen werden so gestaltet, dass sich die Rechtsextremen bedanken können. Wie etwa die absurde Zahl, dass 63 Prozent der Deutschen finden, dass man heute nicht mehr seine Meinung frei sagen dürfe. Allerdings wurden da die Probanden in einer sehr umständlichen Frage gefragt, ob es tatsächlich so sei, „dass man aufpassen“ muss, wie man sich wozu äußere. Nun, siehe oben, natürlich muss man das. Man musste das immer schon und zwar nicht, weil irgendwelche Meinungen real oder auch nur symbolisch verboten wären, sondern weil man eben überlegen muss, ob man den Streit, den man vom Zaun bricht, jetzt haben will oder nicht. Von daher ist es ja nur logisch, dass die Zahl derer, die zustimmen, eher hoch ist. Ich würde dem ja auch zustimmen – schließlich schicke ich auch nicht jeden Tweet ab, den ich formuliere. Manchmal sind es die lustigsten und provokantesten Tweets, die ich lösche.

Skurrilerweise war es die konservativ-liberale „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, die wenigstens in ihren Texten das Märchen von der bedrohten Meinungsfreiheit zertrümmerte, während „Zeit“ und „Spiegel“ verständnishubernd hin und her lavierten.

„Menschen müssen aufpassen, wo sie hinlaufen, wenn sie nicht in Dreck treten oder gegen eine Mauer rennen wollen. Sie achten auf ihre Ernährung, auf ihre Aktien und Haustiere. Also können sie auch auf ihre Worte achten. Das wünschen sie sich ja von anderen ebenso“, formulierte Friederike Haupt in ihrem Kommentar.

Und Harald Staun schreibt in seinem Essay, dass das Gerede von der bedrohten Meinungsfreiheit nicht die Diagnose eines Virus sei, sondern der Virus selbst, der zu grassieren beginne. Ein Virus nämlich, „der sich umso schneller verbreitet, je öfter man ihn den Menschen in den Mund legt. Wird schon was dran sein, dass die Meinungsfreiheit in Gefahr ist, wenn man es jetzt in jeder Talkshow hört“.

Statt blöde Umfragen, in denen die rechtsextreme Behauptung schon in der Frage steckt, sollte man den Menschen vielleicht einmal klarere Fragen stellen, finden Staun, etwa:

„Finden sie es wünschenwert, wenn Minderheiten beleidigt und angegriffen werden? Wünschen Sie sich mehr gesellschaftliche Anerkennung für diskriminierende Beleidigungen?“

Komisch eigentlich, dass solche Frage nie gestellt werden. Wäre doch interessant zu wissen, welche Ergebnisse solche Umfragen hätten.

3 Gedanken zu „„Bedrohte Meinungsfreiheit“ – Wenn rechte Märchen in die Mitte sickern.“

  1. Die Frage ist ja immer, wer gibt die Umfrage in Auftrag, ist es freie akademische Forschung, in der der sich in Fragen angelegte Bias möglichst schon im vorhinein reduziert wird oder wird da eine Firma oder ein Professor von einem Kunden beauftragt und teilt auch schon offen oder durch die Blume mit, welches Ergebnis erwünscht ist und wie es interpretiert werden sollte.

    Leider werden diese Hintergründe in der Presse fast nie recherchiert, bevor die zugrundeliegende Pressemitteilung zu einem Artikel verwurstet wird. Es ist genau diese Gratis-Content-Haltung, durch die für die Öffentlichkeit objektiv wertloser und nur an Partikularinteressen ausgerichteter PR-Müll durchgereicht wird. Von den Lesern wird erwartet, das in den Rückmeldungen / Kommentaren dann geradezurücken. Ist das eigentlich noch Presse?

    So machen Medien sich selbst irrelevant und unglaubwürdig, was ihnen die Unterstützung, die sie zu ihrer Finanzierung bräuchten, weiter entzieht. Man kann sich also auch selbst abschaffen, dafür braucht es kein Netz und keine Rechtsradikalen.

  2. Lieber Robert Misik,

    danke für diesen Beitrag. Alles was sie schreiben, ist völlig korrekt, aber auch völlig unstrittig.

    Kein zivilisierter Mensch fordert, die Beleidigung von oder den Angriff auf Minderheiten, irgendeinen rechtsradikalen Unfug oder die Äußerung von „Kanacken verrecke“ oder „stirb du Schlampe“ als legitime Meinungsäußerungen zu akzeptieren. Darum geht es nicht, wenn viele ein zunehmendes Problem im Zusammenhang mit Meinungsäußerungen konstatieren.

    Es geht auch nicht darum, dass Menschen sich eine Meinungsäußerung deswegen verkneifen, weil sie Streit aus dem Weg gehen wollen (das ist völlig normal und in Ordnung), sondern weil sie befürchten müssen, dass ihnen das Wort im Munde herumgedreht wird und ihnen Positionen unterstellt werden, mit denen sie gar nichts zu tun haben.

    Sascha Lobo schrieb vor einiger Zeit bei SPON:
    „Die Essenz des Entwederoderismus: Wann immer Kritik an einer Position geäußert wird, wird sie als Parteinahme der radikalstdenkbaren Gegenposition betrachtet.“

    Ist die Meinungsfreiheit in Gefahr? Nein, natürlich nicht. Man darf selbstverständlich alles sagen, und es wird ja auch vieles gesagt, was haarsträubend und scharf zu verurteilen ist. Das heißt aber nicht, dass wir kein Problem im Zusammenhang mit der Äußerung von Meinungen hätten. Das Problem ist die Polarisierung und die vergiftete Debattenkultur. Das Problem ist, dass Argumente zunehmend gar nicht mehr wahrgenommen werden, sondern Menschen aufgrund ihrer Äußerungen nach oberflächlichen Kriterien in Gruppen eingeteilt werden und ihnen nach erfolgter Einordnung alles unterstellt wird, was man der betreffenden Gruppe zuschreibt.

    Falls gewünscht, kann ich gerne ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung nennen, wo ich auf eine ganz arglose, sachliche Äußerung hin mit wüsten Unterstellungen konfrontiert wurde und daraufhin beschloss, dieses Thema nicht mehr anzuschneiden, bis der hysterische Zeitgeist sich diesbezüglich wieder etwas beruhigt hat und man wieder sachlich diskutieren kann.

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